Kaum eine Band hat so eine krasse Geschichte wie die Donots. Von einem schnellen Aufstieg Anfang der 2000er, über einen noch schnelleren Niedergang nach einem großen Rechtsstreit mit der ehemaligen Plattenfirma bis hin zu einem anschließenden Total-Reset, der die Band nicht nur komplett independent sondern auch erfolgreicher und authentischer denn je gemacht hat. Die Donots standen noch nie still und haben spätestens seit ihrem Wechsel zu deutschen Texten einen legitimen Anspruch darauf, in der „Hall of Fame of German Punkbands“ ganz weit oben genannt zu werden. Ein neues Album ist also immer ein guter Moment, um die den aktuellen Stand der Band zu sehen und ein Blick darauf zu werfen, wie sie all das erreichen konnten.
Im Vorfeld zum Release der neuen Platte Heut ist ein guter Tag (Review hier) hatten wir die Möglichkeit ausführlich mit Sänger Ingo Donot zu quatschen. Es ging u.a. darum, was sich in der Promotion von Punkalben in den letzten fünf Jahren verändert hat, warum die Band gute Chancen auf eine hohe Chartplatzierung hat, mit welchem Trick sie die Tracklist zusammenstellen und warum die eine Tasse Kaffe manchmal zu viel ist.
Aber auch zu ersten Themen hat Ingo einiges zu sagen. Es geht u.a. um die Punkszene als soziales Auffangbecken, seine Panikattacken in den 00er-Jahren und mit welchen Existenzängsten und Risiken der Schritt zu D.I.Y. begleitet war. Außerdem erzählt er, warum die Bandbiografie fast den identischen Titel wie die von Bad Religion gehabt hätte.
AWAY FROM LIFE: Wenn ihr was rausbringt habe ich schon das Gefühl, dass großes Interesse an euch besteht. Wieviele Interviews gibts du im Moment?
Ingo Donot: Die Promophase ist ein bisschen zerstückelt. Vor Weihnachten ging es schon los, über die Feiertage war dann frei und jetzt geht es richtig in die Vollen. An einigen Tagen sind es sogar sechs bis sieben Stück inkl. mehrerer Podcasts von mehreren Stunden. Es ist quasi „Crunchtime“, was aber auch genauso sein soll kurz vor Release. Am Ende müssen wir aber auch dankbar darüber sein, dass in so ungewissen Zeiten Leute Bock auf uns haben. Von daher ist das auch alles sehr cool.
„Wenn ich für junge Punkkids diese Gateway-Band sein darf, dann ist das toll.“
AFL: Ihr habt euer neues Album Heut ist ein guter Tag vor sieben Monaten bei Rock am Ring angekündigt. Normalerweise werden Platten so drei bis vier Monate vorher angekündigt. Wie schwer ist es, so lange zu warten? Ich nehme an, dass das Album zu diesem Zeitpunkt schon komplett im Kasten war…
Das ist schon hart, allerdings müssen wir da als Band mit eigenem Label aber auch irgendwie der aktuellen Zeit Rechnung tragen. Als wir vor fünf Jahren die Lauter als Bomben angekündigt haben, war das tatsächlich noch ganz anders. Mittlerweile ist es gar nicht mal so unüblich, ein Album ein ganzes Jahr vorher fertig zu haben, weil durch Corona das ganze Vinyl-Granulat knapp geworden ist und es in den Presswerken einen riesigen Stau gibt. Für mich ist das nochmal besonders schwierig, weil ich ein totaler „Jetzt-Mensch“ bin. Am liebsten würde ich einen Song sofort hochladen und der Welt präsentieren, wenn er im Studio eingespielt ist.
Nochmal anders war es, als wir in den 90ern unsere ersten Platten rausgebracht haben. Da ging die Promophase erst los, als das Album schon veröffentlicht war. Heutzutage ballerst du vier bis fünf Singles mit Videos im Vorhinein raus, da alles ganz spitz auf dieses Releasedate zuläuft. Das muss jetzt aber auch nicht unbedingt schlechter sein.
