AFL: Zuerst herzlichen Glückwunsch zu 31 Jahren Dritte Wahl und an dich und natürlich auch an die Band
Gunnar: Ja, Dankeschön.
AFL: Wie fühlt es sich denn an, wenn man weiß, das man schon mehr als die Hälfte seines Arbeitslebens bereits geschafft hat?
Gunnar: Joa, gute Frage. Irgendwie unwirklich. Aber ich glaube das fühlt sich bei anderen Leuten, die einer anderen Arbeit nachgehen, auch genauso unwirklich an. Dreißig Jahre sind einfach so ein abstrakter Zeitraum, den kann man gar nicht richtig fassen.
AFL: Wer hatte denn die Idee nach dreißig Jahren noch glatte dreißig Jahre dran zuhängen? Die Familien, die nicht damit umgehen können wenn ihr jedes Wochenende zu Hause seid oder die Rentenkasse, da eure Beiträge maximal über dem Existenzminimum angesiedelt sind?
Gunnar: Ja, das ist so ne Mischung aus allem. Auch wir selber können uns noch gar nicht so wirklich vorstellen, das irgendwann mal sein zu lassen. Es wird ja der Tag irgendwann kommen, wenn Schluss ist, den wollen wir soweit wie möglich rausziehen. Da waren uns die dreißig Jahre gerade recht. Und wenn wir dann noch fit sind machen wir es so wie KISS und machen noch mal ne Abschiedstour, und noch eine, und noch eine und noch eine.
AFL: Dann müsst ihr aber noch ein paar Schauspieler rekrutieren, die ihr dann auch die Bühne schicken könnt.
Gunnar: Ja, ja, genau. Oder unsere Kinder, wir sind ja neben der Kelly Family die kinderreichste Band der Welt, und dann müssen die Kinder mal ran. Die sehen dann ja auch so aus wie wir jetzt.
AFL: Schöne Vorstellung auf jeden Fall. Also bleibt auf jeden Fall zu hoffen, das zumindest die aktuelle Tour die ja angelaufen ist, euren Rentenbescheid etwas „upgraden“ kann. Wie lief denn die Tour bisher?
Gunnar: Ja, wir haben tatsächlich die bestverkaufte Tour gespielt bisher – „ever“ sozusagen. Und, das wird auch so bleiben, weil die restlichen Termine sind eigentlich fast alle schon ausverkauft oder sind kurz davor. Und , ja, insofern, kann man sich nur freuen. Bei anderen Bands ist das ja oft, dass sie im Alter sich dann freuen, wenn sie das Level halten können irgendwie. Und bei uns geht es gerade nochmal nach oben. Und ich weiß gerade nicht, nach Jahren, Wahnsinn. Also, wir freuen uns wie Sau.
AFL: Wie bekommt ihr es denn überhaupt noch hin nach der langen Zeit, nach den langen Tourneen, so ne gewisse positive Spannung aufrecht zu erhalten, um auch weiter den Antrieb zu haben immer weiter zu machen, aufzunehmen, Konzerte zu spielen?
Gunnar: Ach, das ist einfach so ne Leidenschaft, die liegt uns im Blut. Und, ich persönlich kann mir überhaupt nicht vorstellen, damit aufzuhören. Wenn wir ne Weile nicht live gespielt haben, dann kribbelt es mir in den Fingern und dann will ich wieder los und deswegen ist da noch kein Ende abzusehen für mich. Und ich glaube meinen Kollegen geht es ganz genauso.
AFL: Da können wir ja gespannt sein. Das ganze bestätigen auf jeden Fall zehn Alben, die ihr bisher rausgebraucht habt. Diverse Liveaufnahmen, Singleauskopplungen, Features, ich glaube auch ein Soundtrack für einen Dokumentarfilm. Ihr habt sogar auf dem Wacken Open Air gespielt. Wie wollt ihr das ganze noch toppen? Gerade weil ihr sagt, das ihr momentan größer werdet und nicht, wieviele andere Bands, kleiner?
