Seit Tagen beschäftigt mich eine Frage, nämlich „Wo sind all die Linksradikalen mit ihrem Schießgewehr?“ Offensichtlich von der AFD missverstanden, denn die Frage, die sowohl in dem Song als auch auf dem Album gestellt wird, ist ja eher: Wo ist unsere radikale Linke und warum tut sie nichts angesichts der Pegadisierung des Abendlandes? Zwei Jahre nach Keine Argumente (Review hier) jedenfalls melden sich Egotronic zurück mit ihrem vermutlich politischsten Album.
Die letzten zwei Jahre sind nicht spurlos an der Band vorbei gegangen. Viele Songs des Albums beschäftigen sich mit der politischen Lage und entlarven die Extremismustheorie von Jesse und Backes als das, was sie ist: der Versuch Links- und Rechtsextremismus gegeneinander aufzuwiegen. Nur hat der Linksextremismus seit der RAF keine Toten mehr hervor gebracht, während man von mordenden Nazis fast wöchentlich lesen darf und von Übergriffen fast täglich, sei es NSU, der Mord an Lübcke oder sogenannte „Einzeltäter“, die all das töten wollen, was anders ist. Aber was ist ein Staat im Staate schon gegen ein besetztes Haus? Ein Dank an Egotronic, diese unbequemen Fragen mit den ersten Singleauskopplungen (deren Videos eine Art Inglorious Basterds ergeben sollen) gestellt zu haben. Mit Nazis reden? Nein, danke!
Der Ansatz von Egotronic ist dabei mal direkter, wie in der Single Linksradikale, mal zynisch (Ihr seid doch auch nicht besser), und mal persönlich gehalten (Die Quintessenz der Dinge). Daneben geht es weiterhin um Torsuns Erkrankung (Wie Dr. House), Berlin (Berlin im Winter) und der Zynismus der Arbeitswelt (Gewalt). Kantholz, geschrieben vor dem Lübcke-Mord, ist dagegen beängstigend real. An Gästen befindet sich wieder Alles Scheize (Quintessenz der Dinge) auf dem Album, daneben Martin Shitler bei 1 Like für euch und die mir bis dato unbekannte Supererbin bei Wie ein Mann.
Musikalisch ist man wieder mehr zu seinen Ursprüngen zurück, also C64- und Gameboy-Sound, ohne jedoch die Punkgitarren ganz zu entledigen. Dazu passt dann auch das Razzia-Cover Nacht im Ghetto. Ausfälle gibt’s leider auch: Hundesohn und Der Bürgermeister sind die beiden Songs, die sich gegen zwei Personen richten: Hundesohn richtet sich vermutlich gegen Seehofer, ist aber musikalisch noch ganz ok, aber der Refrain nervt schon beim zweiten Abspielen. Ähnlich ist es bei Der Bürgermeister, das Boris Pistorius gewidmet ist. Auch hier krankt das Lied vor allem am Refrain. Aber das sind zwei von 14 ansonsten wirklich gut gewordenen Tracks. Das liegt auch an der großartigen Produktion von Christian Mevs und Vredeber Albrecht (biede für die Live-Takes verantwortlich) sowie Rod Gonzalez (Abmischung und Produktion).
Ein großes und wichtiges Album zur rechten Zeit (Wortspiel leider intended)!
1. Wann fangen wir an 02:02
2. Linksradikale 03:49
3. Gewalt 02:48
4. Die Quintessenz der Dinge (feat. Alles Scheisze) 02:45
5. Ihr seid doch auch nicht besser 03:26
6. 1 Like für euch (feat. Martin Shitler) 02:24
7. Wie Dr. House 03:03
8. Hundesohn 03:28
9. Berlin im Winter 03:21
10. Kantholz 03:02
11. Nacht im Ghetto 02:09
12. Der Bürgermeister 02:50
13. Wie ein Mann (feat. Die Supererbin) 03:16
14. Adieu SPD 03:31
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