AFL: Glaubst du denn, dass sich die Geduld auszahlen wird? Wenn man sich mal die Chart-Platzierungen von Punkbands momentan anguckt, sieht das gar nicht so unerfolgreich aus. Anti-Flag waren dieses Jahr z.B. schon auf Platz sechs der deutschen Albumcharts…
Das mit Anti-Flag war echt cool. An dem Tag hatte ich mit Chris #2 noch WhatsApp geschrieben. Ich hatte die Charts irgendwie schon vorab in den Händen und ihm geschrieben, dass sie auf Platz sechs eingestiegen sind. Er war dann nur: „Woooow, what the fuck!“
Es sind schon gute Zeiten. Es ist aber auch kein Hexenwerk, solche Positionen zu erzielen. Natürlich verkaufst du in der Release-Woche am meisten. Sub-kulturelle Bands haben Mainstream-Acts aber noch etwas voraus: und zwar dass wir eine sehr treue Fanbase haben mit Leuten, die schon am ersten Tag unbedingt das Album haben wollen. Ganz viel Verkäufe kriegst du also über die Vorbestellungen, was extrem in die Charts rein donnert. Irgendwelche Mainstream-Leute kriegen das in der Art natürlich nicht hin. Da muss man auch einfach mal die Fans loben, die einem ja einen totalen Vertrauensvorschuss geben und das Album auch ungehört kaufen.
AFL: Ich denke, du wirst maximal bescheiden auf diese Frage antworten, aber was glaubst du: wo werdet ihr landen?
Ich kann es dir ehrlich nicht sagen. Natürlich gucken wir uns an, was in unserer Woche noch released wird – einfach weil wir ein eigenes Label sind. Dieses Mal sind das u.a. Ellie Goulding, Prinz Pi und so ein Doppel-Soloalbum vom Frusciante von den Red Hot Chilli Peppers. Rein von der Disposition her sieht es gar nicht mal so schlecht aus, dass wir hoch charten. Aber ey, ich mach da gar keine Vorhersagen mehr. Die letzte Platte ist auf Platz vier gewesen, also mal gucken…
„Was Subkultur-Bands aber auch immer vom Rest unterschieden hat, war ein sehr pessimistischer bzw. realistischer Blick auf die Welt. Alles andere wäre eine heile Welt zu verkaufen, womit du ja beim Schlager wärst. Ich denke, der Grund aus dem wir alle Punk geworden sind, ist das Wissen, dass nicht alles gut läuft.“
AFL: Lass uns über das Album sprechen. Als ihr die Doppel-Single mit Augen sehen und Hey Ralph rausgebracht habt und ich danach den Rest des Album hören konnte, hat das für mich total Sinn ergeben. Die beiden Song repräsentieren nämlich perfekt beide Seiten von Heut ist ein schöner Tag: die schnelle und kompromisslose, aber auch die ruhigere und experimentellere mit coolen Sounds in der Produktion. War das genau der Plan dahinter?
In gewisser Weise schon. Wir haben ja erst überlegt, ob wir wieder irgendwelche Singles einzeln rausbringen. Aber auch da lernst du immer neue Sachen. Turnstile haben z.B. vier Songs in einer langen Videowurst rausgebracht. Die Leute haben halt nicht mehr die längste Aufmerksamkeitsspanne und wenn du halt zwei Mal klicken musst, ist das ggf. schon ein Mal zu viel. Dann haben wir uns gedacht, dass es doch schön wäre, so einen Doppelaufschlag zu machen, auch um zu gucken, wie das denn so ankommt. Und wenn du dann beide Extreme auslotest, ist das ja schonmal eine ganz gute Visitenkarte für den Rest des Albums. Ich denke schon, dass das absolut Sinn ergeben hat – so gerne ich nicht von Plattenfirmenseite drauf gucke. Wir nehmen das zwar sehr ernst mit unserem Label, trotzdem bin ich persönlich froh, dass ich nicht die Finanzen handle oder der Manager bin. Alex ist da im Management viel besser und Eike ist quasi der Schatzmeister. Ich hasse es, über Geld nachzudenken oder strategisch voraus zu planen. So bin ich einfach nicht. Ich mag es, mir eine gewisse Naivität zu bewahren und vornehmlich bei der Musik zu sein. Von daher ist es sehr gut, dass jeder von uns die Rolle bekleidet, die er am besten kann.