Gunnar: Ehrlich gesagt ist das so, dass wir da gar nicht so drüber nachdenken, ob man das noch toppen muss oder ob es gut ist wie es ist. Wir nehmen den Moment mit, das macht Spaß und wir basteln gerade an der neuen Platte. Die kommt im Herbst nächstes Jahr. Wir verzichten absichtlich auf so großartige, ich muss jetzt nicht den Sänger von „so und so“ dabei haben oder die Sängerin von der und der Band, irgendwie. Nur weil ich um Aufmerksamkeit buhle. Das ist so etwas inflatiös, was da momentan passiert, finde ich jedenfall. So ein bisschen langweilig. Und deswegen verzichten wir da absichtlich drauf, wir wollen keine, wie sagt man… Wir wollen ne ganz normale neue Platte machen und wir gehen dann wieder auf Tour und spielen und wenns den Leuten gefällt und sie kommen dann freuen wir uns. Aber wir verbiegen uns da nicht so großartig dafür.
AFL: Du hast die neue Platte angesprochen, ihr habt ja auch in den letzten Tagen die neuen Konzerttermine bekannt gegeben für 2020. Was erwartet uns und die breite Musiköffentlichkeit von eurem Album? Kannst du das schon so einen klitzekleinen Hinweis geben?
Gunnar: Naja, wir werden uns nicht um 180 Grad drehen und das wird schon so ein relativ typisches Dritte Wahl-Album werden. Die Songs sind eigentlich schon 90% fertig, wir gehen Ende Januar ins Studio und machen das komplett irgendwie. Und, es wird wieder etwas anders als die anderen Platten, das find´ ich auch gut. Ich kann das gar nicht so wirklich in Worte fassen, es wird sich glaube ich immer noch anhören wie Dritte Wahl.
AFL: Ihr werdet ja auch auf Tour gehen, wart ja auch auf zahlreichen nationalen- und internationalen Tournee mit unglaublich vielen Bands in den letzten dreißig Jahren. Habt mit Szenegrößen gespielt, egal ob mit den Toten Hosen, The Exploited und auch anderen auf großen Festivals. Gibt es noch irgendeine Band, mit der ihr gerne mal auftreten würdet? Sei es jetzt auf einen Konzert oder einem Festival? Was würde Euch noch reizen?
Gunnar: Für mich wäre das Bad Religion zum Beispiel. Denen bin ich noch nie begegnet, wäre für mich eine große Ehre. Aber ansonsten fällt mir auf die rasche ehrlich gesagt nichts ein. Es gibt soviele tolle gute Bands, weißt du. Auch NOFX oder so, haben wir leider noch nie getroffen. Und, obwohl, auf Festivals schon, stimmt also nicht. Aber, es gibt so viele tolle Bands und da kann ich mich gar nicht so entscheiden. Aber wie gesagt, Bad Religion wäre der Hammer.
AFL: Mal ein ganz anderes Thema. In den letzten drei Dekaden gab es unterschiedliche Entwicklungen, unter anderen auch was Musikmedien betrifft. Im würde sagen, einmal von Vinyl über CD zu Onlineplattformen zurück so ein bisschen zurück zu Vinyl. Ist das ein Entwicklungsprozess, der eher Fluch oder Segen für ne´ Band eurer Größe ist?
