Best-Of HC-Punk 2024: Der Jahresrückblick von Fischi

"Auf You’re Not In This Alone spüre ich die Wut, das auf die Zähne beißen und den Willen, trotz innerer Zerrissenheit und den täglichen Kämpfen mit der Welt und sich selbst, nicht aufgeben zu wollen." Fischi und sein Jahresrückblick 2024.

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Das Jahr 2024 ist vorbei. Es ist so viel passiert, bei mir privat wie auch in der Welt. Ich beginne mit dem Schönen: Im Mai bin ich Vater geworden, was meine Welt total auf den Kopf gestellt hat. Positive Emotionen, die ich in der Form vorher nicht kannte und Glücksgefühle wechseln sich mit Ängsten, Übermüdung, sowie hin und wieder auch Frustration ab. Ich durfte in den vergangenen Monaten viel über mich selber und mein Umfeld lernen, was eine große Bereicherung darstellt. Neben der schönen Elternzeit, tollen Urlauben und Zeit zu dritt hatte ich das Privileg (an dieser Stelle vielen Dank an dich, Tschuli! <3), dass auch die Freundschaften, Konzertbesuche und eigenen Projekte mit der Band nicht zu kurz kommen mussten.

Dem privaten Glück gegenüber gestellt gab es im Jahr 2024 politische Tiefschläge mal wieder zuhauf: Trump als neuer-alter Präsident, der fortschreitende Rechtsruck mit allerlei Facetten – rhetorisch wie auch praktisch – in Deutschland und Europa, eine Klimakatastrophe die aus allen Schlagzeilen verschwunden scheint (aber leider sehr präsent ist), Kriege und Zerstörung in allen Teilen der Welt und ein daraus resultierendes Ohnmachtsgefühl, welches sich durch große Teile der progressiven und linken Kräfte zieht, lässt mich erahnen, dass wir auf etwas ganz Übles zusteuern.

Es gibt also weiterhin genug Futter für unsere Szene, nicht nur als Ventil und Ausdrucksform, sondern auch für den Blick nach vorne, für das enger Zusammenrücken und weiterhin daran arbeiten, dass wir zusammen Dinge schaffen und gestalten – für eine bessere Welt, auch wenn das nur bedeutet, dass wir direkt vor unserer Haustüre damit versuchen anzufangen.

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Dass es auch 2024 so viele gute und wichtige neue Musik gab, könnt ihr jetzt im Folgenden lesen.

Aber erst noch ein paar Sätze zu mir: Ich bin Fischi, 32 Jahre alt und wohne in Ulm. Ich spiele ich in der Hardcore-Punk Band Act The Fool, betreibe das 2020 gegründete Label Modern Illusion Records mit meinem Bruder und schreibe seit 2017 für AWAY FROM LIFE, was bedeutet, dass dies bereits mein achter Jahresrückblick ist!

 

Alben des Jahres 2024

One Step Closer – All You Embrace (Run For Cover Records)

One Step Closer haben mich seit ihrer Debüt-EP From Me To You 2019 und ihrer ersten Europa-Tour fest am Haken. An dieser Band führte die letzten Jahre absolut kein Weg vorbei, wenn es um melodischen Hardcore geht. Auf All You Embrace setzen die US-Amerikaner ihren Weg unbeirrt fort, was bedeutet, dass sie immer noch auf melodische Gitarren, treibende Drums und Two-Step-Parts setzen, eine musikalische Weiterentwicklung allerdings gut zu erkennen ist: Pop- und Emo-Elemente mischen sich in den Sound, der so variabler und eingängiger wird. Die größte Entwicklung sehe ich in den Refrains, die so unglaublich catchy und mitsingbar sind. Auch die Stimme von Sänger Ryan Savitski hat sich verändert. So finden weniger Shouts, dafür umso mehr Gesangseinlagen auf All You Embrace Platz. Nach dem Wechsel der Gesangstechnik zwischen dem letzten Album This Place You Know und der EP Songs For The Willow ist das eine kluge Entscheidung, denn die hohen, kreischartigen Screams sind zwar besser für die Stimmbänder, gefallen mir aber nicht so arg wie die ehemals wuchtigeren Shouts. Dafür finden nun andere Elemente Platz auf All You Embrace, was für den Werdegang der Band nur folgerichtig ist. Und ich bin mir sicher: Es ist noch lange kein Ende in Sicht.