„Eine Woche bevor die Bad Religion-Biografie angekündigt wurde, hatten wir unser Buch mit Ingo Neumayer fertig und haben bei einem Kaffe über den Titel dieses Buchs nachgedacht. Wir hatten dann fünf Tage den Titel „Do what you want“.“
AFL: Hey Ralph fand ich nicht nur musikalisch sondern auch textlich spannend. Ich habe da einen Vergleich zu Songs wie Du darfst niemals glücklich sein oder Junger Mann zum Mitleiden gesucht gezogen – quasi diese „Lebenskrisen“-Songs. Da scheinst du ja sehr viel drüber nachzudenken und zu schreiben…
Das liegt zum einen daran, dass unsere Szene, bzw. Subkulturen im Allgemeinen, oft auch ein soziales Auffangbecken sind – trotz aller Positivität und Energie mit einem sehr bejahendem Lebensgefühl. Was Subkultur-Bands aber auch immer vom Rest unterschieden hat, war ein sehr pessimistischer bzw. realistischer Blick auf die Welt. Alles andere wäre eine heile Welt zu verkaufen, womit du ja beim Schlager wärst. Ich denke, der Grund aus dem wir alle Punk geworden sind, ist das Wissen, dass nicht alles gut läuft. Das Gute ist aber auch, dass dir diese Szene immer ein Back-Up gibt. Sie wird immer da sein. Und wenn du es aus dieser Position siehst, dann bleibt dir ja gar nichts anderes übrig als die Treppe hochzufallen, wenn du vorher am Boden gelegen und Staub gefressen hast. Hey Ralph ist dementsprechend natürlich auf der pessimistischeren Seite geparkt, verkauft dir aber – fast schon Kalenderspruch-mäßig – dass das nächste Jahr besser wird. Genau so musst du aber auch jedes Jahr angehen, wenn es dir nicht gut geht. Du hast ja keine andere Wahl und verzweifelst letzten Endes nur. Wenn jemand Hoffnung verbreiten sollten, dann sind das die Leute, die wissen wie es schmeckt, Staub zu fressen.
Ich glaube auch, dass das ganz wichtig für Leute ist, die über uns vielleicht einen Erstkontakt zu Punk haben. Als ich damals Die Toten Hosen, Die Ärzte oder Bad Religion kennengelernt habe, habe ich mich auch verstanden gefühlt und es hat mir Sicherheit gegeben. Wenn man tiefer in Materie einsteigt, wird man irgendwann merken, dass Punkbands die Wahrheit sagen, wenn sie singen, dass nicht alles perfekt ist. Auf der anderen Seite wird aber auch gesagt, dass wir das schon hinbekommen und zusammen durchstehen. Wenn ich für junge Punkkids diese Gateway-Band sein darf, dann ist das toll.
„Du kannst nicht wie Metallica endlos weiter schreiben und dich totproduzieren. Irgendwann musst du Kasse machen und schauen, was da ist.“
AFL: Bei 1.21 Gigawatt musste ich wegen den ganzen Kaffeereferenzen direkt an die Descendents denken, von denen du bekanntlich ja auch ein sehr großer Fan bist. War das ein konkreter Einfluss? Bzw. wie stark hast du die eigenen Vorbilder wie Milo Auckerman oder Greg Graffin Kopf, wenn du gerade am Texte-schreiben bist?
Ja natürlich. Davon kann sich, glaube ich, keiner so richtig frei machen. Und es ist ja auch ein ganz großes Kompliment an deine Lieblingsbands, wenn man sich untereinander referenziert. Genauso krass finde ich es, wenn unsere Textzeilen irgendwo zitiert werden. Kollege Casper hat ja z.B. auf Dann ohne mich referenziert. Das ist total irre. Ja klar ist mit Coffee Mug der beste Kaffee-Song schon geschrieben, aber mir ist es sehr wichtig, dass das worüber man schreibt auch authentisch ist. Es sollte um etwas gehen, was dich möglichst traurig oder möglichst glücklich macht. Hauptsache du kannst authentisch darüber erzählen – ganz besonders auf Deutsch wo du dir Füllwörter wie „Yeah“ oder „Allright“ gar nicht erlauben kannst. Ich persönlich würde ohne Kaffee gar nicht existieren, weshalb es einfach ist, über sein Lebenselixier zu schreiben haha. Bist du Kaffeetrinker?
