Allzu oft wurden Great Collapse bisher noch nicht interviewt, was mich wundert, wenn man zum einen sieht, in was für fantastischen Bands (z.B. Strike Anywhere, Rise Against, Set Your Goals) die Mitglieder spielen bzw. gespielt haben. Zum anderen ist die neue gemeinsame Band an sich unheimlich spannend, da es sich nicht um irgendeine weitere Punkrock-Supergroup handelt, sondern um eine Band, die eine ganze Menge zu sagen hat. Das zweite Album „Neither Washington Nor Moscow… Again“ (Review hier lesen) erschien vor knapp drei Wochen und seitdem sind Great Collapse auf ausgedehnter Europa-Tour. Ich durfte die Band in Koblenz interviewen. Zunächst sprach ich mit Sänger Thomas (T), mit der Zeit gesellten sich auch Bassist Joe (J) und Drummer Todd zu uns. Enstanden ist ein sehr langes und lesenswertes Interview.
AFL: Ihr spielt passend zum Albumrelease im Moment eine große Europatour, ein paar Konzerte sind noch übrig. Wie war es bis jetzt?
Thomas: Es ist für uns alle die längste Tour seit einer Weile. Ich habe das Gefühl, dass um diese Jahreszeit nicht so viele Bands in Europa unterwegs sind. Wir haben in verschneiten Großstädten wie Paris oder Lubiljana gespielt. Mit unseren anderen Bands waren wir bestimmt schon 50 mal in Europa und dennoch spielen wir momentan den Großteil der Shows in Städten, von denen wir noch nie gehört haben, Wermelskirchen oder Braunschweig. Es ist toll, die Lieder vom neuen Album endlich live zu spielen, weswegen der Fokus natürlich darauf liegt.
AFL: Bist du zufrieden mit dem Album an sich?
T: Auf jeden Fall. Was für uns besonders spannend ist, ist die Lieder live zu spielen. Wir sehen so, was aus den Liedern wirklich geworden ist. Das sind wertvolle Momente für uns. Als wir in Lubiljana gespielt haben, war Erik, der Drummer von meiner anderen Band Strike Anywhere, zu Gast. Danach sagte er mir seine persönliche Meinung und welche Lieder er am besten findet. Es hat im sehr gut gefallen.
AFL: Das ist interessant, denn als Schlagzeuger von Strike Anywhere kennt er dich ziemlich gut. Es ist für ihn bestimmt auch spannend, dich in einer anderen Band zu sehen. Er hat da eine spezielle Sicht drauf, oder?
T: Die hat er. Ihm gefällt besonders die Rhytmussektion von Great Collapse, also das was Joe und Todd machen.
„Schreiben, aufnehmen, veröffentlichen. Ohne lang zu zögern.“
AFL: Ich habe das Gefühl, dass auf diesem Album mehr Aufmerksamkeit liegt, als es noch vor drei Jahren bei „Holy War“ der Fall war. Ihr seid in diversen Musikmagazinen interviewt worden. Siehst du das ähnlich?
T: Das Gefühl hab ich auch und es ist großartig. Es ist interessant, denn wir bringen die Platte auf dem selben Label heraus wie vor drei Jahren, arbeiten generell mit den gleichen Leuten zusammen. Manchmal lässt das zweite Album das erste auch etwas wachsen. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir jetzt mehr anzubieten haben. Die Leute merken, dass es kein einmalinges Nebenprojekt war, sondern etwas mit mehr Substanz ist. Ich glaube, dass „Neither Washington Nor Moscow… Again“ „Holy War“ deeper erscheinen lässt, da es jetzt um nochmal andere Sachen geht. Ich würde es als Konversation zwischen den beiden Alben bezeichnen.
AFL: Als ich das erste mal den Titel eures neuen Albums las, kamen mir zwei Interpretationsmöglichkeiten in den Sinn. Zum einen denke ich an die aktuelle Diskussion, ob Russland Einfluss auf die Wahlen in den USA hatte, zum anderen erinnert es mich an den Kalten Krieg. Wie interpretierts du den Titel?
