Als Gastautor hat sich David, seines Zeichens Bassist der erfolgreichsten Passauer (Grindcore)Band aller Zeiten (Vor die Hunde), bereiterklärt, seine persönlichen Eindrücke vom Dräschfeschd 2022 zu Papier zu bringen:
Nach 2 Jahren nervenzehrender und auf’s Gemüt drückender Konzert- und Festivallosigkeit, tat sich Ende April 2022 ein kleiner Lichtblick am Horizont auf: Das Dräschfeschd in der südlichen Hamburger Peripherie. Ein Festival wie jedes andere soll es jedenfalls nicht sein, zumal Grindcore bzw. Powerviolence schon relativ nischige Genres sind. Auch ein kreatives Kulturprogramm mit „Grindball“-Turnier und einer athletischen Blastbeatolympiade soll für Stimmung sorgen. Etwas Respekt hatte ich außerdem vor der Running Order: Jede Band spielt exakt 15 Minuten – getrackt durch einen für alle sichtbaren Timer auf der Bühne.
Freitag, 29.04.22
Den Startschuss legten an Tag 1 FROST PISSE ELEND hin, welche genau das auf die Bühne bringen, was sie auf ihrer Website versprechen: Black Metal mit Punk-Attitüde. Die Band gibt es seit ca. 2 Jahren und wurde als Gegenmaßnahme zum erstarkenden rechten Flügel im Black Metal gegründet, was per se schon einmal unterstützenswert ist. Und auch die Musik ist hörenswert.
Zusehends füllt sich der Saal auch, als WE SLEEP sich auf die Bühne schwingen. Von Schlaf kann jedoch nicht die Rede sein. Ich würde sagen, dass die Band angepissten Mid-Tempo-Grindcore spielt – welcher richtig Spaß macht. Der Sänger geht jedenfalls eng auf Tuchfühlung mit dem Publikum und schreit nur wenige Zentimeter von den Gesichtern der Zuschauer entfernt ins Mikro. Auch die ersten wackelnden Köpfe sind zu erkennen.
Es folgen SPITTING NAILS, über welche ich schon einmal auf dem Void Festival gestolpert bin und welche sich auch als einer der Geheimtipps des damaligen Festivals entpuppt haben. Und auch dieser Gig ist grundsolide, wobei für mich besonders der Drummer hervorsticht, welcher mit vollem Körper- und Gesichtseinsatz in die Trommeln haut. Gepflegtes, aggressives Doom-Grind-Gekloppe – oder wie man es auch immer betiteln möchte. Am Besten mal das Album „Underwhelming Goodness“ auschecken!
AUREOLE OF ASH sind als nächstes an der Reihe und es gibt für 15min eine hervorragende Abwechslung aus Groove und Blastbeats.Die Sängerin hat keine Scheu sich unters Publikum zu mischen und dazu noch eine Stimme, die für dieses Genre ihresgleichen sucht. Ich hätte mir zwar noch einen Bass gewünscht, damit die langsamen Parts besser schieben, aber auch so ist der Gig schön anzusehen. Und auch dieses Ding mit den Viertel-Stunden-Slots macht immer mehr Sinn und Freude – es wird keine Band langweilig und die kurze Pause zwischendurch zum Bierholen sorgt für perfekten Takt und Pegel.
Sichtlich Spaß auf der Bühne haben die beiden Jungs von Turtle Rage. Es wird abwechslungsreicher Fastcore durch die Boxen geballert und das ohne wirkliche Pause. Klar, die braucht eh keiner bei einem 15-Minuten-Slot. Aber bei der Intensität des Drummers und den abgefahrenen Screams des Sängers und Gitarristen würde man sie den beiden schon Gönnen. Sehr geil! Und falls jemand cooles Merch mit witzigen Crossover-Comics der Teenage Mutant Ninja Turltes und Beavis & Butthead brauchen kann, dem sei Turtle Rage wärmstens ans Herz gelegt.