AFL: Es geht… Meistens kommt das Herzrasen und ich bin trotzdem müde.
Ja perfekt, um genau diesen Moment geht es. Ich trinke immer ein bis zwei Tassen Kaffee zum Start des Tages und trinke dann noch viel mehr über den Tag verteilt. Irgendwann kommt dann dieser Moment, wo du eine Tasse zu viel trinkst und anfängst, elektrische Arme und Beine zu bekommen. Genau diesen lustigen, aber irgendwie auch weirden Moment beschreibe ich in dem Song. Genau so stelle ich es mir vor, wenn du mit dem Flux-Kompensator mit 1.21 Gigawatt durch die Weltgeschichte reist haha.
„Das ging dann sogar so weit, dass ich mir für unsere erste Japan-Tour Psychopharmaka reingehauen habe – und zwar richtig heftige.“
AFL: Ich habe das Gefühl, dass ihr ein Händchen für den letzten Song auf einem Album habt und ich sehe einige Parallelen: So long, Heute Pläne, morgen Konfetti und jetzt Endlich irgendwo… Alle Songs sind ein bisschen emotional, stets optimistisch in die Zukunft blickend und irgendwie immer positiv. Mit welcher Intention gehst du an die Albumproduktion, dass immer so ein Song mit drauf ist?
Ich stimm dir da auf jeden Fall zu. Ich glaube, wir können „Ende“ ganz gut haha. Wenn wir ins Studio gehen, betrachten wir jeden Song zunächst einzeln und lassen jedes Riff zu, um zu gucken, was dabei rauskommt. Wenn uns dann etwas gefällt, arbeiten wir an dem Song – losgelöst vom Albumkontext. Wir versuchen dann, das Gefühl, das ein Lied auslöst, zu maximieren. Was davon dann gut wird, kommt am Ende auch aufs Album. Irgendwann hast du natürlich 15-17 Songs angehäuft und musst loslassen. Du kannst nicht wie Metallica endlos weiter schreiben und dich totproduzieren. Irgendwann musst du Kasse machen und schauen, was da ist.
Das ist dann der Moment, bei dem Alex mich meistens fragt, ob ich nicht Lust hätte, eine Playlist zu erstellen. Dann fange ich an zu überlegen, wie ich die Songs am besten auf einem Mixtape anordnen würde, das ich einem Freund oder einer Freundin schenken würde. Bei einem solchen Spannungsbogen kristallisiert sich dann natürlich ein Song wie Auf sie mit Gebrüll raus, der quasi nach Opener schreit. Da denkst du dir „die Messe ist gelesen“, wenn wir den live spielen. Genau das gleich brauche ich aber auch mit einem Abschlusssong – quasi eine Klammer vorne und eine Klammer hinten.
Bei Endlich Irgendwo war bis auf den Endteil mit dem „Alles scheint…“ schon alles fertig. Da dachte ich mir, dass es der perfekte Song für ein Ende wäre. Aber ich fand auch, dass das Ende ein Ende bräuchte. Als ich mir dann immer wieder das Gitarrenthema angehört habe, hatte ich das Gefühl, dass das alles hat, um für ein großes Finale herzuhalten. Ich hab die anderen gefragt, ob wir so eine „Weezer-Steigerung“ von ganz leise zu ganz laut hinbekommen. Unser Produzent Kurt meinte dann, wir sollen es nicht so Balladen-mäßig machen, um uns nicht mit So long zu doppeln. Deshalb haben wir letztlich dieses Upbeat-Finale zum tanzen gemacht – total positiv also. Von daher bin ich voll bei dir: das ist ein perfektes Ende. Ob es auch in der Live-Setlist am stehen wird, wird sich zeigen. Aber fürs Album ist es optimal.