T: Es ist beides. Ich hab den Titel von der britischen Band The Red Skins, eine antifaschistische Soulband, die sich in den Zeiten vom Kalten Krieg auf keiner Seite gesehen haben. Mit dem Titel stellen wir aber auch die Frage, wer Politik kontrolliert. Es gibt nämlich keine richtige Demokratie, es sind eine ganze Menge Illusionen. In diesem digitalen Zeitalter wird überall Propaganda gemacht, was noch gefährlicher ist, als es zu den Zeiten des Kalten Krieges war. Man weiß nicht mehr, was die Wahrheit ist.
AFL: Meinst du damit auch, dass es schwer ist, überhaupt zu begreifen, was gerade los ist?
T: Ja. Vielleicht hat die Trump-Administration mit Russland zusammengearbeitet, was aber viel schlimmer ist, ist dass sowas immer und überall passiert. Am Ende ist der Albumtitel aber ein Statement über Identität und Nationen, denn wir müssen nicht gezwungen sein, uns für eine Seite zu entscheiden. Wir müssen keine „Amerikaner“, „Russen“, „Deutsche“ oder was auch immer sein, denn das wird uns aufgezwungen. Da müssen wir dagegenhalten.
AFL: Nicht nur in den USA, auch hier in Europa sind in fast jedem Land rechte Parteien auf dem Vormarsch. Deswegen kann dieses Statement auch als international aufgefasst werden, oder?
T: Absolut. Das Problem in den USA ist, das linke bzw. liberale Politik auch versagt hat und total korrupt ist. Bzw. hat Politik an sich versagt und ist nur noch eine Illusion. Langsam kommen wir an einem Punkt an, an dem es nicht mehr weiter geht. Aber darum ging es ja schon immer im Punk, weswegen ich auch immer auf frühere Punkbands referiere.
AFL: Die Lyrics auf eurem Album sind zum Teil ziemlich direkt und leicht verständlich, zum anderen aber auch sehr deep und setzen sich intensiver mit der Materie auseinander als bei vielen anderen Bands. Ein gewolltes Konzept?
T: Es ist ein Balanceakt, das stimmt. Das gleiche haben wir aber auch in musikalischer Hinsicht. Dort gibt es primitive, einfache Parts, aber auch ungewöhnliche Sachen. Das sind aber keine Spielereien, es hat nämlich alles seinen Sinn so. Ein kleiner Funfact: Den „Listen Nazi! Never again!“-Part haben wir von Poison Idea übernommen, einer Band aus Portland. Da drei von uns auch aus Portland sind, wollten wir Great Collapse so einen kleinen Portland-Touch geben.
„Seitdem Trump Präsident ist, sind alle möglichen Alt-Right-/Neonazi-/Antiimigrations-Gruppierungen viel mehr auf den Straßen unterwegs als vorher. Es ist eine konkrete Bedrohung.“
AFL: Auf der musikalischen Seite würde ich das ganze zwischen Skatepunk und sehr melodischem Hardcore einordnen. Was ist für euch wichtig, um einen guten Song zu schreiben, schließlich gibt es davon auf dem Album eine Menge?
Joe: Für mich persönlich ist das schwer zu sagen, es passiert einfach. Wir haben alle eigene musikalische Vorstellungen und so ist es am wichtigsten, dass am Ende etwas dabei rauskommt, mit dem alle zufrieden sind.
T: Wir haben uns dieses mal eine Art Uhr gestellt. Wir haben nach den Demos alles sehr schnell aufgenommen. Das Album sollte eine Art Momentaufnahme sein. Es ging wirklich schnell. Wir haben die Songs aus uns rausgekotzt und wollten, dass es auch so roh und unverändert klingt. So wie viele originale Punksachen sind. Schreiben, aufnehmen, veröffentlichen. Ohne lang zu zögern.
AFL: Als ihr Great Collapse gegründet habt, war das für euch wie das Gefühl, als ihr das erste mal in einer Band gespielt habt oder war es anders, weil ihr schon so viel Erfahrung mit euren anderen Bands gesammelt habt?
J: Es waren natürlich nicht die üblichen Komplikationen wie: Wer spielt Schlagzeug? Wer singt? Es war mehr nach dem Motto: Zu richtigen Zeit am richtigen Ort. Wir kannten uns zum Teil ja auch alle vorher schon.