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Love Letter – Everyone Wants Something Beautiful (Iodine Records)

Okay, das Debüt-Album von Love Letter ist ein echter Stimmungskiller. Die Band aus Providence in den USA hat eben erst ihre erste Europa-Tour angekündigt, bis dahin sind sie in unseren Gefilden für mein Empfinden komplett unter dem Radar geflogen. Ich kann nicht verstehen wieso. Denn Mitglieder der Band sind u.a. Jay Maas (Ex-Defeater) und Quinn Murphy (Ex-Verse). Letzterer hat für mich immer noch eine der, wenn nicht die beste Stimme im Hardcore und Punk. Nur ganz wenige bekommen es hin, so viel Emotionalität, Verzweiflung, Wut und Flehen in eine unverkennbare und wiedererkennbare Stimme zu legen und das so, dass jedes Wort klar verständlich bleibt. Aggression von Verse ist für mich immer noch eines der wichtigsten Alben überhaupt, deshalb war es für mich auch fast unmöglich Love Letter nicht gut zu finden. Und ich wurde nicht enttäuscht. Die musikalische Ausrichtung ist allerdings eine etwas andere: Schleppender, mehr Variabilität an den Gitarren, die stellenweise richtige Wände aufbauen und generell eine fast nihilistische Grundstimmung, die es schwer macht, das Album von vorne bis hinten durchzuhören. Nach dem ersten Auflegen war ich erstmal bedient, denn das ist wirklich schwere Kost. Aber, und da bin ich mir sicher: Ihr nehmt das Album ein zweites und drittes Mal in die Hand und es entfalten sich neue Aspekte, denn hier sind keine Anfänger am Werk. Die Vielschichtigkeit braucht ein paar Durchläufe, um sich ganz zu offenbaren. Es lohnt sich dran zu bleiben!

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Alkaline Trio – Blood, Hair, And Eyeballs (Rise Records)

Eigentlich ist es fast unmöglich an Alkaline Trio vorbeizukommen, wenn man mal mehr als 15 Jahre in den Punk/Hardcore-Gefilden unterwegs ist. Ratet mal, wer es dennoch geschafft hat? Richtig! Tja, irgendwie hat mich nichts an der Band angesprochen, so dass ich ihr bis zum neuen Album Blood, Hair, And Eyeballs auch keine Chance gegeben habe. Völlig zu Unrecht, wie sich jetzt zeigt. Denn was Matt Skiba und Co. hier vorlegen ist in meinen Augen ein Meisterwerk und das sage ich, ohne auch nur ein anderes Alkaline Trio Album bis zum heutigen Tag gehört zu haben. Denn auf diesem Album schaffen es die Punkrock-Urgesteine eine melancholische, beklemmende und gleichzeitig packende Grundstimmung zu erzeugen, die sich durch das ganze Album zieht. Die Songs sind unglaublich gut geschrieben und arrangiert, jedes Instrument wird perfekt eingesetzt, ohne übertrieben zu wirken: Die Gitarre setzt die Akzente an den richtigen Stellen, weiß sich aber auch zurückzunehmen. Der Bass hat einen angenehmen Klang und blitzt immer mal wieder hervor. Besonders die Stimme von Matt Skiba ist es jedoch, die Stimmungen erzeugt und in den grandiosen Refrains am besten zum Ausdruck kommt. Beste Songs? Das ist ganz schwierig zu sagen, da das Album für mich ein Gesamtkunstwerk ist und die Songs stellenweise so unterschiedlich (Hot For Preacher vs. Versions Of You) sind, dass sie kaum gegenüberzustellen sind. Wenn ich mir zwei aussuchen müsste, wären es Shake With Me und Teenage Heart. So, jetzt muss ich mich dann wohl doch mal an die anderen Alkaline Trio Alben wagen.

