Die Dreiergruppe Chaver ist aktuell in aller Munde, da sie erst vor wenigen Tagen ihr neues Album A Cellar Door über Injustice Records veröffentlicht hat. Der optimale Zeitpunkt also, um ein Interview mit der Band zu führen, genauer gesagt mit Gitarrist Winny.
Keine Götzen, keine Götter, kein System und keine Herkunft haben vor der Tatsache des Niedergangs bestand. In diesem Ableben sind wir alle gleich.
AFL: Zu Beginn die Standardfrage schlechthin – stellt euch und eure Musik doch bitte mal kurz vor.
Winny: Wir sind Chaver, bestehend aus Chris (Gesang, Bass), Willi (Schlagzeug, Gesang) und mir, Winny (Gitarre). Unser Musikstil lässt sich am ehesten mit einer Mischung aus Hardcore, Death Metal und einer Punk Attitüde beschreiben. Die Grenzen verschwimmen hierbei glücklicherweise. Auf unserer neuen Veröffentlichung A Cellar Door experimentieren wir zudem mit elektronischen Soundgerüsten. Chris und ich haben bereits vor Chaver in einer HC Band zusammengespielt. Chaver gründeten wir 2016 zusammen mit unserem damaligen Schlagzeuger. Kurze Zeit darauf übernahm Willi, den wir von gemeinsamen Touren mit seiner Powerviolence Band bereits kannten, die Position am Schlagzeug. Bei unseren ersten Veröffentlichungen waren wir noch auf der Suche nach einem eigenen Sound, der die Band repräsentieren würde. Mit der ersten EP (Swamp), die über Injustice Records herausgebracht wurde, kamen wir unserer aktuellen Klangfarbe näher.
AFL: Wie kam es dazu, dass euer neuer Longplayer so schnell fertig war? Standen manche Ideen/Songs schon länger fest oder kam alles spontan?
Wir haben direkt nach der Veröffentlichung von Transference angefangen uns Gedanken über den folgenden Longplayer zu machen. Dabei kamen wir schnell auf den Konsens eines Konzeptalbums. Die Thematik hinter dem Konzept stand dabei schon länger als die Songstrukturen selbst fest. Das Konzept mit allen Details wuchs über den Sommer 2019 zusammen und der eigentliche Songwriting-Prozess startete erst Ende des Jahres. Zumindest für die fünf Songs der A-Seite, die noch am ehesten nach Chaver 2019 klingen, welche wir wieder bei Jan im Hidden Planet Studio in Berlin aufgenommen haben. Für die B-Seite und unser Songexperiment haben wir uns lediglich die Strukturen zurechtgelegt und dem Entstehungsprozess bei Magnus in den lala Studios in Leipzig komplett undogmatisch hingegeben.
AFL: Die Thematik von A Cellar Door ist ja nicht unbedingt ein alltägliches Thema. Stellt die ganze Thematik und den Sinn des Albums doch bitte einmal kurz vor. Wie seid ihr darauf gekommen?
A Cellar Door basiert auf der Thanatologie (Sterbeforschung) der Psychiaterin Kübler-Ross. Sie hat Sterbende begleitet und verschiedene Trauerphasen reflektieren können. Diese Phasen sind durch Ablehnung, Wut, Verhandlung, Depression und letztendlich der Akzeptanz beschrieben. Vor dem Hintergrund haben wir diese Phasen des Ablebens auf jegliche menschliche Existenz umgesetzt. Die aktuellen Geschehnisse um uns herum auf politischer, wirtschaftlicher und letztendlich auf menschenrechtlicher Ebene sind bedrückend und lassen wenig Platz für Hoffnung, weshalb der gesamte Prozess des Lebens von uns als Trauerphase gespiegelt wird. Die rationalen Grundlagen haben wir wie folgt illustriert:
Nichts ist vor dem Hintergrund allen Sterbens von Bedeutung, am Ende steht immer der Tod. Keine Götzen, keine Götter, kein System und keine Herkunft haben vor der Tatsache des Niedergangs bestand. In diesem Ableben sind wir alle gleich.