T: Joe und ich haben damals für sechs Wochen zusammen im Epitaph-Lager gearbeitet. Danach haben wir uns lange nicht gesehen, bis er mir Instrumentals per E-Mail geschickt hat. Seitdem ist es quasi unser Baby haha. Ich habe jetzt zum ersten Mal eine zweite Band. Da wir mit Strike Anywhere in der letzten Zeit etwas kürzer getreten sind, hatte ich genug Zeit, um in einer weiteren Band zu spielen.
AFL: Viele sagen, ihr seid eine Supergroup, da ihr vorher in bekannten Bands gespielt habt, bzw. spielt. Seht ihr euch selbst als Supergroup?
T: Ich würde sagen, wir sind Veteranen. Oder Looser die nichts mit ihrem Leben anzufangen haben haha.
J: Als wir anfingen, habe ich das auch oft mitbekommen, habe aber versucht mich davon abzugrenzen.
T: Es ist nicht darauf ausgelegt. Wenn ich nicht singen würde, würde es irgendjemand anderes machen. Es ist einfach so passiert und war überhaupt nicht geplant. Wir waren einfach Typen, die im Epitaph-Lager gearbeitet haben und dann eine neue Band gegründet haben.
AFL: Viele Supergroups machen meistens aber auch nur ein Album, spielen ein paar Shows, um Kohle zu machen und hören dann wieder auf. Bei euch ist das anders, ihr habt zwei Alben und plant auch weiter zu machen.
T: Exakt. Wir alle denken, dass dieses Supergroup-Ding ziemlich langweilig ist. Wir müssen uns den Erfolg jetzt erarbeiten, und das obwohl wir schon viele Alben mit unseren anderen Bands gemacht haben.
J: Wir wollten auch einfach nochmal bei null anfangen. Bei mir war es nämlich auch so, dass ich den Kontakt zu den Gründen verloren hatte, die mich einst dazu bewegten, anzufangen Musik zu machen. Diese kleinen Shows mit Great Collapse zu spielen, hat mir geholfen, diesen Kontakt wieder herzustellen. Ich gehe also zurück zu meinen Wurzeln. So wie es jetzt ist, hat es damals für alle von uns angefangen.
AFL: Lasst uns nochmal zu politischen Themen zurück kommen. Da ihr eine sehr politische Band aus den USA seid, muss ich euch natürlich zum Thema Donald Trump ansprechen. In Deutschland ist er ununterbrochen in den Medien. Da die Distanz von hier aber sehr groß ist, ist es schwer zu sagen, wie sehr sich das Leben in den USA wirklich verändert hat, seit er an der Macht ist. Könnt ihr da genaueres zu sagen?
T: Seitdem Trump Präsident ist, sind alle möglichen Alt-Right-/Neonazi-/Antiimigrations-Gruppierungen viel mehr auf den Straßen unterwegs als vorher. Es ist eine konkrete Bedrohung. Diesen Leuten geht es nur darum, Leuten wehzutun, die nicht in ihr Weltbild passen. Jeder der davon betroffen ist, Linke, People Of Colour, Feministinnen usw. hat im Moment eine schwere Zeit. Es ist furchtbar, weil Menschen wegen diesen Nazis gestorben sind. Das ist so noch nicht passiert in Amerika. Unseren Präsidenten interessiert das nicht, sein Ego und seine Psychosen lassen ihn sogar denken, dass das etwas Gutes ist. Ich weiß nicht, was mit den USA passieren wird, wenn seine Präsidentschaft vorbei ist, denn alle schlimmen Befürchtungen aus dem Wahlkampf sind eingetreten.
J: Es ist immer unterschiedlich, je nach dem wo man lebt. In einer großen Stadt wie Portland merkt man das nicht so stark, da man dort wie in einer Blase ist. Fährt man raus aufs Dorf, wird es sehr unheimlich.