„Anfang der 00er-Jahre lag da ja noch in gewisser Weise ein Stigma drauf. Damit ist man nicht unbedingt gerne hausieren gegangen – es sei denn du gehörtest du den Leuten, die sich das groß auf die Fahnen geschrieben und als Verkaufsargument genutzt haben. Nach dem Motto „Ey, mir gehts nicht gut, hör dir meine Mucke an!“ So war ich aber nie.“
AFL: Mal ein paar Fragen weg vom Album: Was in den letzten Jahren bei euch ebenfalls sehr wichtig war, war eure Bandbiografie Heute Pläne, morgen Konfetti. Dort gab es Stellen, an denen du über Panikattacken geschrieben hast, die du vor allem Anfang der 2000er hattest. Hat es Überwindung gekostet, dieses Thema mit der Öffentlichkeit zu teilen und wie waren die Reaktionen darauf? Vorher hattest du das ja nicht unbedingt kommuniziert…
Anfang der 00er-Jahre lag da ja noch in gewisser Weise ein Stigma drauf. Damit ist man nicht unbedingt gerne hausieren gegangen – es sei denn du gehörtest du den Leuten, die sich das groß auf die Fahnen geschrieben und als Verkaufsargument genutzt haben. Nach dem Motto „Ey, mir gehts nicht gut, hör dir meine Mucke an!“ So war ich aber nie.
Damals dachte ich sogar eher, dass das unsere Ausstrahlung kontakariert. Ich wollte das auch gerne selbst aus meinem Leben raushalten, weshalb es sich damals nicht richtig anfühlte, darüber zu reden. Ich glaube, jeder der mal eine Panikattacke oder eine heftige Angststörung hatte, kann dir sagen, dass das nichts schönes ist. Das sind Gefühle, bei denen du denkst, dass du nen Herzinfarkt kriegst. Gleichzeitig hatte ich die Sorge, dass ich, in einer Zeit in der sehr viel für uns passierte, ausfallen könnte, womit ich wiederum die ganze Band gebremst hätte. Das ging dann sogar so weit, dass ich mir für unsere erste Japan-Tour Psychopharmaka reingehauen habe – und zwar richtig heftige.
Mit dem jetzigen Abstand von 20 Jahren kann ich dir sagen, dass Angststörungen nie ganz weg gehen, du aber einen anderen Umgang damit findest. Aus heutiger Sicht, würde ich mir selbst vor 20 Jahren gerne sagen, dass ich damit viel offener hätte umgehen sollen. Man kann jeden nur beglückwünschen, der so offen zu sich selbst ist, dass er eine Gesprächstherapie machen will und sich seinen Ängsten stellt. In den letzten 20 Jahren ist da zum Glück echt viel passiert. Wenn es nach mir gehen würde, sollte jeder Mensch, egal ob er es sich eingesteht oder nicht, einmal im halben Jahr zu einer Gesprächstherapie gehen. Damit würde es, glaube ich, der ganzen Gesellschaft deutlich besser gehen und ganz viele von diesen Hass-Spitzen wären abgekappt.
AFL: Was in eurer Bandgeschichte ebenfalls nicht einfach war, waren die beiden „Turning-Points“. Einmal als ihr euch vor dem Coma Chameleon-Album 2008 musikalisch komplett neu erfunden habt und natürlich, als ihr ab 2015 plötzlich auf Deutsch gesungen habt. Welcher dieser Momente war im Nachhinein mit mehr Risiko verbunden und auf lange Sicht vielleicht auch bedeutender?
Ich glaube, dass der erste Reset von beiden der wichtigere war – sprich, experimenteller zu werden und unsere Musik von einer anderen Seite zu beleuchten. Als wir uns 2004 mit der Got The Noise bei Gun Records, also einem Ableger von Sony/BMG rausgeklagt hatten, hatten wir zwei Jahre lang Schwierigkeiten aus dem Deal rauszukommen, weil uns die Anwälte gar nicht für voll genommen haben. Als wir danach die Coma Chameleon-Platte mit einem komplett neuen Sound aufgenommen hatten, sind wir erstmal Label-shoppen gegangenen. Damals meinte dann jeder zu uns, wir seinen „Yesterday-sesations“ und man hat uns gefragt, was wir denn damit wollen. Die Angebote, die wir dadurch bekommen haben, waren eigentlich gar keine, weshalb wir uns gedacht haben, dass wir es dann auch einfach selber machen können – was wir letztlich ja auch getan haben.