AFL: Da es ja auch immer wieder Diskussionen über die Aussprache eures Bandnamens gibt – wie ist es denn richtig? Und wie ist der Name überhaupt zustande gekommen?
In der Gründungsphase gab es, wie so oft, ein Brainstorming zu infrage kommenden Bandnamen. Wir waren uns schnell einig, nicht unbedingt in dem englischsprachigen Rahmen zu suchen und gleichzeitig sollte die Bezeichnung noch einen Tenor aufweisen. Letztendlich sind wir im hebräischen Sprachschatz fündig geworden. Chaver (חָבֵר) bedeutet Freund/Kumpel und wird dabei häufig im linkspolitischen Kontext als Genosse verwendet. Für die Aussprache ist es wichtig zu wissen, dass das „Ch“ zu Beginn als starker Reibelaut ausgesprochen (wie das ch bei „Ach“) und das „v“ in Chaver wie ein „W“ gesprochen wird.
AFL: Gibt es denn schon Pläne für die Zukunft? Jetzt werden sicherlich erstmal die Clubs/Festivals unsicher gemacht, oder? Sofern es aufgrund der aktuellen Problematik zumindest möglich ist…
Für Mitte April war die Release-Show im Conne Island in Leipzig und Anfang Mai eine ausgedehnte Tour durch Deutschland und Westeuropa geplant. Wie du weißt, musste alles aufgrund der aktuellen Situation abgesagt bzw. verschoben werden. Die Festivals für den Sommer werden aktuell auch nach und nach abgesagt. Wann die Tour stattfindet, kann im Moment noch nicht genau gesagt werden. Jedoch befinden wir uns hierzu bereits in der Planung für den Herbst. Anfang Mai ist allerdings etwas in Planung, was sehr interessant werden wird. Dazu kann ich aber noch nichts sagen. Haltet Augen und Ohren offen.
AFL: Wie seht ihr die aktuelle „Corona-Lage“ und welche Auswirkungen hat es auf unsere Community?
Die Szene, die ja zum Großteil auf dem Erleben der Live-Konzerte und einem kreativen und toleranten Miteinander basiert, trifft die aktuelle repressive Verbotspolitik natürlich heftig. Was ich mir allerdings nur schwer vorstellen kann, ist, dass es Langzeitfolgen für die Community haben wird. Im Gegenteil denke und hoffe ich, dass es für den Moment Spenden für alternative Einrichtungen ebenso geben wird, wie einen positiv gestimmten Andrang auf wieder stattfindende Konzerte. Also ich meine, aktuell kann ja kaum Kohle für Konzerte und Bier ausgegeben werden, also warum nicht spenden. Zum Schluss erhält man sich dadurch sein soziales Umfeld. Auch Labels und Bands haben Online-Shops, bei denen man diese direkt unterstützen kann.
Ganz nebenbei: Es gibt in Leipzig und anderen Städten sogenannte „Gabenzäune“ (in Leipzig z.B. am Connewitzer Kreuz oder an der Feinkost Nähe Südplatz), an denen man Nahrungsmittel, Klamotten und sonstige Gebrauchsutensilien für finanziell schlechter gestellte Mitmenschen anbringen kann.
AFL: Eine Frage, die mich schon besonders lange interessiert: Welche Musik bzw. Bands beeinflussen euch denn am meisten? Was läuft bei euch momentan so?
Es ist eher so, dass wir uns gegenseitig mit den jeweiligen gegenwärtigen Musikgeschmäckern beeinflussen und darauf aufmerksam machen. Wir diskutieren viel über Songwriting, Recording und Wirkung vieler verschiedener Musikrichtungen. Das reicht hierbei auch teilweise weit über den Hardcore, Metal und Punk Kosmos hinaus. Auf Touren läuft allerdings schon vermehrt Hip Hop.
AFL: Habt ihr noch abschließende Worte, die ihr gerne loswerden möchtet?
Ein fetter Dank an alle Menschen, die uns in dieser für Bands schwierigen Phase supporten und die neue Platte bestellt haben, an Jan und Injustice Records, Magnus und den lala Studios, Jan und dem Hidden Planet Studio, Falco und True Pictures und Nino und die Trvefrykt Bande.