Gunnar: Ist auf jeden Fall erstmal Realität. Man muss damit natürlich umgehen. Ich finde es auf der einen Seite gut, dass nicht mehr soviel hergestellt wird, zum Beispiel CD´s durch die Welt geschickt werden, gelagert werden, eingeschweißt werden – Plastikmüll. CD´s sind ja selber richtig Sondermüll. Vinyl ist reines Erdöl. Ich finde Spotify eigentlich gut, ich benutzt es selber auch und finde es ganz cool. Ist natürlich auch klar, kommt nicht soviel [finanziell] dabei rum, wissen alle. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass die Leute immer wieder bzw. das Spotify einen immer wieder bezahlt wenn die Musik angehört wird. Wenn ich sonst früher ne CD verkauft habe, dann hab´ich eine CD verkauft und nie wieder Geld bekommen von denjenigen, der die Musik hört. Muss man auch mit einberechnen, ich weiß aber nicht wie oft man die Musik jetzt anhören muss, um das wieder reinzukriegen – keine Ahnung. Aber man muss ja auch sehen,dass die Konzerte teuerer geworden sind und irgendie gleicht sich das wahrscheinlich wieder aus. Ich glaube dass die Entwicklung nicht aufzuhalten ist und es ist einfach megapraktisch. Und wenn ich zum Beispiel meine Kinder angucke, die haben gar keine Abspielgeräte mehr. Kein CD-Player, kein Plattenspieler, die hören halt Spotify. Und, ja, so isses.
AFL: Das wäre die Wunschvorstellung meiner Freundin, wenn ich die ganzen Abspielgeräte nicht mehr hätte.
Gunnar: Ich hab´auch noch nen Plattenspieler und nen CD-Player und ich liebe die auch. Ich hab mir extra meine Lieblingsvinyls nicht digital besorgt, damit ich sie immer noch auflege. Ich bin auch ein fauler Mensch, ich würde wahrscheinlich sonst alles über meinen Rechner hören. Ich finde das jetzt nicht verwerflich, die Kids sind halt anders. Die haben andere Sachen, die wichtiger sind. Ist natürlich so ein bisschen deprimierend, dass Musik zu einer „nebenbei Ware“ verkommen ist.
AFL: Bist du der Meinung, dass solche Plattformen eher dazu einladen primär zu konsumieren und sich nicht tiefergehend mit der Musik zu beschäftigen? Sei es konsumieren jetzt mit Spotify oder MP3´s oder andere Plattformen, die es da so gibt?
Gunnar: Ja, das ist wahrscheinlich schon so. Ich glaube, dass ein bisschen so der Reiz von Langspielplatten von früher, verloren geht. Also, wo man selber so Titel für sich entdeckt hat, die eigentlich gar nicht so die großen Hits sind auf der Platte. Und heute gucken die Leute, wenn sie nach einer Band schauen, nach den Songs mit den meisten Klicks, welche sind die bekanntesten und hören sich das dann mal an. Und dann fallen die anderen so etwas runter so, das ist leider so.
AFL: Bieten solche Plattformen [Spotify etc.] den Nährboden um Musikrichtungen beispielsweise von Rechts zu unterwandern? Einfach weil einfach mehr konsumiert und weniger hinterfragt wird? Das unterwandern von Rechts ist ja sowohl im Black Metal mittlerweile präsent, auch im Deutsch Rap und so weiter. Siehst du da eine Ursache oder Grund?
Gunnar: Naja, gute Frage. Man kann Musik natürlich auf diese Art und Weise sehr schnell tauschen und verteilen. Das sind ja auch Leute die man gar nicht kennt. über Youtube, über solche Plattformen, über Facebook über sowas. Tja, weißt du, diese ganzen rechten Entwicklungen, die wir jetzt gerade haben, stehe ich relativ ratlos gegenüber muss ich ganz ehrlich sagen. Ich hatte vor zehn, 15 Jahren ein bisschen das Gefühl, dass das etwas besser wird und jetzt kommt so ein Riesenwulst auf uns zu. Auf der ganzen Welt beschießen sich die Leute wieder, bei uns wählen ein Viertel der Leute im Osten AFD – wo ich denke: Mein Gott, wie kann das passieren? Ich hab mich noch gewundert, als der Trump gewählt wurde in den USA und jetzt haben wir hier bald ähnliche Zustände, so hat man Gefühl. Ich weiß nicht woran das liegt. Ist unser Bildungssystem schlechter geworden? Oder was ist mit den Menschen los? Oder war es schon immer so und man hat es nur nicht gemerkt. Ich weiß es nicht.
