Containern, Mülltauchen oder Dumpster Diving: Die Mitnahme abgelaufener Lebensmittel ist für eingefleischte Crust-Punker so selbstverständlich wie die Sicherheitsnadel, die ihre Jacke zusammenhält. Das Containern jetzt auch in der Musikszene angekommen ist, beweist die Bautzner Band „MESSERKAMPF!“, die ihr komplettes Album aus dem Müll containert haben. Sänger Tobias Mehlwurm stand uns für ein kurzes, spannendes Interview zur Verfügung.
Hallo Tobias! Erzähl doch mal ein bisschen von eurem Projekt, z.B. wie kamt ihr dazu, eure neue LP zu containern?
Hey Leute, danke fürs Interesse. Wir haben uns bei der Produktion unseres zweiten Albums „Dritte Wahl“ bewusst dazu entschieden, mit Recordings zu arbeiten, die andere einfach weggeschmissen haben. Damit möchten wir ein Zeichen gegen den Konsum und gegen die Wegwerfgesellschaft setzen. Deswegen haben wir einige Wochen lang die Container hinter Musikstudios ausgecheckt, bis wir alles Nötige zusammen hatten. Und hey was soll ich sagen – das Album klingt wirklich klasse! Freeganism pur!
Und das funktioniert? Ist es nicht schwer, sein Album aus so begrenzten Mitteln zusammenzuschrauben?
Aber natürlich! Schau mal hier, dieser Blastbeat zum Beispiel. [Tobias zeigt uns einige Recordings seiner Container-Ausbeute] Der ist doch noch gut! Na gut, er trifft nicht ganz den Takt und man hört am Anfang die Hi-Hat nicht richtig, aber er ist trotzdem noch genießbar. Oder hier dieses fiese Gitarrenriff. [Man kann im Hintergrund hören wie der Tontechniker lacht, weil sich der Gitarrist krass verspielt] Aber immer noch besser, als dem Druck des Kapitals nachzugeben und die Riffs selber einzuspielen, während die Weggeworfenen doch noch verwertbar sind! Ich sage euch, die Industrie ist pervers. In einem Container haben wir sogar mal die kompletten Bassspuren einer renommierten Hardcore Band gefunden. Die haben den armen Basser wohl einfach durch ein Plug-in ersetzt – und seine komplett unverbrauchten Tracks in den Müll wandern lassen. Krank ist das.
Wie funktioniert dann das Songwriting von MESSERKAMPF!? Schreibt ihr noch eigenes Material?
Du musst dir es eher wie ein Arrangieren vorstellen, so wie wenn du die Patches und Buttons auf deiner Kutte zu einem Gesamtwerk zusammensetzt. Ich kann dir das mal kurz an meiner Jacke zeigen, also diesen Wolfbrigade Patch hier habe ich zusammen mit einer Sicherheitsna –
Und wie steht’s mit Gesang?
Du glaubst gar nicht, wie viele Takes da täglich in die Tonne wandern. Du wärst überrascht wie scheiße Sänger tatsächlich sind und wie viele Versuche die pro Song brauchen. Unsere erste Single „Dump me“ besteht nur aus Husten, Grunzen und „Nase hochziehen“ von Sängern zwischen den Takes. Das Endprodukt könnte auch ein All Pigs Must Die Song sein, ist aber 100% freegan.
Und wie kommt euer Albumkonzept in der Szene so an? Nachdem was ich so mitbekommen habe, war es schon stark polarisierend.
Auf jeden Fall. Viele Bands finden es echt mutig und sagen, dass es eigentlich richtig sei seine Alben so zu produzieren; die meisten trauen sich aber leider nicht. Viele finden es auch eklig und wollen nicht die Recordings anderer Musiker durchsuchen. Vereinzelt wird uns ebenfalls vorgeworfen wir würden uns am Eigentum anderer bereichern. Ich sage aber: Wer seinen D-Beat achtlos in den Abfall gibt, brauch sich nicht wundern, wenn er bei jemand anderem auf der Platte landet.
Als Frage zum Abschluss: Welchen Rat würdest du jungen Crust Punkern für deren Albumproduktion geben?
Nehmt euer Zeug selbst auf. Sucht euch einen Ort, um eure Musik selbst zu kultivieren. Ich selbst arbeite viel im alten Schreberstudio meines Opas – da kann ich genau die Tracks aufnehmen die ich brauche. Und alles was darüber hinaus übrig bleibt spende ich an bedürftige Beatdown Bands.
Vielen Dank für das Interview Tobias!
Hey, de nada.
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*Szene Putzen ist unsere augenzwinkernde Liebeserklärung an Hardcore, die Subkultur und all ihre Eigenarten. Schließlich heißt es doch so schön: Was sich liebt, das neckt sich.