Dirk Bernemann (2025) Photocredit by Jens Mayer

Ein Buch sollte man nicht nach seinem Einband beurteilen. So steht es zumindest geschrieben. Allerdings halte ich mich beim Buchkauf selten dran. Frei nach dem Motto: Das Cover gefällt, also geht es mit. Meine Freundin nennt mich nicht umsonst öfters Verpackungsopfer. So war es dann auch, als ich zum ersten Mal das Cover von „Ich hab die Unschuld kotzen sehen“ gesehen hatte. Allerdings glaubte ich, den Namen Dirk Bernemann irgendwie zu kennen. Irgendwas mit Fanzines, so glaubte ich zumindest. Schließlich stellte ich fest, dass das Buch dann doch noch besser war als sein Einband, und so wurde Dirk Bernemann einer meiner Lieblingsautoren. Dirk persönlich lernte ich dann irgendwo mal auf einer Lesung von ihm kennen. Nachdem ich sein letztes Buch Kalk gelesen habe, wurde es Zeit für ein paar Fragen.

AFL: Hi Dirk. Da wir bei AFL ja eher Musik orientiert sind, könnte es sein, dass viele dich nicht kennen. Fangen wir mal ganz blöd an. Kannst du dich mal kurz selbst vorstellen?

Dirk: Ja, hallo, mein Name ist Dirk Bernemann, bin geboren im westlichen Münsterland, lebe aber derzeit in Berlin. Ich bin Autor und schreibe größtenteils Romane und Kurzgeschichten, sowie aber auch Theaterstücke und Lyrik. Eigentlich habe ich auch als Musiker und Texter angefangen, dann aber gemerkt, dass ich ein schlechter Musiker bin.

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AFL: Warum ich darauf kam, mit dir ein Interview zu machen, ist ja auch ein wenig der Grund, dass du ja an sich auch aus der Punkszene kommst. Du hast ja auch Texte für Fanzines verfasst?

Dirk: Das ist richtig. Sozialisiert vom Münsterländer Straßenpunk, der immer etwas Bäuerliches, selten etwas Kluges hatte. Ich habe anfangs für selbstproduzierte Fanzines, Konzertreviews und Plattenkritiken geschrieben. Da habe ich bemerkt, dass mich Schreiben an sich sehr reizt.

AFL: Unter anderem hast du ja auch ein Buch zusammen mit Jörkk Mechenbier (Love A) geschrieben. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Dirk: Ebenfalls korrekt. Bei dem Buch war auch Jan Off dabei, und es heißt Klara und ist 2018 im Ventil Verlag erschienen. Ich weiß noch, dass Anfang 2017 die Idee im Raum stand, zusammenzuarbeiten (mit Jan habe ich schon einige Lesungen bestritten und auch ein kleines gemeinsames Buch im Unsichtbar-Verlag gemacht). Dann haben wir sehr kurz darüber nachgedacht und dann sehr lange dieses Buch geschrieben, auf das ich immer noch sehr stolz bin.

AFL: Es gibt für mich ja einige andere Autoren, die ich so in der gleichen Linie sehe wie dich, wenn es so um Szenezugehörigkeit geht. Falk Fatal, Alex Gräbeldinger, Jan Off, um ein paar zu nennen. Oft höre ich da immer Vergleiche mit Bukowski, obwohl ich die gar nicht so sehe. Was denkst du darüber?

Dirk: Ich glaube, jeder in dieser Szene hat in seiner Jugend diesen seltsamen Bukowski-Spirit, von dem man sich aber irgendwann mal verabschieden sollte, wenn man die Literatur-Sache ernsthaft betreiben möchte. Es ist okay, dass diese Art von Literatur viele anzieht. Das Dreckige und Dunkle bei Bukowski fand ich aber irgendwann nicht mehr so interessant.

AFL: Um mal kurz bei Gräbeldinger zu bleiben, der sagte mir mal, er mag das Kindle nicht, da es da Verträge gibt, die es kleinen Autoren unmöglich machen, etwas zu publizieren. Deine Werke gibt es digital. Wie stehst du dazu und der Entwicklung? Und sind dir Bücher lieber?