AFL: Du hast Donald Trump eben angesprochen. Ich habe mal nachgezählt: Im Laufe eurer dreißigjährigen Bandkarriere habt ihr sage und schreibe sechs US-Präsidenten verschlissen.
Gunar: (lacht)
AFL: Kannst du einordnen, welcher dieser US-Präsidenten den größten Schaden angerichtet hat oder sich einfach nur ein Narrenkappe verdient hat?
Gunnar: Das ist schwierig. Weißt du, das mal eine Zeit kommt, wo man sich George W. Bush fast zurückwünscht – ist jetzt etwas übertrieben – aber wo man sich denkt: Das ist im Vergleich zu heute noch harmlos beinahe, das hätte ich auch nicht gedacht. Naja, es ist schwierig, Trump ist für mich natürlich ein absolutes „No-Go“. Letzten Endes, wenn man Barack Obama nimmt oder so, der war ja nun auch mal nicht, der hat auch mal viele Sachen nicht gemacht die er angekündigt hat. Ich glaube wenn man in den USA oder auch woanders in eine solche Position kommt, da muss man auch ein dementsprechender Mensch so ein bisschen sein. Klar, die Atmosphäre von Obama, die Ausstrahlung, das was für mich der sympathischste von allen. Vielleicht hat er dadurch auch heimlich Sachen machen können, die andere nicht hätten machen können. So wie Schröder hier, als er an die Macht kam und alle sich ein bisschen gefreut haben: Mensch, da wird alles mal ein bisschen linker. Und dann haben Sie einfach mal das gemacht, was die CDU niemals hätte durchbringen können. Ich weiß es nicht.
AFL: Sechs US-Präsidenten stehen drei Bundeskanzler und Bundeskanzlerinnen gegenüber. Welcher von Kohl, Schröder oder Merkel hatte deiner Meinung nach am meisten Stoff für Punklieder geliefert?
Gunnar: Ähm, für mich war das Kohl gewesen. Weil das einfach mein Zeit war, wo man so die Junge Sturm und Drang Zeit hatte. Ich weiß nicht genau, naja, Schröder war so ein Eigenluder. Der kam so nach Außen so cool rüber irgendwie und hat dann hintenrum einfach die Leute beklaut und die Wirtschaft beschenkt. Ja, die Merkel, da hat man irgendwie das Gefühl, die macht eigentlich gar nichts. Die hält das alles bloß aus und übernimmt immer die Position der anderen, sobald die populär werden. Naja, is´ja auch bald vorbei. Und bei dem Personal, was da jetzt so auf uns zukommt, hat man auf nicht die große Hoffnung das sich da jetzt großartig was ändern wird ehrlich gesagt.
AFL: Das wäre doch schön. Ihr habt natürlich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte zahlreiche politische Wandel mitbekommen. Ihr habt die Wende aktiv miterlebt, ein neues politisches System was implementiert wurde. Kohl hat blühende Landschaften versprochen dazu kamen Parteien, gingen wieder oder blieben teilweise. Kannst du einordnen, welches der Ereignisse in den letzten dreißig Jahren dich am meisten geprägt hat?
Gunnar: Das war wahrscheinlich schon die Wendezeit. Da war ich gerade so 20, hatte gerade ausgelernt irgendwie, da hat man gerade angefangen zu arbeiten. Und auf einmal ändert sich die komplette Welt um einen herum. Wir haben ne Woche nach Grenzöffnung in Lübeck gespielt mit der Band und noch ne Woche vorher hätte ich es eigentlich nicht für möglich gehalten das ich mal nach Lübeck oder nach Hamburg komm´. Oder irgendwo hin. Wenn man das heute so erzählt, wenn ich da heute mit meinen Kids drüber erzähle oder so dann ist mir das selber schon so fern und so fremd und diese ganze DDR-Welt ist schon so weit weg für mich so. Aber hat mich doch am meisten bewegt von allen Zeiten.