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Lifecrusher – In Death We All Rot The Same (Side 2 Side Records / Inhumano Records)

Lifecrusher haben sich die letzten Monate und Jahre den Arsch abgetourt und nach zwei EPs nun ihr erstes Album veröffentlicht. Und es geht genau da weiter, wo es auf den EPs aufgehört hat: Ein Brett von Hardcore, gespickt mit feinen Gitarren-Riffs, Mosh- und Mid-Tempo-Parts und einer Sängerin Rami, die auf In Death We All Rot The Same aber mal alles loslässt. Die Energie die hier versprüht wird knallt einem durch die Boxen im Wohnzimmer entgegen und wirft dich aus dem Sessel. Die zehn Songs fegen mir in lediglich etwas über zwanzig Minuten um die Ohren, das passt jedoch exakt so – alles darüber wäre unpassendes Beiwerk. Was gibt es also noch zu sagen? Ich denke ein Blick in das Video zu Suspension Of Belief reicht um darzulegen, wo hier die Reise hingeht – per Stagedive in die Mitte des Moshpits!

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Antilopen Gang – Alles muss repariert werden (Antilopen Geldwäsche)

Hoppla, da wäre mir doch fast das neue Antilopen Gang Album für den Jahresrückblick aus dem Gedächtnis entfallen. Und das, obwohl ich das Album nach Release wirklich extrem oft gehört habe. Vielleicht ist es deshalb die letzten Wochen in den Hintergrund gerückt? Sei’s drum, Alles Muss Repariert Werden, welches als Doppel-LP mit Rap- und Punk-Platte aufwarten kann, hat mich mal wieder komplett überzeugt. Obwohl mir auch der Rap-Teil gut gefällt, sind es die Punk Songs, die mich überraschen und auch begeistern. Meiner Ansicht nach schaffen die Antilopen das, was viele andere Punk-Bands zurzeit nicht schaffen: Sie entwickeln das Genre weiter, ohne die Grundelemente zu verwässern und kombinieren teils sehr intelligente und zum Nachdenken anregende Texte, mit platten und konfrontativen Aussagen. Musikalisch gibt es hauptsächlich 77er- und Garagen-Punk, teilweise mit wirklich tollen Refrains und Melodien. Der beste Song ist Weg Von Hier, aber auch Muttertag oder Der Romantische Mann sind echte Hits. Vor 20 Jahren noch undenkbar, jetzt Realität – müssen die Rapper nun Punk retten?!

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Weitere gelungene Alben:

Drug Church – Prude (Pure Noise Records)

Mit Prude setzen Drug Church ihren Weg unbeirrt fort und basteln weiter am Legendenstatus!

Shoreline – To Figure Out (Pure Noise Records)

Sympathische Band, die zurecht da steht wo sie steht. Auf To Figure Out gibt es wieder mal fast ausschließlich Hits!

Stand Still – Steps Ascending (DAZE)

Melodischer Hardcore mit vielen Singalongs – gute Laune garantiert.

Kettcar – Gute Laune ungerecht verteilt (Grand Hotel van Cleef)

Das erste Album seit sieben Jahren und wieder ein Volltreffer. Gut Ding will Weile haben…

Gear – Defined Horizons (Passion Means Struggle, Illwill Records)

Erst vor wenigen Tagen erschienen und ein starkes HC-Album 2024. Youth Crew!

 

EPs des Jahres 2024

Spiral – You’re Not In This Alone (DBNO Records)

Als ich das Cover, das Artwork und den Bandnamen gesehen habe, wusste ich: Spiral werden mir taugen. Wie krass die erste EP dann bei mir eingeschlagen ist, hätte ich nicht vorausahnen können. Spiral verkörpern für mich derzeit das, was modernen Youth Crew Hardcore ausmacht: Spielerisches Geschick, eine sentimentale aber kämpferische Grundstimmung durch die variablen Gitarren, tolle Texte und generell wird ein Gesamtwerk geboten, welches in sich stimmig ist und zum Two-Steppen und Mitschreien animiert.

Auf You’re Not In This Alone spüre ich die Wut, das auf die Zähne beißen und den Willen, trotz innerer Zerrissenheit und den täglichen Kämpfen mit der Welt und sich selbst, nicht aufgeben zu wollen. Verpackt wird das in richtig guten Songs, von denen es hoffentlich bald mehr auf einem Album zu hören geben wird. Deutschlands spannendste Hardcore-Band zurzeit!