Dirk: Ich sehe das sehr pragmatisch. Ich glaube nicht, dass es sehr viele Nachteile hat, wenn man auch digital erscheint. Man erweitert nur seine Möglichkeiten, die Texte bleiben ja identisch. Klar, man fühlt sich immer erschlagen von diesen mächtigen Companys, aber man kann auch seine kleinen Vorteile daraus schlagen. Immer nur alles verteufeln, was nach Kapitalismus riecht, halte ich für eine schlechte Angewohnheit. Auch ich (oder wir als Autoren und Autorinnen) müssen irgendwie klarkommen. Der Markt wird ohnehin immer enger, aber ich glaube, wenn ich zum Beispiel vom Schreiben bis zum Vertrieb alles DIY machen würde, würde von mir kein einziges Buch mehr erscheinen wegen Burnout auf Seite 2 im Buchsatz.

AFL: In Kalk deinem neuesten Werk sagt der Protagonist, nachdem er ein gefundenes Buch weggeworfen hat, den Satz: „Leute wie ich sind schuld, dass es keine Bücher mehr gibt.“ Wie ist denn die Entwicklung. Ist das rückgängig im Allgemeinen. Wird das Buch mal was für Nerds. So wie Musik auf Vinyl?

Dirk: Ja, das ist in der Tat seit Jahren rückläufig. Die Kulturtechnik der Literatur hat gegen andere Freizeitaktivitäten wie YouTube oder TikTok wenig Chancen. Ich mache trotzdem weiter. Ich glaube, es gibt diverse Aspekte, die diese Entwicklung befeuert haben, Social Media ist einer davon und die Tatsache, dass die Leute immer energieloser werden (wobei sie sich durch Social Media die Gehirne verstümmeln, Stichwort Brainrot). Das ist alles ein Dilemma, gegen das es derzeit noch keine Lösungen gibt.

Dirk Bernemann (2025) Photocredit Jens Meyer

AFL: Soweit ich weiß, lebst du ja von der Autorenarbeit? Wie kann ich mir einen Tag als Autor vorstellen? Müsste ich davon leben, ich glaube, mich würden Schreibblockaden und Prokrastination ins Verderben treiben.

Dirk: So einen typischen Tag gibt es nicht. Jeder ist sehr verschieden. Aber es findet viel am Schreibtisch statt. Wenn ich erschöpft bin, mache ich was anderes, aber da Schreiben mir immer noch maximal Spaß bringt, bin ich selten erschöpft. Positivity sells.

AFL: Wo mir da dein Buch Asoziales Wohnen einfällt. Da gibt es die Person, den Autor. Ein Satz war in etwa auch, dass er Spaß beim Schreiben des ersten Buches hatte, und ab dem 2. oder 3. der Verlag Druck machte und es was anders war. Du scheinst aber selbst immer noch Lust am Schreiben zu haben?

Dirk: Ja, wie ich Grad schon sagte, ich hab mir meine kleine Nische erarbeitet, in der ich mich sehr wohlfühle, auch wenn das bedeutet, man ist ewig prekär, kann aber die Kunst machen, die einem wichtig ist.

AFL: Bleiben wir kurz beim Autor. Wie viel Persönliches steckt in deinen Figuren? Oder sind die rein alle erfunden?

Dirk: Diese Frage wird mir oft gestellt. Das variiert total. Mal sind es nur 2 Prozent, mal 98 Prozent, mal minus 666 Prozent, darauf kann man keine Antwort wie ja oder nein geben. Es gibt nicht immer Berührungspunkte zu meinem Leben, gelegentlich ist alles erfunden, oft vermischt sich das.

AFL: Asoziales Wohnen gab es als Theateraufführung. Ich dachte anfangs, wie soll das funktionieren? Aber es hat wunderbar funktioniert. Es war echt super. Allerdings gab es nur ein paar Aufführungen. Warum wurde da nicht was Längeres draus gemacht?

Dirk: Ah, Du hast es gesehen, voll gut. Die Theatergruppe aus Saarbrücken, die das auf die Bretter gestellt hat, hatte das nur für 6 oder 7 Aufführungen finanziert bekommen. So große Projekte sind einfach teuer. Aber ich bin froh, dass es das gegeben hat.

AFL: Nachdem ich Kalk gelesen hatte, dachte ich mir, dass das Buch doch eigentlich guter Stoff für einen Film wäre. Könntest du dir vorstellen, dass Bücher von dir verfilmt werden?