In der Zeit stand unsere Bandkasse wirklich auf null. Wir alle haben privat draufgezahlt, weil wir so unglaublich an diese Platte gelaunt haben – der Rest der Welt aber nicht. Wir mussten wieder ganz kleine Brötchen backen. Wo wir vorher einen Zuschauerschnitt von 800 Leuten hatten, mussten wir teilweise wieder vor 80 spielen. Wir wollten es aber so sehr, dass wir als eigenes Label alle unsere Kontakte reaktiviert haben. Wir sind richtig Klinken-putzen gegangen und haben u.a. ganz konkret Redakteur X oder Redakteurin Y bei Radiosendern angeschrieben, ob sie sich nicht mal die Platte und Stop the clocks anhören wollen. Durch eine Menge guten Willen wurde der Song dann auch hier und da mal per Handeinsatz außerhalb der Rotation im Tagesprogramm gespielt.
Und auf einmal ging es dann los. MTV hat z.B. plötzlich gesagt, dass sie das Stop the clocks-Video in die höchste Rotationsstufe nehmen. Danach kam die höchste Rotationsstufe bei 1LIVE. Und so kam das alles wieder ins Rollen. Dieser komplette System- und Sound-Reset, alles wieder D.I.Y. zu machen, all das hat unserer Band das Leben gerettet. Am Ende des Tages hat es quasi dafür gesorgt, dass wir im fast 30. Bandjahr unsere größten Shows spielen dürfen. Wer kann das schon von sich behaupten, wo die meisten Bands doch nach zwei Alben ihrem eigenen Schatten hinterher laufen? Wir waren noch nie so groß und es hat noch nie so viel Spaß gemacht wie jetzt. Und dafür bin ich so dankbar!
AFL: Wenn man sich die deutsche Punkrock-Landschaft anguckt ist klar, dass die Hosen und die Ärzte größen- und einflussmäßig das Maß aller Dinge sind. Danach würde ich mittlerweile die Broilers einordnen, die ja mittlerweile auch in Stadien spielen. Es gibt aber, glaube ich, ebenfalls keinen Fan von Gitarrenmusik, der euch nicht kennt, bzw. euch nicht mal irgendwo live gesehen hat. Ich glaube, es gibt auch keine Band, die so viele WDR-Dokus über sich hat wie ihr. Ich glaube, du wirst auch hier bescheiden antworten, aber glaubst du, dass ihr eine der größten deutschen Punkrockbands der letzten 20-30 Jahre seid?
Für Leute von außen ist das wahrscheinlich so. Ich bin tatsächlich viel zu bescheiden und demütig, um das zu bestätigen und würde immer sagen, dass alles einfach ganz gut für uns läuft. Natürlich sucht man sich immer ein neues Level und neue Ziele, die man erreichen will. Es gibt ja nichts schlimmeres als Leute, die so selbstverliebt sind, dass sie satt von sich selbst werden. Gleichwohl finde ich es aber natürlich irre, wenn ich sehe wo wir jetzt sind und wo wir vor 30 Jahren waren. Es ist Wahnsinn was wir für ein Selbstverständnis von uns selbst und was für ein Selbstvertrauen wir entwickelt haben. Auch dass wir jetzt akzeptieren können zu sagen, dass alles was mir machen „Donots“ ist, hat sehr lange gedauert. Früher haben wir uns mit Szene-Augen selbst limitiert. Heutzutage ist alles was wir machen „Donots“, solange wir es nach unseren Spielregeln machen. Die Frage ist nicht „Was macht man? Sondern wie macht man es?“
Es ist irre, mittlerweile so viel Feedback zu bekommen. Ich weiß nicht, wie viele Donots-Tattoos es mittlerweile gibt. Dass wir sogar Mails bekommen, in denen steht „Ihr seid die wichtigste Band in meinem Leben, ihr wart dabei als mein Papa gestorben ist, ihr wart dabei als ich geheiratet habe, ihr wart dabei als mein Sohn geboren wurde, ihr seid der Grund warum ich eine Band gegründet habe, ihr seid der Grund warum ich mir damals nicht das Leben genommen habe…“
Da denke ich mir immer „das gibts doch gar“, wir machen doch an vorderster Front uns selbst glücklich, indem wir das tun dürfen. Wir werden dafür bezahlt, uns wie Kindergartenkinder zu benehmen und kriegen Applaus dafür. Ich bin selbst Fan von so vielen Bands. Ich sitze hier vor dem Jawbreaker-Plakat und denke daran, wie oft mir deren Dear You-Platte durch richtig beschissene Zeiten geholfen hat. Dass wir anscheinend selbst so sehr ins Leben von anderen reingreifen und ihnen helfen, ist einfach irre.