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Scheitern – EP1 (DIY)

Die Indie-Punks aus Freiburg haben zwar alte Bekannte in der Band, der Sound ist jedoch frisch und neu. Neunundneunzig ist ein Über-Hit, der Refrain kickt richtig. Auch textlich wird hier viel geboten und die EP hat so ein schönes Artwork, welches stark an Black Flag erinnert. Live hat mich Scheitern (geiler Bandname btw!) ebenfalls überzeugen können, also eine runde Sache! Auch hier hoffe ich bald auf neue Aufnahmen und Live-Shows.

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GEL – Persona (Blue Grape Music)

Die US-Amerikaner*innen aus New Jersey konnten sich in den letzten Jahren in viele Herzen der Leute spielen, die das Beste aus Hardcore und Punk wollen. Denn GEL liefern simple Gitarren-Melodien, die jedoch so gekonnt und reduziert eingesetzt werden, dass das schon gar nicht mehr so simpel ist. Dazu kommen ein paar Breakdowns hier, eine wuchtige Stimme da und die immer wiederkehrenden Two-Step-Parts – und schon ist die perfekte Rezeptur für eine wilde Live-Show gefunden. Ich liebe GEL!

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Distante – Nada Se Puede Comparar (Passion Means Struggle)

Distante liefern Youth-Crew Hardcore-Punk aus Buenos Aires, der mich total abholt, weil exakt mein Geschmack an Hardcore getroffen wird: Schnell, wütend und mit tanzbaren Mid-Tempo-Parts gespickt. Macht tierisch Laune und so ist Nada Se Puede Comparar nach einem Demo und einer EP die logische Fortführung des eingeschlagenen Wegs. Dass meine Band die Argentinier*innen im Januar auf einer Show ihrer Europa-Tour supporten dürfen setzt dem Ganzen die Krone auf.

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Deadweight – Desolace (DIY)

Die neuen Hardcore Schwergewichte aus Stuttgart hauen mit Desolace eine erste Wahnsinns-EP raus! Die starke Produktion, ein ausgefeiltes Songwriting und spielerisches Können haben mich bereits im April überzeugen können (siehe Review von damals) und daran hat sich nichts geändert. Diese EP läuft immer noch regelmäßig und wird das auch noch eine ganze Weile tun. Holt euch eine der schicken Platten!

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Weitere gelungene EPs:

Blossom Decay – Sorrow Falls (Modern Illusion Records)

Für mich eigentlich zu hart, gehen Blossom Decay dennoch erstaunlich gut rein. Sorrow Falls In A Ruthless Embrace ist ein Über-Hit!

Lifelike – A Brand New Day (Passion Means Struggle, Youth 2 Youth Records)

Gerade erst veröffentlicht und trotzdem voll eingeschlagen. Youth-Crew Hardcore aus Prag, geil!

 

Highlights des Jahres 2024

Das Jahr 2024 war voll mit Highlights! Mein wichtigstes und größtes war das Release der EP Nebel meiner Band Act The Fool. So ein Release ist für mich immer ein riesiges Drama: Uneinigkeit bei der Cover-Gestaltung, Suche nach Labels, Hin und Her mit dem Presswerk, und und und. Nach Monaten Arbeit haben wir es dann aber doch geschafft und im Juli war das Release. Dementsprechend bin ich mega stolz auf unsere 12inch-EP, mit der wir einen großen Schritt als Band nach vorne gemacht haben. Das Cover gefällt mir total gut, die Songs sind vielschichtiger und besser als die letzten und dass wir gleich vier Labels an Bord haben, die uns beim Verbreiten helfen, ist einfach nur schön. Ein weiterer Punkt, den ich von meiner Liste abhaken kann. Die Release-Show fand im Juli bei uns im brechend vollen Proberaum mit vielen Freundinnen und Freunden statt und hätte besser nicht sein können. Es folgten viele weitere Shows, die alle total gut liefen & das Publikum Spaß hatte und auch die nächsten Monate steht viel an. Danke an alle, die diese Band supporten! <3

Act The Fool Platten-Release

Über das Release unserer EP konnte ich den Menschen hinter dem sehr umtriebigen DIY-Label Passion Means Struggle kennenlernen. Manu besuchte uns bei unserer Release-Show und beim Konzert am Tag vorher und ist einfach ein total entspannter Typ, mit dem man super abhängen kann. Ein weiteres Highlight sind also die Menschen, die ich durch Punk und Hardcore kennenlernen kann. Ich bin der Meinung, nirgends sonst trifft man spannendere Charaktere.

