Da liegt es – wenn auch nur digital – vor mir. Das vierte Album von diesem furchtbar lauten Trio aus der Kaiserstadt. Lange war es still, nicht nur musikalisch, auch sonst war Funkstille. Es gab sogar das Gerücht, dass diese eine Post-Hardcore-Kapelle aus Aachen Lebewohl gesagt hätte, ganz ohne dies jemals ausgesprochen zu haben. Nach drei unglaublichen Veröffentlichungen, die jedes Mal Grenzen weiter verschoben.
Doch diese Kapelle, die allgemein als FJØRT bekannt ist, ist weit von der Demontage entfernt. Nichts könnte gerade weiter entfernt davon sein, als es FJØRT sind. Mit acht Konzerten in Köln und Hamburg, die innerhalb von 36 Stunden absolviert wurden, wurde wieder Kontakt gesucht. FJØRT sind Meister der Inszenierung, spätestens mit der Ankündigung des vorangegangenen Albums wurde das mehr als offensichtlich. So fiel nach dem letzten Song im Gloria Theater der Vorhang herab, gespenstische Stille machte sich breit.
Und dann brach die Hölle los. Ohne Vorworte wurden drei neue Songs auf die sprachlosen Anwesenden losgelassen. Die Inszenierung war perfekt. Mit einem Lächeln, ja vielleicht sogar einem Grinsen im Gesicht sagte David dann irgendwann so etwas wie: „nichts erscheint demnächst. Wir freuen uns sehr, dass ihr das endlich erfahrt.“
Und hier ist es nun: nichts. 13 Tracks gewohnter Post-Hardcore. Nur gewöhnlich ist an dem Album gar nichts. Außer, dass FJØRT immer noch aus drei Menschen besteht, die unglaublichen Krach fabrizieren. Mit nichts werfen FJØRT alles über Bord und brechen zu neuen Ufern auf, ohne dabei die Essenz FJØRT zu verlieren. nichts klingt so anders, so unbekannt, so ungewohnt und doch ist es das Wiedersehen eines alten Freundes.
Mag es sein, dass FJØRT immer noch brachial sind, doch haben viele leise Momente und klarer Gesang Einzug in den Bandkosmos gefunden. Mit nichts kommt das Gefühl auf, dass FJØRT erwachsen geworden sind. Vielfältig, experimentell und doch so vertraut. nichts ist aller couleur. Unglaublich tiefe Gräben und hohe Berge geschaffen, dass sie beinah unmöglich zu erreichen erscheinen.
FJØRT haben sich nicht ohne Grund recht schnell einen Namen in der Szene geschaffen, nichts wird diesen Ruf zweifellos weiter zementieren. Mit nichts beweisen die Aachener, dass sie bereit sind Grenzen nicht nur zu verschieben. Sie sind bereit diese zu sprengen, niederzureißen. Post-Hardcore trifft auf Post-Rock trifft auf Punk. Gebrüll trifft auf Gesang trifft auf Sprech. Wut trifft auf Galgenhumor trifft auf Hoffnung.
Neben der Musik hat die Lyrik sich ebenso gewandelt. Kryptik rückt teils zur Seite für klare Worte ohne Beschönigungen, ohne sich dabei in der Bedeutungslosigkeit zu verlieren. Dabei wirken die Texte hoffnungsvoll bis gespenstisch. Worte sind weise gewählt, kein Wort, nicht mal ein Buchstabe ist zu viel oder zu wenig.
Ob FJØRT mit nichts ihren Zenith erreicht haben, das mag ich zu bezweifeln. Dafür wurde schon viel zu häufig die Grenze verschoben. Nach dem Konzert im Gloria meinte jemand, als er gefragt wurde, wie er die eben gespielten Lieder finden würde: „Das klingt mir zu negativ.“ Doch nichts ist viel mehr als das. Kein Platz ist Pessimismus gegeben, eine Bestandsaufnahme mit positivem Ausblick und Zuversicht vielmehr.
Abgerundet wird das musikalische Gesamtwerk durch minimalistisches Artwork, welches trotzdem prägnant und ausdrucksstark daherkommt. Die bisherigen Videoauskopplungen – alle von Der Pakt inszeniert – reihen sich bei dieser Thematik ein. Wozu ablenken, wenn doch die Musik alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Ich weiß noch, wie ich damals durch Zufall über das Video zu Anthrazit gestolpert bin und ich mich dann auf eine Reise mit FJØRT begeben habe. nichts beendet diese nicht, es treibt sie an. Um ungekannte und ungeahnte Höhen zu erklimmen. Um FJØRT kleinaufklein neu zu entdecken.
nichts ist ein Monster. nichts ist eine Reise. nichts ist FJØRT.
Kommt Zeit, kommt Sarg.
nichts erscheint am 11. November 2022 auf Vinyl, CD und digital. Außerdem begeben sich FJØRT nächstes Jahr auf eine Konzertreise.
Tracklist:
01. nichts
02. sfspc
03. salz
04. feivel
05. schrot
06. kolt
07. wasser
08. bonheur
09. fünfegrade
10. lakk
11. fernost
12. tau
13. lod
„nichts hat mehr bestand“ Tour 2023
18.01. Rostock, Peter Weiss Haus
19.01. Leipzig, Werk 2 Halle D
20.01. Münster, Sputnik Halle
21.01. Bremen Schlachthof
26.01. Essen, Zeche Carl
27.01. Hannover, Musikzentrum
28.01. Stuttgart, Im Wizemann (Halle)
29.01. München, Ampere
30.01. Wien, Arena Halle
31.01. Erlangen, E-Werk
01.02. Dresden, Beatpol
02.02. Berlin, Metropol
03.02. Hamburg, Fabrik
04.02. Wiesbaden, Schlachthof
05.02. Köln, Gloria
Überragend geschrieben mit den ganzen Stilblüten – auch wenn man tatsächlich wenig über die einzelnen Songs erfährt 🙂 Aber ich bin ganz deiner Meinung! Grüße!
Danke dir! Tatsächlich finde ich, dass man Songs nicht zwangsläufig erklären oder beschreiben muss. Besonders bei dieser Kapelle ist das selbst entdecken doch viel schöner.