Und wenn man dann auf die nackten Fakten guckt und sieht, dass wir eventuell neben den Hosen, den Ärzten, den Broilers, den Beatstakes und Wizo die größte deutsche Punkband jemals sind, dann ist das irre. Aber wer bin ich, das zu bewerten. Ich kann mich einfach nur freuen, dass ich den Scheiß jetzt seit drei Dekaden machen darf.
„In der Zeit stand unsere Bandkasse wirklich auf null. Wir alle haben privat draufgezahlt, weil wir so unglaublich an diese Platte gelaunt haben – der Rest der Welt aber nicht. Wir mussten wieder ganz kleine Brötchen backen. Wo wir vorher einen Zuschauerschnitt von 800 Leuten hatten, mussten wir teilweise wieder vor 80 spielen.“
AFL: Das ist an sich ein schönes Schlusswort, allerdings muss ich dir noch eine Mini-Frage zu meiner All-time Lieblingsband Bad Religion stellen. Du hast schon oft gesagt, dass die No Control-Platte dein Leben verändert und vor allem die Zeile „What we need now is a change of ideas“ vom Opener Change of ideas dich zum Punk gebracht hat. Abgesehen von dieser Zeile: was ist die coolste Bad Religion-Line aller Zeiten und warum?
Genau darüber hab ich tatsächlich neulich mit Jay Bentley gesprochen, weil mich seine Antwort auf diese Frage interessiert hat. Welche Textzeile subsumiert Bad Religion? Wir haben dann beide zeitgleich „Do what you want“ gesagt. Das ist, in a nutshell, alles was Punk dir sagen muss. Mach was du willst, mach es zu deinen Spielregeln, scheiß auf den Rest, hauptsache mach. Wenn du das beherzigst, kann dir in diesem Leben nichts passieren.
AFL: Das war in der Tat auch ein brillanter Titel für die Biografie von Bad Religion.
Jetzt pass auf, es ist kein Witz! Eine Woche bevor die Bad Religion-Biografie angekündigt wurde, hatten wir unser Buch mit Ingo Neumayer fertig und haben bei einem Kaffe über den Titel dieses Buchs nachgedacht. Wir hatten dann fünf Tage den Titel „Do what you want“. Danach haben wir ein Wochenende drüber geschlafen und wollten Montag den Titel einreichen. Dann wache ich Montag morgens auf und was muss ich als erstes im Internet sehen? Bad Religion kündigen ihre Biografie mit dem Titel „Do what you want“ an haha. Da war der Titel natürlich verbrannt. Aber hey, es ist ja nunmal auch ihre Zeile haha.
AFL: Geile Story! Danke dir für deine Zeit! By the way wissen wir, wie viele andere Fanzines, Channels und Pages vermutlich auch, es sehr zu schätzen, dass du stets bei allen möglichen Formaten und Interviews mitmachst. Allein bei uns u.a. die Hardcore History oder die besten Platten aller Zeiten…
Da muss ich aber mal ganz kurz den Blumenstrauß zurück geben. Ich finde es super super wichtig, dass es solche Pages gibt, genauso wie E-Zines oder Print-Zines. Ohne scheiß, das sind Sachen, auf die wir Punkbands uns immer verlassen können. Ich finde, das ist ein ganz toller Schulterschluss. Man supportet sich gegenseitig und genau so sollte das auch sein. Am Ende des Tages machen wir alle das, was wir lieben. A Network of friends, Punkt!