Bei uns in Baden-Württemberg, vor allem in der Stuttgarter Region, sprießen die Hardcore-Bands gerade nur so aus dem Boden. Das ist total gut, die Szene ist lebendig und sehr kreativ! Dass bei vielen neuen Bands (Defiance, Sliver, Prison Of Hope mit Besetzungswechsel) viele FLINTA-Personen beteiligt sind ist eine super Entwicklung und ein weiteres Highlight!

Außerdem gab es 2024 natürlich auch tonnenweise lohnende Live-Shows, von denen ich – bis auf die meiner eigenen Band – aufgrund der sich veränderten Lebensumstände nicht so viele wie die Jahre zuvor besucht habe. Zwei muss ich hier aber herausheben:

07. Juni 2024 NOFX in Augsburg

Im letzten Jahresrückblick habe ich mich noch über die Wucher-Preise für die NOFX-Abschiedsshows aufgeregt. Ich meine, 90€?! Aber okay, um dafür ein letztes Mal die Helden der Jugend sehen zu können… Das Event fand in Augsburg auf einem alten Gaswerk-Gelände statt, als Open Air bei über 30 Grad Hitze. Die Location war cool und hatte seinen eigenen Charme. Schon um 14 Uhr waren wir da und haben uns somit das komplette Spektakel angeschaut. Das Ganze ist auch schnell beschrieben: Von den sechs Vorbands hat mir eine wirklich gut gefallen (Get Dead), drei waren okay (DFL, The Last Gang, Negative Approach) und zwei waren langweilig/belanglos (Codefendants) bzw. zusätzlich noch peinlich (Circle Jerks), weil Keith Morris wirres Zeug gelabert hat und die Band einfach keine Energie mehr rüberbringt. Ich verstehe, dass NOFX nach Jahrzehnten im Punk-Kosmos nochmal mit ihren alten Weggefährten spielen wollen, aber etwas frisches Blut hätte dem Ganzen sicher nicht geschadet. Trotz alledem konnte die Zeit super mit Quatschen, Bier trinken, auf dem Gelände rumschlendern und sich über die 40€-Shirts von NOFX aufregen gut rumgebracht werden.

Als es dann gegen 21 Uhr endlich so weit war, gab es schließlich auch kein Halten mehr. Ab dem ersten Song musste ich mich vorne reinwerfen und in einem relativ harten Pogo blaue Flecken abholen – geil! NOFX spielten ein starkes Set, auch wenn sie von den vierzig angestrebten Songs mit neunundzwanzig gespielten dann doch ein gutes Stück entfernt waren. Sei’s drum, ich glaube das wäre mir dann auch zu viel gewesen. Ganz ehrlich: Mehr als eineinhalb Stunden Punkrock pro Band muss wirklich nicht sein und beim alternden Publikum vor der Bühne merkte man gegen Ende auch spürbar, dass die Kräfte nicht mehr unendlich vorhanden waren. NOFX spielten sich quer durch ihre Diskografie und ließen für mich keine Wünsche offen. Ein Highlight war, dass sie Falling In Love spielten, den habe ich live noch nie hören dürfen und ist für mich einer der besten NOFX-Songs! The Decline markierte das grandiose Finale eines tollen Abends und war der letzte live gespielte NOFX-Song für mich. Danke für viele Jahre grandioser Musik, toller Texte und (meist) humorvoller Live-Shows!