T: Bei der menschenverachtenden Scheiße die Trump twittert, ist es teilweise echt schwer zu verstehen, dass das die Realität ist. Und während er das tut, zerstören die Republikaner die Leben von ganzen Familien und sorgen dafür, dass vielen der Zugang zu medizinischer Hilfe verwehrt wird. Ein Problem liegt auch in unserer Kultur, da jeder denkt, er sei der Boss und wüsste alles am Besten. Viele leben nach dem Motto: „Anderen geht es schlecht? Das ist ihr Problem. Ich arbeite hart, also ist es in Ordning, wenn es mir gut und anderen schlecht geht.“ So spielen sie die Menschen auch gegeneinander aus. Dieser Teil der amerikanischen Kultur arbeitet also sehr gut mit der Trump-Administration zusammen.
AFL: Denkt ihr, es gibt genung Widerstand aus der Musik? Als Bush Präsident war, blühte die amerikanische Punkrockszene ja gerade zu auf. Man denke an Alben wie „The War On Errorism“ oder „The Empire Strikes First“.
T: Ich glaube, dass jeder der Musik macht, jetzt einen noch stärkeren Drang verspürt, etwas zu sagen. Deswegen ist dieses Album auch so schnell entstanden. Was toll ist, auch wenn es nicht direkt um musikalischen Widerstand geht, ist dass nicht nur Antifas gegen die Nazis auf die Straße gehen, sondern auch viele andere Menschen nun schnallen, dass etwas schief läuft. Das ist die Hoffnung.
AFL: Ein sehr großes Thema. Ich würde zum Ende hin gerne noch ein paar Standart- und Leserfragen durchgehen. Die erste ist: Wie haben die neuen Lieder auf der Tour bisher funktioniert? Welche kamen besonders gut an?
J: Ich glaube, viele Zuschauer sind noch dabei, zu verstehen, was für eine Band wir wirklich sind haha.
Todd: Das Album kam ja genau zu Tourbeginn raus, weswegen viele die Songs noch nicht so gut kennen. Mit den Sachen von der alten Platte können die meisten dann mehr anfangen. Aber manche von den neuen Liedern funktionieren direkt.
T: Bei „Atomic Calender“ fing bisher meistens der Moshpit an. Das ist ein gutes Zeichen.
AFL: Habt ihr denn persönliche Lieblingslieder auf dem Album?
J: Meins ist „Pretty Wrackage“.
Todd: Wir haben alle verschiedene. Meine sind „Meltdown“ und „Atomic Calender“.
T: Ich mag sie alle. „Atomic Calender“ mag ich aber auch mit am liebsten, weil der Song interessante Sachen macht. Wenn man denkt, er expoldiert jetzt, fährt er erstmal ein bisschen zurück. Außerdem wiederholen sich darin keine Parts. Das ist spannend.
AFL: Eine Leserfrage: Wenn ihr Konzerte in Europa spielt und sowohl in Großstädten wie London oder Paris, aber auch in B-Städten wie Koblenz auftretet, geht ihr jede Show gleich an, oder gibt es da Unterschiede?
J: Also ich versuche, jede Show mit der selben Motivation anzugehen.
Todd: Ich glaube, wir alle versuchen immer alles zu geben. Oft ist es auch so, dass es in den kleineren Städten ein sehr cooles Publikum gibt, das zu jeder Punkshow in der Nähe kommt, einfach weill das Angebot nicht so groß ist, wie in den anderen Städten. So ist es auch bei uns Zuhause.
AFL: Eine letzte Frage an dich Thomas: Ich habe das Gefühl, dass, obwohl du gerade mit Great Collapse unterwegs bist, viele Fragen kommen, wann es denn wieder mit Strike Anywhere weiter geht. Ist das nicht etwas nervig, wenn man gerade ein neues Album rausgebracht hat und dann nur nach seiner anderen Band gefragt wird?
T: Haha, ich denke das ist logisch. Ich bin ja keine andere Person, wenn ich nicht gerade bei Strike Anywhere bin.
Todd: Von außen sieht es manchmal so aus, dass Leute zu den Konzerten kommen, einfach weil sie Fans von Thomas sind und dem was er tut. Sie sind einfach interessiert in seiner Message, egal in welcher Band er gerade singt, was auch cool ist.
T: Man sieht sich einfach als Teil des Kollektivs, das ein selbes Intersse hat.
Todd: Das Thomas-Kollektiv, haha.
Danke für das Interview!