Tag ein, Tag aus fahre ich derzeit morgens an einer riesen Plakatwand vorbei, von welcher mir ein vermeintlich glückliches Pärchen entgegengrinst. Dieses wandert spaßig über eine Grünfläche und im Hintergrund erkennt man schemenhaft ein paar Zelte. Als Schriftzug darf man dann darüber folgendes lesen:
Deichbrand Festival – mit dem größten Aldi-Markt aller Zeiten!
Mal ganz davon abgesehen, dass zumindest ich ein anderes Bild eines Pärchens auf einem Festival habe, kommt mir jeden Morgen die sprichwörtliche Galle hoch, wenn ich diesen Satz lese.
Was zum Geier soll das? Geht es bei einem Festival nicht um was anderes als kaufen? Vielleicht um Musik oder Szene-Zugehörigkeit?
Klar, dass der Kapitalismus mittlerweile einen großen Teil der Festival-Kultur ausmacht, ist schon lange kein Geheimnis mehr und mundgeklöppelte Baumwollschlüpfer sind wohl das letzte, was man noch nicht mit dem Logo eines der großen Festivals kaufen kann. Aber ist es jetzt so weit gekommen, dass ich ein Festival damit bewerben muss, dass ich dort den größten Supermarkt seiner Art „besichtigen“ kann? Geht es den Festivals mittlerweile so schlecht, dass sie zusätzlich noch auf Standgebühren einer Discounter-Kette angewiesen sind? Ich denke nicht!
Gut, ich bin jetzt auch kein Wirtschaftler und ich bin auch nicht mit einem der Kassenwarte der Big-Five verschwägert, aber mein Verstand sagt mir, dass sie bei Eintritten jenseits der 150 Tacken und teilweise exorbitanten Flüssigkeitspreisen doch bisschen was über haben sollten. Und wenn man sich einmal die industriellen Strukturen hinter Festivals wie dem Southside oder dem Hurricane anschaut, so braucht man sich der voran genannten Frage gar nicht mehr stellen.
Monopolstellung von Eventim zerstört mehr und mehr Musikszene
So tritt beispielsweise bei den beiden erwähnten Festivals als Veranstalter ja die Konzertproduktionsfirme FKP Scorpio auf, welche zu über 50% zu Eventim gehört. Ein Konzern, der in 24 Ländern Europas und Brasilien aktiv ist und zudem noch an 17 weiteren Veranstaltern beteiligt ist, welche wiederum in 9 Ländern tätig sind.
Mit diesen Krakenarmen und dem Betrieb der Lanxass-Arena in Köln sowie der Waldbühne in Berlin setzte Eventim 2017 rund 1,03 Milliarden Euro um und das sollte wohl erstmal reichen.
Aber der dumme Mensch strebt ja immer nach Höherem und so ist das bestimmt noch nicht die Spitze des Eisberges, denn mit ihren Methoden wird Eventim den Gewinn weiter maximieren und es dabei den kleinen Konzertveranstaltern, den Club-Betreibern und Bands immer schwerer machen. Denn Eventim hat mittlerweile eine Marktposition eingenommen, an der man leider als Veranstalter manchmal nicht mehr vorbei kommt. Dieses macht sich dann auch direkt für uns bemerkbar, denn Eventim kassiert pro Ticket eine satte Vorverkaufsgebühr von 10% und selbst wenn wir das Ticket selbst ausdrucken, müssen wir noch eine Gebühr von 2,50€ berappen. So wundert es auch nicht, dass wir zum Beispiel für ein Social Distorten Ticket mittlerweile über 50,00 € zahlen müssen.
Denn gerade für Bands die auf größere Veranstaltungsorte angewiesen sind, wird es immer schwerer an den großen Ticketanbietern vorbeizukommen, denn egal ob Eventim mit FKP oder zum Beispiel Live Nation mit Ticketmaster, diese haben durch die Verschmelzung von Ticketanbieter und Konzertveranstalter auch oft Anteile an den Veranstaltungsorten selbst und so sind Bands durch die Verträge gezwungen die Tickets auch über sie zu vertreiben.
In meinen Augen sind dieses auch langsam Fälle fürs Bundeskartellamt, denn es beschränkt den Wettbewerb doch arg, aber dafür gibt es ja eigentlich andere Damen und Herren, die das im Blick haben sollten.
