Viele aus unserer Szene bemängeln, dass es heutzutage kaum noch eine richtige DIY-Kultur gibt und dass der Nachwuchs im Hardcore und Punkrock größtenteils ausbleibt. Das stimmt nur bedingt, denn es gibt immer noch genug junge Bands, die selbst Platten aufnehmen, Konzerte in ihrer Gegend für sich und andere organisieren und sich trauen, Touren auf eigene Kostenbasis ohne Backup zu fahren. Watch Me Rise aus Frankfurt am Main sind so eine Band, die Bock auf Touren, Platten und DIY-Szene hat und gibt deswegen seit einiger Zeit alles. Nun kam ihre neue EP Cancer raus und wir haben mit der Band ein Interview gemacht. Es geht u.a. um die Produktion der neuen EP und ihre bisher größte eigene Tour durch Deutschland und Großbritannien (präsentiert von AWAY FROM LIFE), aber auch um die tragische Krebsdiagnose ihres Drummers Sven und den Umgang und die Verarbeitung derer in ihrer Musik und ihrem Leben.
Eure neue EP Cancer (Review hier) kommt jetzt raus. Was ist seit der letzten EP 2018 alles passiert?
Eine ganze Menge, viel Songwriting, eine Tour mit The Pariah im April und Mai, Studioaufnahmen ebenfalls im Mai und eine Handvoll ziemlich schöner Festivalshows im Sommer.
„Es geht nicht ums aufgeben. Es geht um den Weg angefangen bei: „Hallo Welt – Ich habe diese scheiße jetzt“, bis hin zu ich werde alles dafür geben, gesund zu werden.“
Aufgenommen wurde das Ding von Hauke Albrecht (u.a. Live-Mischer von Turbostaat und Produzent von Captain Planet). Wie kam der Kontakt und wie war es mit ihm zu arbeiten?
Der Kontakt kam durch unseren Drummer Sven zustande. Hauke und Sven haben schon eine Platte zusammen gemacht und er erzählte uns vom sehr entspannten Arbeiten mit Hauke. Außerdem sind wir große Turbostaat Fans. Die Zusammenarbeit war für uns etwas neues. Wir nahmen die EP komplett live auf. So konnten wir unsere Gefühle direkt und ohne Schnitt auf die Platte bringen. Hauke ist ein Ruhepol wenn es ums Aufnehmen geht. Er bringt immer wieder neue Ideen mit rein und sorgt für eine gute Stimmung im Studio.
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Ihr habt in Hamburg aufgenommen, da fährt man von Frankfurt nicht mal eben hin. Wie lange haben die Aufnahmen gedauert, wie lange das Songwriting?
Die Songs haben wir in drei Tagen live eingespielt, quasi ein ganzes Wochenende. Das Songwriting für beide Songs hat im Februar begonnen und pünktlich zur letzten Tour Ende April standen beide Songs. Da diese Songs sehr private Themen behandeln ging es diesmal verdammt schnell. Wir wollten nicht viel Schnick Schnack sondern am besten unsere Gefühle und Wut ungefiltert als Song verpackt haben. Dies haben wir dann auch mit der Aufnahme in Hamburg verwirklicht.
Gemastert wurde wieder in den USA, dieses Mal von Alan Douches. Musstet ihr viel Geld auf den Tisch legen oder kennt ihr euch anderweitig?
Alan Douches war eine Empfehlung von Hauke, er hatte schon früher öfter mit ihm gearbeitet von daher stand der Kontakt relativ schnell und trotz der Entfernung war das eine sehr entspannte Zusammenarbeit. Aufgrund seiner Erfahrung ging das tatsächlich auch alles äußerst schnell und unkompliziert.
Worum geht es im Titelsong „Cancer“?
„Cancer“ ist ein Song über das Versagen der eigenen Wahrnehmung in belastenden Situation. Dieser Song wurde direkt nach einer Krebs Diagnose unseres Drummers im Wartezimmer der Arztpraxis geschrieben. Ihm aber auch uns hat es den Boden unter unseren Füßen weggezogen. Wenn eine solche Diagnose im Raum steht ist alles andere auf dieser Welt egal. Im Song versuchen wir zu beschreiben wie man sich fühlt wenn die Worte zum ersten mal über die Lippen kommen: „Hallo Welt ich habe Krebs.“ Der Moment an dem man die engsten Wegbegleiter einweiht obwohl man mit sich selbst noch gar nicht klar kommt, Trauer und Wut zeitgleich empfindet, alles auf dieser Welt zerstören will aber auch Ruhe braucht, ist fast unmöglich zu beschrieben. Diese Diagnose zu erhalten ist ein Schock aber für uns war immer klar, dass diese Diagnose ein Aufbruch ist. Wir wussten nicht ob die anstehende Tour wie geplant gefahren werden kann oder wie es überhaupt weiter geht. Im Song probieren wir all diese Gefühle zu verpacken und dem Hörer um die Ohren zu werfen. Es geht nicht ums aufgeben. Es geht um den Weg angefangen bei: „Hallo Welt – Ich habe diese Scheiße jetzt“, bis hin zu „ich werde alles dafür geben, gesund zu werden.“ „Cancer“ ist ein Mittelfinger in Richtung dieser Diagnose und eine helfende Hand für all diejenigen die diesen Weg gegangen sind und noch gehen müssen. Die Hoffnung ist das was zählt.
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Und in „Addict“?
