Das neue Egotronic-Album …ihr seid doch auch nicht besser (Review hier) ist derzeit neben Pascows Jade mein derzeitiger Jahresfavorit. Mein Review entstand kurz vor den desaströsen Wahlen in Sachsen und Brandenburg. Vor diesem Hintergrund habe ich die beiden Videos zu Kantholz und Linksradikale ziemlich oft angesehen. Sozusagen ein Lichtblick in dieser dunklen Zeit.
Dabei ist mir vor allem bei Kantholz aufgefallen, wie gehasst das Video von einigen wird. Das brachte mich auf die Idee, das Interview einfach mit den Hass-Kommentaren zu führen. Mal sehen, was dabei herauskommt. Ein paar Sachen waren mir deutlich unter der Gürtellinie, wie die zahlreichen Gewaltfantasien, die sich unter diesem Video befinden. Daher noch eine Frage zu Beginn:
AFL: Ist es eine bewusste Entscheidung, den ganzen Dreck da stehen zu lassen? Wurden Kommentare entfernt und wenn ja, was waren die Kriterien?
Torsun: Es wurde bei weitem nicht alles stehen gelassen. Audiolith hat sogar ne ganze Menge gelöscht. Ich meinte zwar, man solle alles stehen lassen, aber Audiolith hat schon Recht. Das war teilweise viel zu derbe und wenn dann Vergewaltigungs- und Vernichtungsfantasien auf unsere Hauptdarstellerin losgelassen werden, muss man schon intervenieren. Gibt es aber alles noch als Screenshots.
AFL: Fangen wir einfach mal an. Die Kommentare sind kursiv, meine Anmerkungen in Normalschrift. Hoffe, das wirkt nicht so verwirrend…
„Das ist Hasspropaganda in Reinform. Wer ist so krank, sowas zu produzieren?“ Also, wie entstand das Album, wer steckt neben dir dahinter und wie gestalteten sich die Aufnahmen?
Torsun: Den Hauptteil der Songs hab ich zusammen mit Kilian, der bei den Konzerten an den Tasten steht, geschrieben. Paar Songs hab ich auch ganz alleine komponiert, aber ich arbeite mittlerweile meistens mit Kilian zusammen. Macht auch oft mehr Spaß, als ganz alleine vorm Rechner zu sitzen. Die am Rechner produzierten Demoversionen gingen dann an die Mitmusiker raus, so dass jeder an seinen Parts feilen und zuguterletzt alles im Proberaum einstudiert werden konnte.
Man, wieso fällt mir erst nach dem dritten mal Schauen auf, dass das Video auf die Matussek-Party anspielt? Was ist das Konzept hinter den beiden Videos?
Torsun: Diese Party, die nur wegen den sozialen Medien publik wurde, war schon so etwas wie eine Zäsur. Plötzlich feiern Leute der sogenannten Mitte ganz ungeniert mit krassen Nazis. Für mich war schnell klar, dass das ganze Artwork der neuen Scheibe auf so eine Party anspielen sollte. Jetzt sind das Cover und die ersten beiden Videos in dem Style gehalten, wobei der erste Clip die Party und das zugehörige Social-Media-Gehabe realistisch abbildet, während der zweite schon durch das an Actionfilme angelehnte Colourgrading eine Fantasie zeigt.
„Menschen zu ermorden kann in einer Demokratie nicht die Lösung sein. Auch nicht „Künstlerisch“.“ Ist das so? Wie siehst du das? Was darf Kunst und was nicht?
Torsun: Dazu habe ich auf die schnelle keine gefestigte Meinung. Muss ich allerdings auch nicht haben, da in unseren Clips niemand ermordet wird. Es fällt nicht ein Schuss.
Wenn die ganzen besorgten Antilinken hier mal mehr als den Refrain gehört hätten, wäre diesen auch klar, dass dieser kein Aufruf zur Versammlung von „Linksradikalen mit dem Schießgewehr“ ist, sondern eine rhetorische Frage danach, wo die immer wieder heraufbeschworene linke Bedrohung denn zu finden sei.
Torsun: Exakt! Da hat jemand den Text richtig gehört. Aber die Faschos und „Besorgten“ müssen ihn zwangsläufig anders interpretieren, da unsere Clips – ganz im Gegensatz zur rechten Szene – keinerlei Entsprechung in der realen Welt hat. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb sie sich so gierig auf unsere Clips gestürzt haben. Sie wissen, dass ihre Szene die ist, die zwangsläufig mordet, weil sie das will und ideologisch auch muss. Sie suchen also zwanghaft nach Linkem, auf das sie diese Mordlust projizieren können.
Ja, bei der extremen Schieflage der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Verhältnisse kann einem schon Angst und Bange werden. Umso wichtiger, dass man mit solchen Songs den Leuten den Spiegel vorhält und ihnen die Augen öffnet.
Torsun: So in der Art sehe ich das auch. Man muss sich nur folgendes vorstellen: Leute ertrinken im Mittelmeer und die „Besorgten“ brüllen „Absaufen! Absaufen!“ Ein CDU-Mann wird erschossen und die „Besorgten“ meinen, dass er ja irgendwie auch selbst dran Schuld sei, der „Volksverräter“. Egotronic releasen zwei Videos und die „Besorgten“ schwadronieren von „Menschenverachtung“. Kannste dir echt nicht ausdenken, sowas.
„Kommen wir mal zu den wirklich wichtigen Fragen jetzt bitte.. wer ist die Dame im Video?“ Wie wurden die Darsteller ausgewählt?
Torsun: Aus Geldmangel haben wir fast ausschließlich auf Bekannte und Freund*innen zurückgegriffen. Die Hauptdarstellerin z.B. ist die Freundin von einem aus dem Video-Team.
„ist das [gemeint ist Kantholz – Anmerkung] ein Gewaltaufruf?“
Torsun: Wie kommst du darauf? Ich singe lediglich, dass es mir scheißegal ist, wenn mal ein Rechter fällt und nicht, dass er unbedingt fallen muss.
Lies nochmal den Titel des Videos. Eventuell kommst du irgendwann auf die Bedeutung des Videos, wenn du weißt, dass das Kantholz eine imaginäre Tatwaffe darstellt. Was anscheinend viele nicht verstanden haben, dass es sich um eine Anspielung auf Frank Magnitz handelt, der ja behauptete von Linken angegriffen worden zu sein. Erkläre uns mal die Bedeutung des Textes und des Titels.
Torsun: Der Titel bezieht sich auf den von dir angesprochenen Fall, wobei im Text exakt so viele Kanthölzer vorkommen, wie in der Attacke auf Magnitz, nämlich gar keine. In den Strophen zitiere ich quasi „besorgte Bürger“ und der Refrain ist in Anlehnung an den Text „Mit Nazis reden“ von Wiglaf Droste geschrieben.
AFL: Auch wurde angemerkt, dass die Frau im Video ja gar nicht abdrückt. Warum?
Torsun:Damit uns nicht vorgeworfen werden kann, dass wir im Video Menschen ermorden würden. Das wird zwar jetzt dennoch behauptet, ist aber offensichtlich gelogen.
Wo sind eigentlich all die Linksradikalen?
Torsun: Wenn ich das wüsste…
„Auszug aus WIKIPEDIA: „…..Egotronic beteiligt sich an der Initiative I Can’t Relax in Deutschland. Auch in den Texten der Band wird häufig politisch Stellung bezogen, etwa zu den Debatten um Leitkultur, Jürgen Möllemann und Antisemitismus sowie mit dem Song Nicht nur Raver zu den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen und den gewalttätigen Auseinandersetzungen in Mügeln 2007. DA EGOTRONIC DEN SOGENANNTEN ANTIDEUTSCHEN NAHESTEHT, HABEN SIE AUCH INNERHALB DER LINKEN SZENE WIDERSPRUCH AUSGELÖST. ….“ Der letzte Satz ist ja wohl eher noch harmlos ausgedrückt – naja, Wikipedia ist ja auch nicht wirklich objektiv, vor allem wenn es um politische Themen geht.“ Würdest du dich weiterhin als „antideutsch“ bezeichnen? Wie siehst du Egotronic in der linken Szene positioniert?
Torsun: Im klassischen und wahrsten Sinne des Wortes, ja. Allerdings muss ich mich doch in aller Deutlichkeit von der Strömung, die sich gerne „Ideologiekritiker“ nennt und die schlicht ins rassistische Wutbürgertum abgedriftet ist, abgrenzen. Das ist ein Haufen Hundesöhne, auf den sich mittlerweile nur noch andere Rechte wie z.B. die Identitären beziehen.
Ich will ja gar nicht auf den inhaltlichen Müll eingehen… aber diese unterbelichteten Antifakasper sollten es lassen die Bildsprache von Quentin Tarantino zu kopieren, dafür haben sie nicht die Mittel und nicht den Geist. Das Video erscheint mir ziemlich deutlich an Tarantino angelehnt zu sein.
Torsun: Tarantino stimmt nicht ganz. Ich schickte dem Filmteam den Trailer zu Machete und schrieb, dass der Clip bitte so aussehen solle.
Das soll Punk sein? Sid Vicious dreht sich gerade im Grab rum…..wäre wohl auch erschossen worden, weil er ein Swastika T-SHIRT getragen hat, was in England einfach die grösstmögliche Provokation war. Ihr seid lächerlich und kleinkariert, gegen euch sind selbst die Ärzte Hardcore 😁 und ihr habt NULL Ahnung, was Punk ist – nämlich GEGEN das Establishment und GEGEN den Mainstream ankämpfen – und nicht dafür! Ihr Pappnasen! —> Wie definierst du Punk und siehst du dich überhaupt als Teil einer Punkszene?
Torsun: Ich bin von Punk sozialisiert worden und tummle mich seit frühester Jugend in der Szene. Von daher sehe ich mich schon als Teil derselben. Punk bedeutet für mich allerdings auch, in jedem Fall Antifaschist zu sein und im Zweifelsfall Leuten, wie dem von dir zitierten Kommentatoren, Korrekturschellen zu verpassen.
AFL: Wo wir gerade bei den Ärzten sind: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Rod Gonzalez?
Torsun: Ich kenne den Rod schon seit Teenagertagen. Mein früherer Mitbewohner hat bei Wiedergründung der Ärzte in den frühen 90ern angefangen, für sie zu arbeiten. Dadurch lernte ich auch Rod kennen. Als ich bei Egotronic dann wieder Gitarren ins Spiel brachte, beschlossen wir, auch mal zusammenzuarbeiten. Diesen Entschluss haben wir bei den letzten beiden Platten in die Tat umgesetzt. Es ist wirklich großartig, mit ihm zu werkeln und er weiß einfach, gute Impulse zu setzen.
AFL: Wieso die Coverversion von Nacht im Ghetto?
Torsun: Die erste Razzia-Platte ist meiner Meinung nach eine der besten Deutschpunk-Platten überhaupt. Und Nacht im Ghetto ist mein Lieblingssong der Scheibe, zumal der auch total zeitlos ist. Lustigerweise wird das Thema heute eigentlich nur noch im Hip-Hop behandelt, aber Razzia brachten es mit Punk. Faszinierend. Jedenfalls hatte ich total Bock, den zu covern.
„Um mal ne andere linksgrünversiffte Band zu zitieren : „Wenn ihr kotzt geht es uns gut!““ Anders gefragt: was denkst du über Feine Sahne Fischfilet?
Torsun: Ist die derzeit vermutlich wichtigste Band des Landes. Was die alles auf die Beine stellen und wie sie ihre Popularität nutzen ist bewundernswert. Großartig. Ich kann zwar oft mit dem Pathos nix anfangen und hab sowieso einen ganz anderen Ansatz, Themen zu bearbeiten, aber scheiß egal: Vor FSF kann man nur den Hut ziehen.
AFL: OK, beenden wir das ganze Mal. Ein paar Fragen, die mir noch auf den Nägeln brennen, finde ich in den Kommentaren nicht. Ich hab mich sehr gefreut, Martin Shitler auf dem Album zu hören. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Torsun: Wir haben uns im Internet kennengelernt und fanden uns gegenseitig sympathisch. Ich dachte dann, ich frag einfach mal, ob er Bock hat und er hatte. So unkompliziert kam das zustande.
AFL: Mit Alles Scheisze ist es bereits die zweite Zusammenarbeit. Erzähl mal was zu der Band.
Torsun: Das sind junge, extrem sympathische Leute. Ich mag ihren Sound und die Texte. Wir verstanden uns direkt gut und so ergab sich, die ein oder andere Zusammenarbeit. Gerade bei der letzten Platte Keine Argumente (Anm.: Unser Review hier) unterstützte mich der Sänger von AS bei so manchem Text, weil es einfach passte. Ich mag die sehr.
AFL: Wer ist Die Supererbin?
Torsun: Eine junge Musikerin. Ich lernte sie bei einer Show der legendären Grether-Schwestern kennen und wir beschlossen direkt, zusammen einen Song zu machen. Hat sehr gut geklappt und jetzt soll es ein Gegenfeature auf ihrem kommenden Album geben.
AFL: Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass das Album musikalisch wieder etwas back to the roots geht. Täusche ich mich da?
Torsun: Ich finde auch, dass Ihr seid doch auch nicht besser wie eine Mischung aus dem letzten und dem ersten Album klingt. Vor allem Adieu SPD hätte mit elektronischen Drums auch auf …die richtige Einstellung sein können.
Mit „Wie Dr. House“ hast du ein neues Lied über deine Rheuma-Erkrankung geschrieben. Wie geht es dir gesundheitlich?
Torsun: Ganz ehrlich? Richtig beschissen, aber meine Ärztin und ich arbeiten daran, dass es wieder besser wird.
AFL: Danke auf jeden Fall für deine Zeit…
Torsun: Ich danke für das Interesse!
Mittlerweile ist auch das dritte Video aus dem Album erschienen und zwar zu dem Song Der Bürgermeister. Das könnt ihr euch unten genauso angucken wie die Tourdaten…