1Review von Tobias:
„Wie sollen die auch weiter machen. Wer klingt schon so wie Zoli?“ – „Naja, Klaus Meine?“ – „Ok, aber der ist zu alt und bei den Scorpions. Aber sonst gibt es nicht wirklich einen, oder?“
So oder so ähnlich mag das ein oder andere Gespräch gewesen sein, als Zoltán „Zoli“ Téglás 2019 bekannt gab, Ignite zu verlassen, was dann auch die Quasi-Auflösung der Band aus Orange County zur Folge hatte. Über 25 Jahre war Zolis Stimme das Markenzeichen der Hardcore Band gewesen.
Jetzt sind Ignite zurück. Brett Rasmussen ist als einziges Gründungsmitglied noch mit dabei. Als neuer Sänger ist jetzt Eli Santana an Bord, der vorher in verschiedenen Metal Bands (Incite, Holy Grail und Hunteress) aktiv war. Das ließ aufhorchen, kann das passen? Sind die Fußstapfen nicht zu groß?
Im Herbst letzten Jahres dann eine erste Single als Lebenszeichen: Anti-Complicity Anthem ist ein klassischer Ignite Song und geht sofort ins Ohr. Viel wichtiger aber, Elis Stimme harmonierte damit. Auf der B-Seite wurde mit Turn XXI ein Song vom 1994er Debüt neu aufgenommen und damit der Beweis erbracht, dass Eli tatsächlich zu Ignite passt und auch das ganz alte Material funktioniert.
Jetzt steht das neue, selbst betitelte Album in den Startlöchern; zum Titel später mehr.
10 Songs in 31 Minuten umfasst die Platte und wird über Century Media veröffentlicht, wie auch schon der Vorgänger vor sechs Jahren.
Das Songwriting klingt, zumindest in Teilen, so wie früher. Die Vocal Range von Eli Santana ist beeindruckend und er schafft es auch, in ähnlicher Stimmfarbe wie Zoli zu singen. Gleichzeitig wird aber im Verlauf der Platte deutlich, dass er mehr Volumen in tieferen Lagen besitzt und durchaus auch schreien oder die Stimme anzerren kann.
Crewshouts zur Verstärkung, viele Zweitstimmen und Chöre lassen bekanntes Ignite Feeling aufkommen. Dabei ist aber die Hymnen- und Ohrwurmdichte etwas geringer als auf alten Platten, die Stimmung insgesamt etwas melancholischer.
Die Songs
Das Album startet mit eben jener Anti-Complicity Anthem. Die Single aus dem letzten Jahr hätte auch auf einem der Vorgängeralben in genau dieser Aufnahme gepasst, gerade weil Eli Santana hier sehr nahe an Zolis Tonlage und Intonation arbeitet. Auch The River passt in die bisherige Diskographie. Textlich geht es hier sozialkritisch um die Situation von Flüchtlingen an der Südgrenze der USA.
Das folgende This Day ist schon fast eine Verbeugung vor den sehr frühen Ignite. Erstaunlich, dass hier Eli federführend im Songwriting war. Der Song verdient mehr als jeder andere Titel auf der Platte das Attribut Hardcore. On The Ropes und The Butcher In Me reihen sich in eine insgesamt runde, Up-Tempo A-Seite ein.
Dieser Eindruck von Ignite-aus-einem-Guss ändert sich dann auf der B-Seite. Hier erweitern die „neuen Ignite“ ihre Stilbreite merklich. Call Off The Dogs klingt zwar am Anfang noch so, wie Ignite eben klingen. Im C-Teil wird dann aber tatsächlich richtig geschrien, der vermutlich härteste Part, den Ignite je geschrieben haben. Jetzt wird endgültig deutlich, dass Eli vielleicht nach oben eine halbe Oktave im Vergleich zu Zoli fehlt, er aber ansonsten deutlich variabler seine Stimme einsetzen kann.
In den folgenden vier Stücken geht es dann auch weiter abwechslungsreich zu, sowohl gesangtechnisch als auch vom Songwriting. So erwischt man sich immer wieder bei Assoziationen zu anderen Bands: „klingt ein bisschen wie Millencolin“ (Strophe von The House Is Burning), „oh, singt da in der Bridge jetzt Howard Jones?“, „könnte jetzt auch von Rise Against sein“…
Das geht so bis zum finalen Let The Beggars Beg, das zumindest musikalisch auch Boysetsfire gut stünde. Interessanterweise suchen Ignite hier nicht den Weg, die Platte mit einer eingängigen Hymne abzuschließen. Mit der leicht dissonanten Akkordfolge im Refrain und dem 3/4 Takt liegt der Song eher quer und endet dann auch völlig abrupt. Ganz so, als wollten Ignite hier einen Cliffhanger für die nächste Veröffentlichung platzieren. Nach dieser B-Seite kann man getrost gespannt sein, wohin es mit Ignite noch so geht.