NOFX live in Augsburg

19.06.2024 Bane, Comeback Kid, Minus Youth in Stuttgart

Die einen hören auf, die anderen kommen zurück: Was für eine Nachricht war das, als Bane eine Europa-Tour angekündigt haben, zusammen mit niemand geringerem als Comeback Kid. Dass dann die local heroes Minus Youth noch den Support machen würden, setzte dem Ganzen natürlich die Krone auf. Die Tickets waren innerhalb von zwei (!) Minuten ausverkauft, ich hatte Glück und konnte drei Stück ergattern. Als Bane neun Jahre vorher im Juha West auf ihrer Abschiedstour spielten war ich ebenfalls am Start, damals waren noch Backtrack dabei, auch ein geiles Package. Nun also wieder im Juha West. Der Abend begann früh mit Minus Youth und es gab bereits ordentlich Bewegung vor der Bühne. Textsicher und tanzfreudig startete der Abend, Minus Youth machten es der Menge aber auch einfach direkt einzusteigen – kraftvoll, energetisch und wütend fegten die Stuttgarter durch ihr Set. Danach betraten die Kanadier Comeback Kid die (sehr niedrige) Bühne. Stagedives, Singalongs und ein Moshpit, der es allen ermöglichte daran teilzuhaben, waren die Reaktionen des Publikums. Neue wie alte Hits wurden gespielt und so ist Comeback Kid auch für mich zum x-ten Mal live keine Enttäuschung, im Gegenteil. Bei Bane war es dann vor der Bühne nicht mehr ganz so enthusiastisch wie zuvor bei Comeback Kid, was ich absolut nicht verstehen kann, aber immer noch in einem guten Rahmen. Auch hier gab es viele Singalongs und Stagedives und natürlich hab ich jede Zeile mitgeschrien. So endete der Abend mit einem dicken Grinsen auf dem Gesicht und der Erkenntnis, dass diese Art von Hardcore immer noch funktioniert.

Comeback Kid | Foto von xembracex.de

Enttäuschungen des Jahres

Da ich den Blick lieber nach vorne richten mag, halte ich mich nicht lange an diesem Punkt auf. Dennoch gibt es an dieser Stelle das ein oder andere zu sagen.

Mir ist in diesem Jahr aufgefallen, dass vermehrt Beatdown-Bands bei mir in der Region spielen und es generell ein kleines Revival gibt, und so ein in meinen Augen schwieriges Publikum angezogen wird. Crowdkilling und sinnlos auf Leute einschlagen haben für mich nichts mit Hardcore zu tun. Im Gegenteil: Hardcore sollte für jede*n offen stehen, Hardcore sollte ein Raum sein, in dem man keine Angst vor Übergriffen (und somit natürlich auch nicht vor körperlichen) haben muss und Hardcore sollte gewisse Grundwerte haben, mit denen sich alle identifizieren können. Mir persönlich ist es völlig egal, wenn sich Hooligans auf irgendeinem Acker die Fressen einhauen, da dort niemand Unbeteiligtes gefährdet wird. Genau so sollte das aber auch auf Shows gesehen werden: Wenn Menschen da sind, um sich die Musik anzuhören, sollte klargestellt sein, dass ihnen nichts passiert, schon gar nicht, wenn sie ganz hinten stehen. Ein Regelkatalog muss dafür nicht unbedingt aufgestellt werden, es reicht den gesunden Menschenverstand walten zu lassen und sich seiner Privilegien (in vielen Fällen groß, männlich, …) bewusst zu sein.
Dass sich einige Akteure (ich verwende bewusst die männliche Form) gezielt über die Forderung, Hardcore zu einem Safe Space zu machen, lustig machen, zeigt mir, dass Weitsicht und Problemeinsicht fehlen. Leute: Wenn ihr jemanden boxen wollt, versucht es mal bei den lokalen Nazis oder geht zum Kampfsport!

 

Ausblick für 2024: Für das nächste Jahr wünsche ich mir…

  • Viele Konzerte mit meiner Band und als Besucher
  • Neue Musik von The Lawrence Arms & Banner Pilot
  • Dass sich die positive Entwicklung in der Szene verfestigt und Hardcore & Punk in diesen düsteren Zeiten einen Gegenpol zu autoritären gesellschaftlichen Entwicklungen darstellen können. Lasst uns zusammen wieder eine Szene aufbauen, die sich nicht nur um die coolsten Moves auf Instagram dreht, sondern die wirklich etwas verändern möchte – auf den Dörfern und in den Städten!
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