Dirk: Absolut, auch hier wieder eine Geldfrage. Also gerne anfragen, falls Ihr da draußen geile FilmemacherInnen seid.

AFL: Kalk ist ja eigentlich der alte weiße Mann. Am Anfang des Buches mochte ich ihn, bemitleidete ihn sogar. Irgendwann kotze er mich nur noch an. Ist das unser Schicksal als Mann, so zu werden?

Dirk: Gute Frage. Ich glaube, man hat es selbst in der Hand, was aus einem wird. Für mich immer ein Warnsignal, mich vor Verbitterung zu schützen.

AFL: Du hast mit Fabio ein Projekt gemacht, das „Pop muss kalt sein“ heißt. Wie kam es zu dem Projekt, und kannst du unseren Leser*innen ein wenig schildern, worum es sich da handelt?

Dirk: Ja, wir hatten mal einen gemeinsamen Podcast, den wir aber aus verschiedenen Gründen aufgegeben haben. Und da wir ein bisschen ins Podcastmillieu Einblick hatten, haben wir ein Hörspiel produziert, in dem es viel um die Entwicklung der Popkultur über die Jahre ging. Die Produktion hat fast 1,5 Jahre gedauert, aber während der Pandemie war ja auch sonst nicht viel los.
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AFL: Was steht als Nächstes bei dir an? Erst mal pause nach dem letzten Roman, oder schreibst du direkt weiter an neuen Sachen?

Dirk: Dieses Jahr ist mein Erstlingswerk „Ich hab die Unschuld kotzen sehen“ 20 Jahre alt geworden. Das will ich irgendwie feiern, weiß nur noch nicht wie. Aber ich arbeite auch an einem neuen Roman.

AFL: Dirk, vielen Dank für deine Zeit. Um nochmal den Bogen zurück zur Musik zu spannen, nenn mir bitte 5 Punkscheiben, die regelmäßig auf deinem Plattenteller rotieren, oder die man unbedingt gehört haben muss.

Dirk:

1. Pascow – Alles muss kaputt sein
2. Sick Of It All – Scratch The Surface
3. Love A – Irgendwie
4. Slime – Schweineherbst
5. Kommando Sonnen-milch – Jamaika

Bisher erschienene Werke von Dirk Bernemann:

(Quelle WIKIPEDIA)

  • Ich hab die Unschuld kotzen sehenUbooks, 2005
  • Ich hab die Unschuld kotzen sehen – Und wir scheitern immer schöner. Ubooks, 2007
  • Satt:Sauber:Sicher. Ubooks, 2008
  • Ich bin schizophren und es geht mir allen gut. Ubooks, 2009
  • Vogelstimmen. Ubooks, 2010
  • Trisomie so ich dirUnsichtbar Verlag, 2011
  • Asoziales Wohnen. Unsichtbar Verlag, 2012
  • Kotzen am Gefühlsbuffet. Unsichtbar Verlag, 2012
  • Therapiebedarf. Unsichtbar Verlag, 2012
  • Das Böse. Unsichtbar Verlag, 2012
  • Die Zukunft ist schön. Unsichtbar-Verlag, 2014
  • Wie schön alles begann und wie traurig alles endet. Unsichtbar-Verlag, 2015
  • Vom Aushalten ausfallender Umarmungen. Unsichtbar-Verlag, 2016
  • Du schaffst das. Unsichtbar-Verlag, 2016
  • Ich hab die Unschuld kotzen sehen, Teil 4 – Vom leisen Verschleißen der Gegenwart. Unsichtbar Verlag, 2017
  • Klara. zusammen mit Jörkk Mechenbier u. Jan OffVentil Verlag, 2018
  • Gesten und Geräusche. Unsichtbar Verlag, 2018
  • SchützenfestHeyne Verlag, 2021
  • Zwischen den Katastrophen, April 2023
  • An und für sich, Februar 2024, Edition Outbird
  • „Kalk“, Oktober 2024, Edition W

Hörbücher

  • Ich hab die Unschuld kotzen sehen. Ubooks, 2007
  • Ich hab die Unschuld kotzen sehen – Und wir scheitern immer schöner. Ubooks, 2007
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– Playlist: Happy Release Day

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