AFL: Eure Bandgeschichte hat Euch zudem nicht nur nach Hamburg und Lübeck geführt, sondern auch zu unzähligen Tourneen durch Mittel-, West und Osteuropa, ihr wart einmal oder zweimal auf Kuba.
Gunnar: Einmal warn wir, ja.
AFL: Dadurch habt ihr gänzlich unterschiedliche Kulturen und Mentalitäten kennengelernt. Kannst du eingrenzen welche Personen oder Kultur Euch wirklich eindrücklich und nachträglich beeinflusst oder geprägt haben?
Gunnar: Naja, Kuba war ja dann schon relativ spät,und wenn man auf Kuba ist als Ex-DDR-Mensch fühlt man sich viel erinnert an alte Zeiten. So dieser ganze Mangel und das Ganze. Am meisten drüber nachdenken tu´ich immer noch an die Ukraine, denn wir waren da kurz bevor es mit dem Krieg losging. Und das war so ein frohes und frisches Land; das hatte ich da so erlebt. Und die Leute waren so cool, wir haben da auf so einem Festival gespielt. Das war alles so… Kiew war traumhaft. Die Innenstadt war super herausgeputzt, das war einfach irgendwie ein tolles Land. Und ein Jahr später fangen die da gegenseitig an sich zu beschießen und alles kaputt zum machen. Das ist etwas, was mich heute immer noch bewegt. Und wenn man da so Nachrichten hört, dann denke ich immer dran zurück, wie wir da waren und dass das so unvorstellbar is´, wie das so gekommen ist so schnell.
AFL: Ich habe ein paar Lieder von Euch aufgegriffen und stelle dir einfach mal ein paar Fragen dazu:
Die Zukunft ist heute und morgen ist hier entstammt ja dem Song Runde um Runde. Ist ja tendenziell eher als Arbeiterlied ausgelegt. Lässt dich das trotzdem noch aufs Bandleben übertragen, könnt ihr es als Band noch so richtig krachen lassen als gäbe es kein morgen.
Gunnar: Das ist so ein Song, der ist ja eigentlich eher traurig als lustig. Ein richtiger Saufsong ist das eigentlich gar nicht, das ist eigentlich für die verlorenen Trinker sozusagen. Und so fühlen wir uns auf keinen Fall. Wir sind schon Trinker natürlich, sind aber immer noch frohen Mutes dabei und sind nicht so Trinker, die irgendwie den Frust und die Einsamkeit.
AFL: Ihr habt natürlich auch einige fröhlichere Lieder im Angebot, aber auch einige private und intime Songs. Wie schwer fiel oder fällt es Euch beispielsweise, einen Song wie Auf der Flucht [dem verstorbenen Bassisten Busch´n gewidnet, Anmerkung] mit tausenden von Menschen zu teilen?
Gunnar: Naja, wir spielen den nicht mehr sooft. Also wenn wir in Rostock spielen dann spielen wir ihn, weil Busch´n Mutter auch immer noch kommt und seine Kinder. Aber sonst spielen wir ihn nicht mehr sooft, weil es nutzt sich ab irgendwann. Da steht man so da und die Leute sind dann so betroffen und man selbst hat den Song gerade zum zehnten mal hintereinander gespielt und dann ist man irgendwann nicht mehr richtig dabei und dann haben wir gedacht: „Komm, lass uns das für besondere Momente aufheben, und einfach nicht mehr so häufig spielen“. Ist schwierig mit so traurigen Liedern, gerade wenn ein Song so persönlich ist. Wir haben auch andere traurige Songs, so wie „Ich bin´s“ zum Beispiel. Das is´ne Geschichte, die hab´ich mal so ähnlich in einem Hörbuch gehört und hab das dann etwas abgewandelt und da ne Geschichte draus gemacht. Das bewegt mich jetzt nicht so sehr.
