Gerade einmal ihr zweites Album veröffentlichen Giver am 07. Februar 2020 auf Holy Roar Records, doch es klingt, als wären sie schon wesentlich länger am rollen.
Denn, um es gleich vorwegzunehmen: Mit Sculpture of Violence zeigt die Band aus Köln / Paderborn / Leipzig Größe – musikalisch wie inhaltlich. Mit sozialkritischen Texten möchten Giver zur Auseinandersetzung mit patriarchalischen Strukturen und gesellschaftlichen Gewohnheiten anregen, die unsere Gesellschaft kranken lassen.
„Wir stellen auf unserem neuen Album die Frage, ob es wirklich jemals Frieden geben kann. Der Albumtitel ist eine Metapher für den Menschen an sich“, sagen Giver, die nicht nur eine weitere Hardcore-Band ohne Aussage sein wollen.
Deutlich metallastiger als das Vorgängeralbum Where The Cycle Breaks klingen Giver auf Sculpture of Violence, doch das ist nichts schlechtes. Mit treibender Double Bass und eindringlichen Gitarren verstärken Giver ihren bisherigen Sound, der stark an Defeater erinnert.
Gleich der erste Song haut mich um: Night Season startet atmosphärisch verhalten, um dann richtig loszulegen. Wesentlich flotter und noch intensiver geht es mit dem Titeltrack Sculpture Of Violence weiter. Selbstbewusst, verärgert und liebenswert störrisch klingt der Song, der sich dem Thema „Identität“ widmet und sich mit vor Wut kochender Stimme über die von uns mit getragenen gesellschaftlichen Normen beschwert:
„Der Song behandelt die (Selbst-)Erkenntnis, dass große Teile der eigenen Identität und Person konstruiert und auf dem Boden vorgefertigter Kategorien geschaffen sind. Ob Geschlecht, Nationalität, Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit: um wirklich frei leben zu können muss man diese Grenzen überwinden. Doch man ist nie nur Opfer von sondern als Teil von Gesellschaft immer auch mitverantwortlich für das Fortbestehen dieser Barrieren. Eine befreite Gesellschaft ist nur möglich, wenn wir einander gleichberechtigt das sein lassen, was wir sind.“
Mit eindringlichem Geschrei, Double Bass und gefühltem Triple Becken macht der Song die Dringlichkeit des Themas deutlich. Und dazwischen kochen immer wieder getragene Parts und wuchtige Gangshouts auf. Was für ein Killer-Song!
Mindestens genauso eindrucksvoll kommt Every Age Has Its Dragons (Like An Empire) daher. Ein Song, der sich aufbaut zu einem Berg an rollenden Drums und Background Shouts, die im Zwiegespräch mit dem Leadgesang zu sein scheinen und dann wieder einen Rückzieher machen, hin zu normaleren Klängen. Diese Widerparts vermitteln die Doppelmoral von der Every Age Has Its Dragons (Like An Empire) erzählt.
Eingeleitet mit den Worten:
Are you leading a good and righteous life?
Does the system we live in allow you to do so?
At whose cost?
zeigt das Video eine betäubte, dem Konsum frönende Europa, die sich von ihrem Thron erhebt, um über Menschenleben zu gehen.
Zeilen, wie die folgenden, machen deutlich, was Giver von der Rücksichtslosigkeit halten, mit der wir uns mit Freihandelsabkommen, Zertifikaten und ähnlichem die Freiheit erkaufen, weiter ungestört unser konsumorientiertes Leben zu führen – auf dem Rücken der vermeintlich Schwächeren.
„No prosperity is innocent. All wealth has blood on its hands. Those in the shadows you do not see. The bright life is thievery.
Cause I –
Eat like an empire, wear like an empire, live this down like an empire. Breathe like an empire, move like an empire. Spend every fucking dime I ever earn like an empire.“
Was für eine Message, was für ein unglaublich kraftvoller Song! The Same Stream überrascht mit einem Sound, der noch mehr nach Panik und Untergang klingt – doomig, dunkel, böse.
„All I am is circumstance. And acid rain. We´re currents in the same stream. Surfacing to breathe.“
Bemerkenswert ist der Gesang in Evil Is, der erst bis zum Anschlag mit Wut gefüllt ist und dann in verächtliches Grunzen mündet:
„It’s this ordinary thoughtlessness that makes the world cease to exist. This ordinary thoughtlessness that keeps me here condoning death.“
So geht es immer weiter mit einer explosiven Mischung aus 00-er Hardcore und Metalcore. Bittersüße Melodien, rollende Drums, wuchtige Downbeats und eine stark und gleichzeitig zerrissen klingende Stimme, die immer wieder durch Gang-Shouts in ihrer Wut unterstützt wird. Sculpture of Violence lässt mir gar keine Verschnaufpause beim Kopfnicken und auf den Oberschenkeln Trommeln. Hier wird mit Schlagzeugrhythmen und -klängen gespielt, wie auf sonst kaum einem Album, das ich in der vergangenen Zeit gehört habe.
Built In The Difference macht den krönenden Abschluss eines richtig starken Albums, das wirklich alles hat, was ich mir nur wünschen kann! Ich kann es kaum erwarten, das live zu hören!
Tracklist
1. Night Season
2. Sculpture Of Violence
3. Every Age Has Its Dragons (Like An Empire)
4. The Same Stream
5. New Gods
6. Evil Is
7. These Words Are Rain
8. Imitation Dreams
9. Longing For Death
10. Built In The Difference
Wenn ihr die Chance habt, feiert mit Giver das Release von Sculpture of Violence in ihren Heimatstädten:
06.03. Paderborn, Wohlsein
07.03. Köln, Autonomes Zentrum