Den ersten Moshpit gibt es bei ALWAYS NEVER FUN zu beobachten. Auch hier verbringt der Sänger die meiste Zeit vor der Bühne und schafft es auch, die Leute durch erhöhte Aktivität und aggressives Shouting zu etwas mehr Bewegung zu motivieren. Das Gesamtbild lässt die Jungs für mich zur Band des Abends avancieren. Hasserfüllte, angepisste Musik mit einem Drummer, der das meiste mit voller Kraft aus dem Unterarm rausholzt. I like!
Bei NUCLEAR CULT bleiben einem auf jeden Fall die Songtitel im Gedächtnis: „Kleine Ärsche“, „Freizeitguerilla“ und „Folienkartoffeln“ sind schon einprägsame Phrasen für das gemeine Grindcorepublikum und auch die Musik lässt sich anhören. Der Frontmann ist kreuz und quer auf der Bühne unterwegs, ich hätte mir jedoch auch von den anderen etwas mehr Präsenz gewünscht.
Erfrischend anders für das Billing sind KILLBITE aus Bremen. Wahrscheinlich würde ich sie eher dem Hardcore zuordnen, was eine willkommene Abwechslung nach dem vielen Gekloppe darstellt. Viele Gangshouts, mehr Melodie, ziemlich groovig und wirklich sehr sehenswert!
Und das Tempo geht noch weiter runter bei CROWSKIN, welche meiner Einschätzung nach größtenteils im Doom/Stoner/Sludge-Segment beheimatet sind. Hier baut sich wirklich eine böse Soundwand auf, das Frequenzspektrum wird basslastiger und die Köpfe der Festivalbesucher wippen zusehends gleichförmiger und fast in Zeitlupe im Takt. Ein besonderer Hingucker sind natürlich die unendlich langen Dreads des Bassisten, wobei immer noch der äußerst fette und gelungene Gig im Vordergrund steht!
Samstag, 30.04
Sonnabend haben wir auf Grund von Ungereimtheiten mit den Hamburger Öffis die erste Band UR-INSTINKT leider verpasst, MY BODY IS A CAGE waren also für uns die erste Band des Tages. Was mir am meisten im Gedächtnis bleiben wird, ist, dass sich der Frontmann absolut die Seele aus dem Leib geschrien hat und man schön die Pulsadern am Hals kurz vorm Bersten bewundern konnte. Ein energiegeladener Gig und besonders die verspielte Old-School-Gitarrenform des dazugehörigen Musikers war auf dem sonst optisch recht metallisch geprägten Festival ein Hingucker. Ansonsten ist das Festivalvolk noch nicht vollzählig, aber ist ja auch erst kurz nach 4 Uhr nachmittags.
Das Quintett von KEELGAT (nicht englisch Kiel-Gett, sondern niederländisch Kehl-(C)Hatt, wie ich gelernt habe) bringt indes die guten alten Bombblasts und die Schlaghose gepaart mit dem Rickenbacker-Bass wieder in den Punk zurück. Relativ viel Groove, aber auch düstere Black-Atmosphäre und Death-Einflüsse aus den nördlicheren Gefilden lassen sich bei diesem erst vor kurzem gegründeten Quintett finden und es lohnt sich, diese mal aufs private Soundradar zu packen (Anmerk. von Timbo: Gesagt wie empfohlen. Geile Shouts, fiese Atmo, derbe Schwedenriffs !!!)
Optisch stellen sich nun SCHWACHE NERVEN neben die Schlaghose und Shouter Franz wirbelt mit buntem Batikhemd über die Bühne. Hier wird das Tempo wieder schneller und die Blastbeats mehr, die Stimmung ist mittlerweile auch im Festivalmodus angekommen. Das hochintensive Grindcoreworkout, welches die Band hier absolviert, ist auch für Top-Athleten wie Schwache Nerven eine überaus anstrengende Belastung, weswegen für den Sänger ein bequemer Stuhl auf der Bühne bereitsteht.
