Friedemann dürfte dank regelmäßiger Veröffentlichungen bei Hardcore- und Punklieberhaber*innen keine unbekannte Größe mehr sein. Nicht nur mit seinem selbstbetitelten Liedermacher-Punk-Projekt hat er einige Platten herausgebracht – auch seine „Stammband“ Cor ist seit einigen Jahren recht untriebig unterwegs. Ich selbst war immer in den letzten Jahren mit Cor stets gut bedient und habe Friedemanns Solo-Veröffentlichungen größtenteils an mir vorbeiziehen lassen. Ohne wirkliche Begründung, war einfach so. Somit ist die Besprechung von Friedemanns neuer Platte Naiß Neuland und Premiere zugleich.
Zwölf Lieder hat Naiß anzubieten, die mal mehr und mal weniger als reine Solo-Stücke durchgehen. Sämtliche Lieder gehen dabei über drei Minuten. Das wäre bei einer Grindplatte eine vollständige Band-Discographie. Statt geknüppel dominieren bei Friedemann schon eher smoothe Gitarrenarbeit mit Schwerpunkt auf einem akutischem Gewand. An einigen Stellen wird auch Strom in die Klampfe eingespeist, für mich nicht näher definierbare Schlaginstrumente eingebracht oder auch mal klassisch gepfiffen. Das Ganze wirkt in sich sehr schlüssig, teilweise herrlich monoton und hochdepressiv. Das musikalische Endprodukt ist somit ein durchgehend diesiger Schlaier, der sich über die ganze Platte legt und selbst bei etwas „fröhlicheren“ Melodien omnipräsent ist.
Statt feiern gilt es also, die Musik eher im ruhigen Umfeld auf sich wirken zu lassen. Und: Einfach mal zuhören, nachdenken, hinterfragen. Das kennt man natürlich von vielen Platten, die sich in irgendeiner Art und Weise mit Punk assoziieren lassen. Naiß ist textlich gesehen, trotz der beschriebenen Grundstimmung, weniger destruktiv denn deskriptiv. Friedemann beschreibt z.B. den Zustand des Planeten Erde (Kleiner Planet) oder philosophiert über Liebe und unterschiedliche Sinneswahrnehmungen (Kind der Freiheit). Und er vertont seine Freundschaft zu Gabor aka Mr. Wheelchair. Auf diese Art und Weise verschaffen Gabor und Friedemann Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen eine große öffentliche Plattform. Denn: Auf der Basis von Freundschaft und des Songs Ich liebe es zu wandern drehte der MDR eine 30-minütige Dokumentation, die alleine auf youtube 80 000 Views erreicht hat. Nur so können wortwörtlich (gesellschaftliche) Barrieren, sei es jetzt im subkulturen- oder im allgemeingesellschaftlichen Kontext, weiter abgebaut werden.
„Neuland und Premiere zugleich“ – im Zusammenhang mit Friedemanns neuer Platte eine hervorragende Kombi. Ich finde Naiß stark, düster, depressiv, anziehend. Ich habe keinerlei Vergleich zu den Vorgängeralben. Brauche ich auch nicht um für mich zu erkennen, dass Naiß seinen Platz auf meinen Plattenteller gefunden hat. Und das wird hoffentlich vielen weiteren Menschen so gehen.