So lohnt sich nicht zuletzt aus voran genannten Gründen einmal der Blick auf alternative Ticketbörsen, wie z.B. die von www.punk.de. Auf dieser können Bands ganz einfach ihre Tickets verkaufen und halten alles innerhalb der Szene.
Das aber nur noch einmal als Randbemerkung und nach diesem kleinen Ausflug möchte ich noch einmal zum eigentlichen Aufreger zurück kommen – die sich geänderte Festivalkultur, die vor etlichen Jahren mal auf nahezu allen Festivals gleichbedeutend mit der Sub- und Szenekultur war.
Das ist aber schon echt etwas her, denn in diesen Tagen findet man zumindest auf vielen größeren Festivals nur noch eine Vielzahl von Selbstdarstellern, die einmal im Jahr ihrem versnobten Leben entkommen und sich frei fühlen wollen. Dann aber so richtig und ohne Hose, schließlich ist die Frau fein daheim geblieben und man muss ja ordentlich was in der Firma und beim nächsten Treffen vom Kegelverein zu berichten haben.
Prinzipiell ist das Freifühlen ja auch ihr gutes Recht, aber dahingehend bin ich leider etwas intolerant. Denn ich finde dieses Verhalten einfach schizophren. In der Bahn wegschauen, wenn jemand sich rassistisch äußert, aber in der Menge immer fein „Nazis raus!“ rufen.
In Bezug auf diese Wendehälsigkeit habe ich auch ein feines Beispiel, aus dem wahren Leben. Und zwar war ich vor ein paar Jahren auf dem Reload-Festival in Sulingen und dort hat sich folgendes zugetragen:
Wir hatten unsere Zelte gerade errichtet und genossen die ersten Biere. Da parkte neben unserem Vehikel ein Schlachtschiff von Autowagen (VW Phaeton). Als sich die beiden Türen öffneten stieg ein Herr mit seiner Dame aus. Er trug ein feines Camp-David Polo-Shirt und sie sah irgendwie aus wie Reese Witherspoon in Natürlich Blond (ja, ich kenne diesen Film). Während die Dame nochmal ihren Lidstrich nachzog holte der aufgepumpte Typ ein originalverpacktes Slayer-Shirt aus dem Kofferraum und tauschte es gegen sein Bohlen-Gedächtnis-Shirt.
Dieser Moment war sehr prägend für mich und ich fasste einen Beschluss … von jetzt an nur noch zu Szene-Festivals, möge das Line-Up der Größeren noch so verlockend sein!
Zum Glück gibt es noch die „Kleinen“ familiären Festivals die sich nicht nur den Charakter, sondern auch die Kultur erhalten haben und diese heißt es zu unterstützen! Schließlich wollen wir ja auch noch in vielen Jahren in den Genuss eines regen Szenelebens kommen! Denn dieses macht die sommerlichen Festivalwochenenden erst so einmalig!
Was wäre ein Festival ohne den kleinen Supermarkt im benachbarten Ort? Ohne den kleinen Plausch und das kühle Bier am Gartenzaun des Dorfbewohners? Ohne den Schnack mit der älteren Dame an der Bushaltestelle, der man gerade bewiesen hat, dass man vielleicht komisch riecht und seltsam aussieht, aber doch sehr liebenswert ist? Ohne die kleine Badanstalt oder den Baggersee? NICHTS!
Oder wollt ihr wirklich ein Wochenende verleben, in dem ihr in einer Festivalstadt eingesperrt seid und nur noch die Scheiße konsumiert die euch vorgesetzt wird? Ich glaube nicht, denn das ist zumindest für mich ein wahres Endzeitszenario!
GEHT AUF KLEINE KONZERT UND FESTIVALS – UNTERSTÜTZT DIE SZENE – KAUFT BEIM KLEINEN PLATTENHÄNDLER NEBENAN, DEN SZENELABELS ODER BEI DEN BANDS SELBST – UNTERSTÜTZT DIE SZENE – KAUFT BEI FAIREN TICKETBÖRSEN ODER HÄNDLERN – UNTERSTÜTZT DIE SZENE – GRÜNDET BANDS
[…] glücklicherweise komplett verzichtet. Sowas verstehe ich nicht und hat meiner Meinung nach mit Festivalkultur nichts mehr gemein (bei diesem Festival). Schon gar nicht, wenn es am lautesten Camp mit […]