In „Addict“ geht es primär um Situationen in denen man vor seinen Problemen und Ängsten wegläuft anstatt sich diesen zu stellen, dass können, wie der Name schon sagt, Suchtprobleme sein aber auch Beziehungsprobleme oder Probleme familiärer Natur.
Wir haben aber versucht die Lyrics so offen wie möglich zu gestalten damit jeder Hörer sich auf seine eigene Art damit identifizieren kann bzw. seine eigenen Schicksale in den Song interpretieren kann. Letztendlich ist der Song aber gar nicht so negativ gemeint wie er vielleicht anfangs rüberkommt. Denn am Ende wird alles gut und alles hat seinen Grund, man muss sich dem nur stellen.
Eure bisher größte Tour steht an. Wie fühlt es sich an, so viele Dates in Deutschland und UK komplett DIY zu spielen?
Besorgniserregend … Spaß beiseite, es ist ein richtig geiles Gefühl zu wissen, dass man die nächsten drei Wochen zusammen im Bus durch Deutschland und England fährt und sich die Arbeit ein Stückweit ausgezahlt hat. Auch wenn wir kaum Erwartungen an die Tour haben, sind wir einfach glücklich und stolz so viele Shows spielen zu dürfen, gerade auch in England, dass war von jedem von uns ein kleiner Traum seit wir Musik machen und ist auf keinen Fall selbstverständlich.
Habt ihr die Sorge auf Kosten sitzen zu bleiben?
Das ist Nebensache =)
Wie viel Aufwand steckte dahinter, diese Tour zu planen?
Eine ganze Menge, ich glaube wir haben das auch alles ein bisschen unterschätzt. Angefangen zu buchen haben wir bereits Ende Januar/Anfang Februar und dann auch ziemlich schnell festgestellt, dass das eine verdammte Mammutaufgabe sein wird. Zum Glück hatten wir noch Support von zwei Freunden, Julien von PrimaPrima Booking aus Mannheim und Jay von Elicit Music aus England. Die haben sich um Shows bzw. Städte gekümmert, in denen wir beispielsweise keine Kontakte hatten. Die ganze Tour so wie sie jetzt veröffentlicht ist steht seit Mitte/Ende August und das überraschenderweise ohne großartige Lücken. Am Ende kommen dann halt noch Sachen dazu wie Artwork, Presse und Promotion, dass dann auch schnell in einen großen Zeitaufwand ausgeartet ist, da wir ja Parallel noch zwei Songs released haben und diese auch promoten mussten. Aber am Ende vom Tag glauben wir, dass sich das für eine DIY-Band echt sehen lassen kann, wir haben definitiv alles gegeben damit das Ganze auch ein Erfolg wird.
„Wir haben aber versucht die Lyrics so offen wie möglich zu gestalten damit jeder Hörer sich auf seine eigene Art damit identifizieren kann bzw. seine eigenen Schicksale in den Song interpretieren kann.“
Ihr habt euch mit RCKLSS aus Brighton für die Tour zusammengetan. Woher kennt ihr euch?
Mit RCKLSS haben wir bereits unsere erste Tour im Oktober 2018 gespielt. Die Jungs werden die Band nach unserer gemeinsamen Tour im November auf Eis legen, mittlerweile sind Sie gute Freunde geworden und dementsprechend war es für uns gar keine Frage nochmal was mit Ihnen auf die Beine zu stellen, gerade auf die gemeinsamen Shows in England freuen wir uns sehr.
Man merkt, dass ihr versucht eure Band auf ein neues Level zu bringen. Was sind eure Ziele mit Watch Me Rise in der Zukunft?
Also eigentlich probieren wir das nicht wirklich =) Wir wollen so viel touren wie möglich. Da wir es alle lieben und Spaß daran haben. Zu alldem kommt dann noch dass wir noch nicht fertig sind und wir noch einiges zu sagen haben. Deshalb schreiben wir immer wieder neue Musik und probieren natürlich dass es immer mehr Leute mitbekommen, dass wir da sind. Wir schreiben die Musik nicht um uns bekannt zu machen oder viel Geld damit zu verdienen. Wir möchten unseren Gefühlen ein Ventil geben. Eine Art Selbstreinigung nur ohne auf der Couch des Psychologen zu liegen.
Mit wem würdet ihr gerne mal zusammen spielen?
La Dispute, Touché Amoré, Movements, die Liste könnten wir glaube ich auf eine DinA4 Seite erweitern …
Wieviel Zeit investiert ihr in die Band? Ihr arbeitet/studiert ja alle…
Richtig 3 von 4 arbeiten. Unser Gitarrist studiert noch aber irgendwann muss auch er mal arbeiten. (typischer Band Scherz) Wir probieren so viel Zeit wie möglich in die Band zu stecken auch wenn das bedeutet das private Leben zurück zu stellen. Zum Glück haben wir alle sehr entspannte und nette Chefs die uns dabei unterstützen und uns auch außerhalb der Urlaubstage frei geben.
Zum Schluss ein paar Schlagworte. Was fällt euch zu folgenden Sachen ein?
Touche Amore…
Vorbild. Textlich aber auch musikalisch für uns eine der besten Bands.
La Dispute…
Hammer Band mit immer neuen ausgefallenen Ideen.
Eintracht Frankfurt…
Der beste Verein weit und breit und daran wird sich nichts ändern.
AWAY FROM LIFE…
Sind wir jeden Tag.
Danke für das Interview!