Perceptions, Wahrnehmungen, heißt das zweite Album der deutsch-walisischen Indie-Punks Cadet Carter und bezeichnender Weise zeigt das folgende Review, dass es wirklich so eine Sache ist mit Wahrnehmungen. Denn je nach Blickwinkel und Stimmung nehmen wir auch Musik anders wahr.
Nachdem ich nach dem ersten Hören – müde und abgeschlagen von einigen harten Wochen – nicht wirklich begeistert war von der Platte, habe ich sie mit jedem weiteren Mal Hören – etwas ausgeschlafener und tatsächlich mit positiverer Einstellung – mehr und mehr ins Herz geschlossen. Doch von Anfang an, um euch einen neutralen Blickwinkel bieten zu können:
Auf Perceptions, dem zweiten Album von Cadet Carter, sind die Augen der Kritiker gerichtet, das wissen die in München beheimateten Musiker. Schließlich ist das mit dem Zweitlingswerk so eine Sache. Es heißt, das Debut zu übertreffen und zu zeigen, dass man seinem Stil treu geblieben ist, gewachsen ist und gleichzeitig gilt es zu überraschen.
Im Zusammenhang damit haben Cadet Carter eine 15-minütige Dokumentation veröffentlicht: In Be Somebody lernen wir die Band und die Entstehung von Perceptions kennen. Wer noch mehr über die Band erfahren möchte: Bassist Passy stand uns kürzlich im Interview Rede und Antwort.
Doch zurück zur Platte: Die ziert ein komplett in Blau gehaltenes Cover, eine Fotografie von einem leeren Wartebereich eines Flughafens, nur ein Mensch huscht durchs Bild. Das Titelbild lässt vermuten, dass es um Leere, um Einsamkeit und ums Sich-verloren-Fühlen geht. Oder doch nicht?
Wie ich die Platte wahrnehme, nachdem ich sie zum zweiten und dritten mal gehört habe: Der Titeltrack gleich zu Beginn der Platte gibt einen Vorgeschmack auf die übrigen 11 Lieder, die sich durchgehend zwischen Traurigkeit und einer mutigen Aufbruchstimmung bewegen. Alles eine Frage der Wahrnehmung eben.
Auf den Track Speed Of Sound, der mich noch nicht zu hundert Prozent überzeugt, folgt Telescope, einer der für mich besten Songs auf Perception. Das liegt zum einen an den flageoletartigen Gitarrenpickings im ersten Part, dem unverzerrten Gitarrensound und daran, wie sich Gesang und Instrumente ineinander verweben und stützen. Die leicht kratzige Stimme von Sänger Nick Sauter sticht hervor, ohne aufdringlich zu wirken. Die Gesangsmelodie gibt ihr Übriges.
Ebenfalls sehr ausgewogen und „erwachsen“ klingt Bad Few Weeks. Kein Wunder, schließlich markiert der Song genauso eine Schwelle im Leben von Sänger und Gitarrist Nick Sauter.
„Ich hatte eine echt miese Phase in meinem Leben, habe dumme Entscheidungen getroffen, und mir selbst zu viel zugemutet – und mit dem Songwriting kam ich auch nicht weiter. Also setzte ich mich eines Abends mit der Gitarre hin und spielte ein paar Akkorde und sang was mir durch den Kopf ging:
„It’s been a bad few weeks and I’m scratching the walls until it stops and that feeling is gone.“
Zwanzig Minuten später war der Song fertig. (…) Jeder hat einmal eine schlechte Phase, macht dumme Sachen und muss sich am eigenen Schopf wieder aus der Scheiße ziehen.“
Der Song besticht durch sein gutes Songwriting und ein Schlagzeug, das sich den ein oder anderen Schlenker gönnt, ohne aus der Reihe zu tanzen. Und er zeigt, dass die Jungs durchaus schneller und energischer können. Diese zusätzliche Energie hätte dem ein oder anderen Song auf Perceptions auch sehr gut zu Gesicht gestanden.
Mein Highlight auf Perceptions ist das Akustik Stück Hold Me Down. Schon die ganze Zeit musste ich beim Hören der Platte an Bands wie Jimmy Eat World und Dashboard Confessional denken, hier ist die Ähnlichkeit so enorm, dass ich es erwähnen muss. Was den anderen Stücken an Leidenschaft und Emotionlität gefehlt hat, kommt hier in Hold Me Down zusammen. Ein wahnsinnig schöner Song, der zum Träumen einlädt. Das ist so ein Lied, das bitte nicht mehr aufhören soll. Auch hier sind die Percussions und das Schlagzeug zu erwähnen, die gerade so viel Details und Punch in das Stück bringen, dass es einen Drive erhält, ohne überladen zu klingen.
Windshields reißt mich aus diesem schönen Akustik-Gekuschel. Aber es sei ihm erlaubt, denn jetzt bin ich irgendwie drin oder die Platte hat sich spätestens jetzt eingegroovt. Viel bleibt nicht zu sagen außer: Tolle Melodie, guter Songaufbau und gute, detailverliebte Instrumentierung. Auch die folgenden Songs warten mit wirklich guten Melodien auf, die alle aus der Feder von Jimmy Eat World stammen könnten. Und das ist definitiv als Kompliment zu verstehen. Hervorzuheben sei hier Track 7, End / Begin!
New Shores sticht noch einmal durch mehr Wucht und eine rauere Stimme hervor. Das Songwriting ist wieder einmal eingängig, ohne beliebig zu wirken.
Zusammenfassend ist Perceptions für mich ein wunderbar eingängiges Emo-Indie-Pop-Punk Werk, das mag jeder mit einer anderen Kategorie bezeichnen. Auf jeden Fall aber ist Perceptions ein Album, das mit unglaublich gutem Songwriting überrascht. An manchen Stellen könnte der Gesang noch mehr Tiefe und Energie vertragen, das würde den wundervollen Melodien noch mehr Präsenz und Durchschlagkraft verleihen, sie noch packender machen. Aber vielleicht sehe ich das morgen auch schon wieder anders. 😉 Perceptions handelt davon, wie unterschiedlich Menschen die gleichen Dinge wahrnehmen und wie unterschiedlich unsere Erwartungen an Personen oder Dinge sein können. Wie nehmt ihr Perceptions wahr? Schreibt es uns gern in die Kommentare.
Fazit meinerseits: Unbedingt reinhören und zwar mehrmals versteht sich!
Abschließend bleibt noch zu erwähnen, dass Perceptions auf dem Label Uncle M erschienen ist. Das ist deshalb wichtig, weil es eines meiner liebsten deutschen Indielabel ist und das ist so, weil Uncle M unbestritten ein Händchen für musikalische Perlen haben. Es lohnt sich definitiv immer mal wieder vorbeizuschauen.
Tracklist
- Perceptions
- Speed Of Sound
- Telescope
- A Bad Few Weeks
- Hold Me Down
- Windshields
- End / Begin
- On The Edge
- Run For Me
- Dead Hands
- New Shores
- We Haven’t Met