AFL: Was ihr auch nicht mehr allzu regelmäßig spielt ist Mainzer Straße, einer meiner persönlichen Favoriten, auch musikalisch schön düster. Der handelt von der Hausbesetzerszene in Berlin und die „Konflikte“ mit der Polizei…
Gunnar: (lacht) Ja, das ist ja so ein „Zwei-Akkorde-Song“ (lacht). Spielen wir immer noch regelmäßig wenn wir in Berlin und Potsdam die Ecke sind. Auch sonst waren wir gerade auf der Tour, da rief jemand „Mainzer Straße“ hoch. Und dann waren wir alle froh gestimmt und haben den dann auch gespielt. Wir haben den eigentlich immer parat und können den und wenn es so kommt spielen wir ihn auch.
AFL: Der Song wirkt etwas anachronistisch, ist ja auch schon 30 Jahre alt. Siehst du den Text trotzdem noch als tagesaktuell an?
Gunnar: Klar, das ist ja immer noch so, gerade in Berlin sind ja glaube ich alle besetzten Häuser weg. Und das ist gerade so, wenn man mal darüber nachdenkt über diese „Mietengeschichte“, die hier passieren, wo die Städte einfach diese ganzen Wohnblocks verkaufen und dann irgendwelche ausländischen Investoren sich die Rendite rausziehen. Das ist doch ne ekelhafte Zeit geworden. Der Kapitalismus frisst sich so sehr in die Leute rein, das hätte man sich vor 20 Jahren so auch nicht vorgestellt, dass das noch viel schlimmer kommen wird. Und das geht ja noch weiter. Man hat irgendwie ne böse Vorahnung davon, was vielleicht in 20 oder 30 Jahren hier los sein wird. Wenn dann nur noch die Schönen und Reichen in den Städten wohnen und die anderen alle so außenrum. Deswegen ist Mainzer Straße immer noch aktuell, auch wenn natürlich das eigentliche Ereignis 30 Jahre her ist.
AFL: Fangen wir nochmal von etwas Schönerem an. Ihr habt unter anderem auf den 25jährigen Puhdys-Jubiläums-Sampler „Wenn ein Mensch lebt“ gecovert. Wie kams denn dazu?
Gunnar: Och, den Song fand ich eigentlich schon immer ganz gut und damals kam jemand mit dieser Idee auf und wir haben die aufgegriffen und dann haben wir das gemacht. Ich finde es ein tolles Lied! Ich würde ihn auch spielen, aber Stefan hasst den Song (lacht).
AFL: Sind die Puhdys einer der Bands aus Ostzeiten, die Euch besonders geprägt haben?
Gunnar: Joa, besonders nicht, aber die haben schon so ein paar Songs, die man einfach so respektiert. Für mich waren eher Selini oder Pankow oder so, kurz vor der Wende kamen dann schon die Skeptiker und Feeling B und so. Da gabs ja richtig schon so Punkformationen so. Aber als ich so vierzehn war oder so, da kannte ich ehrlich gesagt nur die großen, aber da gabs es eben auch Bands die mir dichter waren. Oder City oder sowas, die fand ich immer etwas besser weil die auch immer etwas kontroverser waren als die Puhdys jetzt..
AFL: Ihr habt mit „Wie der Wind weht“ so ne Art „Fusballhymne“ zum Besten gegeben. Wie schwer fällt es, wenn man als Punkband einerseits seinen Herzensverein [FC Hansa Rostock, Anmerkung] auf diese Art und Weise unterstützt, andererseits aber ansehen zu müssen, wie Teile einer Fanszene komplett konträr zu der eigenen Einstellung sich verhalten und zum Beispiel nationalistische Choreographien durchführen?
Gunnar: Ja, das ist schwer muss ich ganz ehrlich sagen. Und ich dachte auch das bei Hansa Rostock ein bisschen hinter uns hätten. Aber jetzt neulich gab es ja nochmal so ne Choreo „Für Verein und Vaterland“, da fällt einem echt die Kinnlade runter. Aber ich kenne viele linke Leute, die zu Hansa gehen und im Stadion selber da merkt man das eigentlich dass sich das total verändert hat im Vergleich zu von vor 25 Jahren oder so. Die Befürchtung ist natürlich trotzdem immer noch da, wenn man es wirklich mal wieder schafft aufzusteigen, und St. Pauli in die Stadt kommt, dann kommen die Ganzen Dorfassis da wieder hingefahren und stänkern da wieder rum sowie es früher auch war. Also, ich weiß gar nicht ob man sich das wünschen soll. Eigentlich ist der Verein gar nicht mehr so schlecht wie sein Ruf so von früher ist.Ich geh auch mal hin wenn ich Zeit habe und ich glaube mein Bruder geht oft hin, da rennen ja auch die LeFuute von Feine Sahne rum und so, da sind ja auch viele andere Leute immer. Und ich hab auch damals immer, als es noch wirklich krass war , gesagt: „Nee, wir können jetzt den Verein auch nicht den Arschlöchern überlassen“. Man kann sich ja auch nicht sich dann zurückstellen und sagen: Ok, dann gehört der Topverein in meiner Stadt jetzt den Rechten. Das kann es ja auch nicht sein, also da muss man schon versuchen auch da zu sein und laut zu sein und stark zu sein.
AFL: Es ist ja auch tatsächlich kein Problem, was nur auf Rostock bezogen war zum Beispiel. Da kann man in die meisten Fussballstädte fahren.
Gunnar(übernimmt) Das war ja damals schon so, dass war ja so ein Vorzeigekonflikt damals, gerade Rostock gegen St. Pauli und das war auch ne krasse Zeit. Das hat sich gebessert, auch der Verein hat es irgendwann eingesehen. Die haben auch immer erst gesagt: „Neiiin, wir haben kein Problem, das gibts überall.“ Und irgendwann haben die Verantwortlichen dann gesagt: „Nein, wir haben in Rostock ein Problem“. Und da haben angefangen die Spieler in Schulklassen zu gehen und haben angefangen auf die Eintrittsskarten zu drucken „Kein Platz für Rassismus im Stadion“ und so. Gut, als Verein ist man natürlich irgendwann auch machtlos gegenüber den Spacken, die gerade Auswärts immer mitfahren und da Scheiße bauen. Aber diese letzte Choreo war nochmal unter aller Sau und ich weiß nicht, weil, die war ja auch vom Verein genehmigt. Ich fand´es absolut schrecklich.
AFL: Zum Thema Politik: Kriegt ihr es denn hin, Euch mit Bands, bevor ihr auf Tour geht, Euch mit den ganzen Bands auch zu beschäftigen? Es gibt ja mittlerweile viele Bands, die sich in der Grauzone verirrt haben.
Gunnar: Joa, ich mach´das ehrlich gesagt ganz wenig. Ich vertrau da eigentlich den Veranstaltern, ich kenn´die meisten ja auch seit Jahren. Ich vertrau´da auf die, dass die uns nicht mit irgendwelchen Halunken zusammen buchen. Schwierig auf jeden Fall und unübersichtlich! Ist auch so ne Geschichte, wo wir uns auf jeden Fall fernhalten von. Also, mit der Grauzone wollen wir nichts zu tun haben und es gibt ja auch viele, die sagen: „Musik muss unpolitisch sein“ und so. Das ist nicht so unser Ding.
AFL: Alles klar, klare Worte. Vielen Dank für das nette Interview. Ich freue mich auf 29 weitere Jahre mit Euch!