Es geht weiter mit CPT. CAVEMAN. Das Instrumentarium der Band ist – vielleicht auch daher der Bandname – sehr vereinfacht und ohne Gitarre auf die essentiellen, extrem fies klingenden, verzerrten tiefen Töne mit Verzerrer reduziert, zwischen welche sich geplantermaßen immer wieder besonders schrille Rückkopplungen reinsetzen. Klingt irgendwie dumpf, die Jungs liefern aber auch ohne Sechssaiter eine brachiale Show ab. Auch vom Tempo her wird hier gefühlt noch eine Schippe vom extrem tighten Trommler draufgelegt, wobei auf die wenige Sekunden langen Geschwindigkeitsspitzen meist direkt wieder kaugummiartige Grooveparts folgen. Richtige Stressmukke.
Ein weiterer Drummer, der unbedingt hervorgehoben werden muss, ist Owen von DAYS OF DESOLATION, welcher neben dem Hochgeschwindigkeitsgeprügel auch noch den Gesang übernimmt. Keine Ahnung, wie das körperlich machbar ist, aber der Mann tut es einfach und haut extrem groovige und punkige Blastsbeats gepaart mit wirklich sehr markerschütternden Screams raus.
Deutlich mehr Leute stehen bei ARROGÄNT auf der Bühne, welche im Vergleich zu den letzten paar Bands etwas mehr im Punk und D-Beat Milieu unterwegs sind. Es wird kurz wieder langsamer und druckvoller, eine angenehme Atempause zwischen den vielen Blastbeats. Das Headbangen weicht einem zufriedenen Mitwippen im 150bpm-Bereich, während der Sänger in Che-Guevara-Montur seine Zeilen in die Menge brüllt.
Als nächstes betreten die Jungs von ARNØXDUEBEL die Bühne – wahrscheinlich eine der fleißigsten Powerviolenceband Deutschlands, welche auf vielen Lineups der Szene zu finden ist (was auch ein wenig im Widerspruch zum Nabensgeber der Band steht). Der Besucherdichte und der Energie im Publikum nach zu urteilen sind wir hier wohl auch beim geheimen Headliner des Abends angelangt. Und ich kann auch nur sagen: Cooler Gig! Hier wird wohl noch mehr zwischen langsam und schnell gewechselt als bei Cpt. Caveman und wirklich jeder in der Band ist voll in seinem Element. Es wird gedroschen und gemosht.
Nun folgt der fachliche Teil des Abends, auf welchen besonders die Musiker unter den Anwesenden gewartet haben: Die Blastbeatolympiade! In den Disziplinen“ Single Foot Blastbeat“ und „Double Foot Blastbeat“ soll ermittelt werden, wer denn der schnellste Drummer des Universums ist. Mit hochpräzisem Messinstrumentarium wird dabei die Leistung der Olympioniken akkuratestens bewertet, um schlussendlich den einen wahren Sieger zu küren. Pro Kategorie traten also jeweils mindestens 5 motivierte Blastbeatprofis an, welche vom Moderator in kreativer und witziger Ausdrucksweise vorgestellt und motiviert wurden. Es floss viel Schweiß, es flossen Tränen, es floss Blut und schlussendlich konnten zwei abgehärtete und mit allen Wassern gewaschene Grinder mit der Goldmedaille geehrt werden: Owen von DAYS OF DESOLATION und Jan von CPT. CAVEMAN! Mal sehen, ob sie ihre Titel im nächsten Jahr verteidigen können!
Die Euphorie und Partylaune der Sportbegeisterten muss nun genutzt werden. Was käme da besser in Frage als Attack of the Mad Axeman, welche gekleidet in Bienen-, Schildkröten-, Schnecken- und Eichhörnchenkostüme kraftvollen und abwechslungsreichen Grindcore präsentieren. Die Schnecke am Schlagzeug ist dabei gar nicht so langsam, wie man sich das vorstellt und auch die Schildkröte am Mikrofon schreit mit mehr Power als man sich das basierend auf David Attenborough Tierdokus vorstellen würde. Hier spielt die bühnenshowtechnisch aktivste Bands des Festivals und auch das Publikum ist entsprechend aufgewärmt. Der Endspurt für den Abend verspricht großes Entertainment.