Zurück zum Titel des Albums
Warum betiteln Bands ein Album nach sich selbst? Zumeist weil es irgendwie repräsentativ für die Band, ihren Sound, ihre Geschichte steht.
Nach gut 25 Jahren stilprägender Diskographie ist das 2022er Release von Ignite aber eine deutliche Weiterentwicklung, nicht nur aufgrund des Sängerwechsels. Die „neuen Ignite“ bewegen sich weiter weg von ihren Trademarks als jemals zuvor. Ignite sind noch Ignite, aber irgendwie auch nicht. Die fünf Musiker präsentieren hier nicht die Quintessenz aus knapp 30 Jahren Bandgeschichte, sondern machen sich auf in neue Richtungen und werden sich hierbei sicherlich noch final finden müssen. Wohin die Reise geht, wird erst die Zukunft zeigen.
Vor diesem Hintergrund wirkt ein selbstbetiteltes Album eher unpassend. Allerdings, Begin Again als Titel war ja aber leider schon ein Song auf A War Against You und stand damit nicht mehr zur Verfügung.
Fazit
Für den alten Ignite Fan bietet das selbstbetitelte Album viele Anknüpfungspunkte und Elemente mit Wiedererkennungswert zur Bandhistorie. Gleichzeitig verlangt es aber die Offenheit, auch die neuen Wege mit zu entdecken. Mein Tipp ist ja: Auf dem Nachfolger (hoffentlich früher als in sechs Jahren…) wird die Band eher die Gefilde der B-Seite weiter erkunden, als die ursprünglichen Ignite erneut zu zitieren.
Wem Ignite bisher nicht über den Weg gelaufen sind, hält hier ein rundes Album zwischen Punk und Hardcore in den Händen mit einer großen Bandbreite an Songs und Stilelementen, ohne Ausfälle, dafür mit viel Potenzial.
Der Start in eine neue Phase der Band ist definitiv gelungen. Es bleibt ausreichend von den „alten Ignite“, um Ignite zu bleiben. Gleichzeitig wird genug Weiterentwicklung gezeigt, um nicht nur der Versuch zu sein, Ignite ohne Zoli weiterzuführen. 4 von 5 Punkten
2Review von Bennie:
Um mal wieder mit der Tür ins Haus zu fallen: Vor einem halben Jahr, als ich las, dass der langjährige Ignite-Frontmann Zoli die Band verlassen wird, hätte ich nicht einen Cent gewettet, dass sich die Kalifornier so zurückmelden! Brett Rasmussen & Co. legen mit ihrem selbstbetitelten Album eines der Jahreshighlights vor. Ignite erscheint, wie bereits die Vorgänger A War Against You und Our Darkest Days, auf dem deutschen Label Century Media Records aus Dortmund.
Selten klangen Ignite so abwechslungsreich und frisch. Und das liegt gar nicht so stark am neuen Sänger Eli Santana. Der klingt an vielen Stellen nämlich sehr stark nach seinem anfangs angesprochenen Vorgänger. Vielmehr besticht der 5er als eine kompakte Einheit, die alles kredenzt, was man als Hardcorefan benötigt: Schnelle, pittaugliche Granaten wie Anti-Complicity Anthem oder This Day. Dann gibt es ruhigere Punksalven wie The Butcher In Me und The House Is Burning. Auch der längste Song des Albums, Let The Beggars Beg, gehört in diese Kategorie.
Den Boden des Fasses schlagen Ignite aber mit Ohrwürmern wie den Vorabsingles On The Ropes sowie The River aus. Diese Songs, welche zwischen melodischen Passagen, unfassbaren Refrains und brachialen Tempogebolze wechseln, gehören zum Besten , was man in den letzten Jahren von Ignite gehört habe. Zu diesen Perlen zähle ich auch State Of Wisconsin.
Warum man auf Ignite einen deratig düsteren Sound gewählt hat und welche Rolle Eli sowie die Coronapandemie dazu beigetragen hat, erfahrt ihr übrigens im Interview mit Gründungsmitglied und Bassist Brett Rasmusssen.
Und genau hier zeigt sich, dass man mit Eli Sanatana einen Frontmann am Start hat, der noch diffizilerer und einfühlsamer die Songs interpretiert als sein Vorgänger. So entfacht die Band aus Orange County ein immenses Suchtpotential, welches die 11 Stücke immer wieder durch die Boxen schallen lässt. Und je häufiger man sich dieses Album anhört, desto großartiger wird es. 5 von 5 Punkten.