Fahnenflucht (Photo by Andi Langfeld)
Fahnenflucht (Photo by Andi Langfeld)

Mit ihrem aktuellen Album Weiter Weiter (Review) haben die Jungs von Fahnenflucht eine weitere Hardcore-Schippe daraufgelegt, bleiben den typischen Themen der Band aber treu.
Warum es für sie nie in in Frage kam einen Corona-Song zu schreiben oder wie sie mit Kritik umgehen, erfahrt ihr in unserem Interview mit Sänger Thomas.

Tagespolitische Themen unmittelbar in Songs zu verarbeiten, übt auf uns als Band allgemein keinen großen Reiz aus. Das fühlt sich für uns etwas zu sehr nach dem sprichwörtlichen Fähnchen im Wind an, wir haben da eher den Anspruch, etwas tiefer zu graben, um komplexere Zusammenhänge und Prozesse abzubilden.

AFL: Erst einmal möchte ich euch zu eurem neuem Album Weiter Weiter gratulieren. Wo ich auch schon beim meiner ersten Frage angelangt bin. Wie kamt ihr auf den Titel und worauf bezieht er sich?

Thomas: Vielen Dank für Lob und Review. Naja, ursprünglich sollte das Album einen anderen Titel haben. Während wir bereits im Studio die neuen Songs aufnahmen, erreichte uns per Zufall die Nachricht, dass eine befreundete Band ihr aktuelles Album identisch betiteln wird. Somit mussten wir uns etwas Neues einfallen lassen und entschieden uns für Weiter Weiter.
Erwähnung findet diese Formulierung auch im letzten Stück auf dem Album, Trümmer. Einerseits ein Aufruf nicht aufzugeben und andererseits der Ausdruck vom Hamsterrad, dass sich immer schneller dreht ohne das man einen Schritt voran kommt. Eine weitere Variante wäre beispielsweise die Aufforderung, trotz allem was so passiert nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Andererseits wäre auch eine Interpretation als zynische Reproduktion des kapitalistisch motivierten Rufs nach ewigem Wachstum möglich.

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AFL: Ihr habt euch, nach der Veröffentlichung eures Albums Angst und Empathie (Review) und den im Anschluss laufenden Shows, im Jahr 2017 eine kleine Auszeit genommen.
Was waren die Gründe dafür und war die Entscheidung damals einstimmig, dass ihr bisschen durchschnauben müsst?

Thomas: Ja, die Entscheidung fiel einstimmig. Nachdem wir 2017 das ganze Jahr über ziemlich viel unterwegs waren, hatten wir uns bewusst gemeinsam dafür entschieden, die erste Jahreshälfte 2018 verstärkt dem Songwriting zu widmen. Ab Herbst 2017 waren ja die ersten Demos entstanden, die wir dann in Ruhe weiterentwickeln konnten.

AFL: Ihr habt dann sechs Monate Pause gemacht. Wie habt ihr das überhaupt ausgehalten sechs Monate nicht zu spielen oder spielt ihr nebenbei noch in anderen Bands?

Thomas: Zum damaligen Zeitpunkt fühlte es sich gut an, nicht so häufig unterwegs zu sein. Wir hatten die Konzertpause ja genutzt, um intensiv an den ersten neuen Songs zu arbeiten, was in der geänderten Besetzung eine notwendige Findungsphase beinhaltete. Natürlich wurde zwischendurch auch einfach mal nichts getan.
Die Konzertabstinenz führte dann aber auch wieder zu verstärkter Motivation, den Bandbus zu laden und Gigs zu spielen. Verglichen mit der aktuell erzwungenen Konzertpause war das im Nachhinein betrachtet auch nur eine Minipause.

Um grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken, braucht es sicherlich mehr als ein paar Punkrock-Songs.

AFL: Ein Großteil der Songs sind im Zeitraum zwischen 2017 und 2019 entstanden, was man z.B. am Titel Welcome To Hell bemerkt, da dieser zumindest vom Titel her auf den G20-Gipfel in Hamburg abzielt (verbessert mich wenn ich da falsch liege). Nun hat das Album eine Spielzeit von über 45 Minuten, die in 14 Tracks abgerissen werden.
War euch von Anfang an klar, dass ihr tatsächlich alle Titel aufs Album bringen wollt oder hattet ihr auch überlegt Titel wie z.B. den bereits angesprochenen zu streichen, da dieser zwar immer noch aktuell ist, aber eben andere Themen justament eher im Fokus stehen und die Spielzeit ja auch hätte verkürzt werden können?

Fahnenflucht - Weiter Weiter (2021)
Fahnenflucht – Weiter Weiter (2021)

Thomas: Die Songs spiegeln grundsätzlich die Schaffensphase 2017-2019. Tagespolitische Themen unmittelbar in Songs zu verarbeiten übt auf uns als Band allgemein keinen großen Reiz aus. Das fühlt sich für uns etwas zu sehr nach dem sprichwörtlichen Fähnchen im Wind an, wir haben da eher den Anspruch, etwas tiefer zu graben, um komplexere Zusammenhänge und Prozesse abzubilden.
Ein Corona-Song war f
ür uns beispielsweise zu keinem Zeitpunkt eine Option. Der von dir angesprochene Titel Welcome To Hell ist ja nicht ausschließlich auf G20 bezogen, die grundsätzliche Problematik besteht ja nach wie vor. Dieses Stück zu streichen stand also nie zur Debatte.
Aktualität ist ein Kriterium aber nicht das Entscheidende. Wir fanden dieses Stück ganz spannend und auch in seinem Bezug zum G20 immer noch aktuell genug um veröffentlicht zu werden. Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. Die Spielzeit des Albums ist sicherlich hart an der Grenze. Vielleicht ist man sogar etwas erschöpft wenn es in einem durch gehört wurde. Das passende Gefühl zur Gegenwart.

AFL: Wie gerade angesprochen verarbeitet ihr auf dem Album hochaktuelle Themen, dennoch sind es leider immer noch dieselben wie auf euren fünf vorangegangenen Alben.
Kapitalismus, Fremdenhass, Umweltzerstörung – Themen denen ihr euch bereits seit eurer Gründung widmet. Fühlt ihr euch da nicht auch manchmal wie in einem Karussell, dass ihr versucht zu bremsen, aber es einfach nicht zum Stoppen bringen könnt?

Thomas: Um grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken, braucht es sicherlich mehr als ein paar Punkrock-Songs. Aber vielleicht gibt es ja einigen Menschen Mut und Hoffnung, wenn sie sich entgegen der Spaßgesellschaft eingestellt, durch den einen oder anderen Track in ihrer Perspektive bestätigt finden.
Auf dem aktuellen Album finden sich darüber hinaus durchaus auch einige persönliche Titel, zum Beispiel Energie, Asche, Serotonin oder Träume in Beton. Generell sieben wir bei den unseren Stücken zugrunde liegenden Inhalten nicht danach aus, ob das Thema schon ein alter Hut ist. Es gibt leider so viele problematische Themen, die nie an Aktualität verlieren. Vielleicht nervt es manchmal den x-ten Songs gegen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit zu schreiben, es nicht zu tun ist aber noch weniger eine Option.

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AFL: Ihr dankt auf dem Booklet eurem alten Gitarristen Reiner für die vergangenen 24! Jahre mit Fahnenflucht. Nach so langer Zeit fällt ein Abschied bestimmt nicht leicht.
Wie seid ihr damit umgegangen und was sagt denn Reiner zu eurem neuesten Werk? Hätte er vielleicht manches anders gemacht?

Thomas: Schwer zu sagen. Grundsätzlich hätte es sich wohl in eine ähnliche Richtung entwickelt. Reiner war ein sehr wichtiger Teil der Band. Immerhin hat er das Ganze vor langer langer Zeit auf den Weg gebracht und ungezählte Konzerte gespielt.

AFL: Reiner ist ja bereits 2017 ausgestiegen und seitdem ist der Kai mit dabei. Ist er auch eine Art Triebfeder für die Weiterentwicklung eures Stils?
Meiner Meinung nach hat dieser sich nämlich noch einmal weiterentwickelt und ihr schreitet den Weg in die Richtung weiter voran, den ihr mit Angst und Empathie begonnen habt zu gehen.

Thomas: Ja, stimmt so nicht ganz. Reiner ist Ende 2019 ausgestiegen. Kai ist bereits seit knapp 5 Jahren an Bord und bringt sich sehr engagiert in verschiedene Prozesse ein. Sei es Songwriting, Technikkram etc.
Ja, neue Besen kehren gut. Die Grundidee bei der Platte war aber tatsächlich eine konsequente Weiterentwicklung der Angst und Empathie. Durch die veränderte Konstellation hat sich der Stil noch etwas weiter in Richtung Hardcore entwickelt. Inwieweit das beibehalten wird, zeigt sich dann spätestens auf dem kommenden Album.

AFL: Die Platte ist ja nun schon ein paar Tage draußen, seid ihr denn mit den Rückmeldungen zufrieden und sind sie so ausgefallen, wie ihr es euch erhofft hattet?

Thomas: Insgesamt sind wir zufrieden. Resonanzen auf das eigene Album sind immer spannend zu lesen. Natürlich erhofft man sich positive Rückmeldungen, wobei durchaus auch gut begründete Kritikpunkte interessant sein können.
Die uns bekannten Reviews fielen bis auf 1 oder 2 Ausnahmen auch durchweg gut aus. Wir sind momentan aber vor allem heiß darauf, die neuen Songs live auf die Bühne zu bringen. Natürlich erst wenn es wieder möglich und vernünftig ist Konzerte ohne Auflagen zu veranstalten.

AFL: Ich hatte nun in ein, zwei Reviews gelesen (meinem eingeschlossen), dass du an manchen Stellen noch mehr von der Abwechslung, die deine Stimme definitiv bietet, zeigen könntest.
Wenn ihr z.B. sowas lest, nehmt ihr das dann an oder geht ihr da eher drüber hinweg? Wie geht ihr allgemein mit Kritik um?

Thomas: Kritik ist immer gut und wird von uns durchaus auch mal gemeinsam besprochen. Gerade beim Thema Gesang scheiden sich bei Reviews ja auch gerne mal die Geister.
Beim aktuellen Album sind wir bewusst weiter den Weg Richtung Hardcore gegangen, was sich für unseren Geschmack nicht gut mit ruhigen Stimmungen oder Stimmlagen vertragen hätte. In zukünftigen Veröffentlichungen sind Variationen natürlich keineswegs auszuschließen, aber stimmliche oder musikalische Elemente aufgrund des prinzipiellen Potentials einzusetzen, empfinden wir nicht als zielführend.

AFL: Wer in eurem Freundes- und Familienkreis bekommt eure neuen Songs denn als erstes zu hören und holt ihr euch von denen dann auch ordentlich Feedback ein, wenn es zum Beispiel darum geht welche Songs auf die Platte kommen oder was man an manchen Stellen anders machen könnte?

Thomas: In der Entwicklungsphase zeigen und besprechen wir die Songs mit so einigen Freunden und Weggefährten, sobald vorzeigbare Demos entstanden sind. Eine vollständige Liste würde hier sicherlich den Rahmen sprengen. Darüber hinaus hat die Pandemie dazu beigetragen, das mehr über Zoom etc. gelaufen ist.

AFL: Ja und das war es dann auch schon wieder. Vielen Dank und ich freue mich auf die hoffentlich bald stattfindende Tour. Ich hoffe ja auch noch, dass zumindest ein paar Ein-Tages-Festivals stattfinden können und wir euch da bereits wieder auf der Bühne sehen können

Thomas: Vielen Dank für das Interesse am aktuellen Album, bis zum nächsten Mal.

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