Dieses Momentum nehmen DISMALFUCKER jetzt mit. Ich hatte die Band im Vorhinein überhaupt nicht auf dem Zettel und für mich war er die Überraschung des Abends. Sänger mit absolut kaputter Stimme, Stimmung im Saal ist gut und der abgefuckte D-Beat Grindcore mit D.R.I.-Attitüde trifft genau meine Vorliebe wenn es um Stromgitarrenmusik geht. Unbedingt mal auf Bandcamp reinschauen!
Auf die nächste Band war ich tatsächlich schon länger gespannt: ALTERI, anscheinend die Nachfolgeband der Boss-HM-2-Enthusiasten von Graben, wurden mir als langjährigem Nutzer dieses Gitarrenpedals wärmstens ans Herz gelegt und es wurde mir nicht zu viel versprochen. Geiler, wuchtiger Grind mit einem Sänger in bauchfreiem Top, welcher quasi eins mit der ersten Zuschauerreihe wird und sich mit vollem Körper- und Stimmeinsatz durch den Gig pogt.
Auch mit TRIGGER hatte ich schon einen Berührungspunkt und werde mich bis in alle Ewigkeit an eine der Ansagen auf dem Berlin Grind Fest 2019 erinnern: “The next 5 songs are about filthy nazi scum.” Es folgt ein äußerst intensiver Gig, bei welchem jedes Bandmitglied mit Mikrofon ausgestattet ist und auch wirklich alles gibt. Die Gesänge wechseln sich ab, der Moshpit vor der Bühne ist in vollem Gange und der blanke Hass schallt aus den Lautsprechern. Qualitätsurteil: Sehr gut.
Gleich zwei Teilnehmer des Blastbeatcontests stehen nun bei SHITSHOW auf der Bühne, welche mit klassischem Punk noch für den oldschooligeren Teil der Veranstaltung sorgen. Der Sound wird insgesamt wieder tanzbarer und nach Meinung meiner etwas punk-affineren Begleiter ist dies für dieses Klientel wohl das Highlight des Abends. Ich kann damit auch gut was anfangen und stehe mit einem Grinsen irgendwo ganz vorne.
Selbiges Grinsen hält auch noch bei BRIEFBOMBE an. Vier Leute, von denen drei in alte Uniformen der Deutschen Post gekleidet sind. Das Schmunzeln hat sich wohl keiner so richtig verkneifen können. Und auch hier wird mit einer coolen, dynamischen Show stabiler Punk ohne Schnickschnack serviert, die Leute vor der Bühne sind noch nicht müde und machen mit und Songtitel wie “Drogenpost aus dem Darknet” sorgen dafür, dass die Mundwinkel auch nach anstrengenden 8 Stunden weiter nach oben zeigen.
Insgesamt war das DRÄSCHFESCHD eine mehr als gelungene, intime Familienfeier, bei welchem man viele von den üblichen Verdächtigen der Szene wiedergetroffen hat. Das sieht man auch daran, dass einige der Akteure bei mehreren Bands involviert waren. Es liegt etwas außerhalb von Hamburg, ist mit den Öffis gut zu erreichen und es gibt alles, was es auf einem kleinen Festival eben geben muss – und noch ein paar Sachen mehr. Das Grindballturnier habe ich leider auch verpasst, aber es soll wohl einen hohen Unterhaltungswert gehabt haben. Würde mich nicht wundern, denn diesen hatte das Festival allemal. Meine Karte für nächstes Jahr werde ich mir jedenfalls definitiv wieder holen.
Wer nicht bis nächstes Jahr warten möchte, kann sich gerne die bescheidene Zusammenfassung unseres Gastautors im digitalen Videoformat zu Gemüte führen: