Photo by Sebastian Igel

Das neue Lygo-Album Lygophobie ist mein erklärtes Album des Jahres (Review hier, Jahresrückblick hier). Von daher hab ich mich sehr gefreut, ein kleines Interview mit der Band führen zu können, das ihr im Folgenden lesen könnt. Viel Spaß!

AFL: Neues Album, neues Glück. Der Weg zu Lygophobie war jedoch kein leichter. Ursprünglich war eine kreative Schaffenspause angedacht. Was ist passiert?

Wir hatten 2019 das Gefühl, dass es Zeit für eine Pause ist und wir alle ein bisschen Abstand zur Band gebrauchen können. Im September 2019 haben wir dann noch ein paar Jubiläumskonzerte gespielt und dazu den Song „Kloß im Hals“ rausgebracht. Und dann hatten wir seit Jahren das erste Mal nichts geplant – keine nächste Tour, keine neue Platte und auch sonst nichts. Nach wenigen Monaten hatten wir dann doch wieder Lust, neue Musik zu schreiben, und haben einen Haufen Ideen gesammelt. Da war es noch gar nicht so richtig der Plan, dass daraus ein Album werden soll. Im Frühjahr 2020 kam dann der erste Lockdown, wir hatten viel Zeit, um aus den losen Ideen fertige Songs zu machen und im Laufe des Sommers war klar, dass das auf ein neues LYGO-Album hinausläuft.

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AFL: Wie gestalteten sich die Aufnahmen?

Wir haben zum ersten Mal alles selbst produziert, aufgenommen und gemischt. Daniel, unser Schlagzeuger, hatte sich vorher viel mit Musikproduktion beschäftigt und in unserem Proberaum die Möglichkeit geschaffen, Musik aufzunehmen. Unsere Demo-Aufnahmen waren irgendwann schon so nah an dem, wie das Album nach unseren Vorstellungen klingen sollte, dass wir dachten, wir können das dieses Mal selbst durchziehen. Wir haben dann alles in unserem kleinen 16qm-Raum in Köln aufgenommen, waren also nicht in einem richtigen Studio. Wir konnten uns dadurch so viel Zeit nehmen, wie wir wollten und alles sehr genau nach unseren eigenen Vorstellungen umsetzen. Allerdings ist der Ansatz, alles selber zu machen, auch ziemlich anstrengend, weil es niemanden von außen gibt, der einem eine Rückmeldung gibt, ob das was taugt, was man da macht und auch, wann etwas gut genug ist, um einen Haken dran zu machen. Das ein oder andere Mal haben wir uns deshalb noch eine Rückmeldung von unserem guten Freund und bisherigen Produzenten Nico Vetter geholt, um sicher zu gehen, dass wir nicht völlig auf dem falschen Weg sind.

AFL: Der Bandname „LYGO“ und der Albumtitel „Lygophobie“ bauen aufeinander auf. Wie seid ihr auf den Plattentitel gekommen und woher kam euer Bandname?

Der Bandname hatte mit dem Wort Lygophobie ursprünglich nichts zu tun. Da steckt eine andere Geschichte dahinter. Aber wir haben immer wieder geschaut, was LYGO eigentlich für ein Wort ist, und gemerkt, dass es in unterschiedlichen Zusammenhängen auftaucht. Lygophobie ist die übermäßige Angst vor der Dunkelheit. Auf der Suche nach einem Titel für das neue Album haben wir uns an das Wort erinnert und gemerkt, dass sich das Motiv der Angst vor der Dunkelheit ganz direkt oder eben auch als Metapher in vielen Songtexten wiederfindet.

Lygo - Lygophobie (2021)
Lygo – Lygophobie (2021)

Musikalisch hat mich das Album stark überrascht. Waren die beiden Vorgängeralben durchaus gute Alben, aber stiltechnisch doch recht limitiert, ist das neue Album durchaus abwechslungsreich geraten. Am Auffälligsten ist sicher das Klavierintro bei 13 Stunden Schlaf. Habt ihr neue Einflüsse oder woher kam die Experimentierlust?

Wir hören schon sehr unterschiedliche Musik. Vieles davon ist weiter von der Musik weg, die wir selbst machen, als man es vielleicht denken würde. Das war aber auch sonst schon der Fall, ist also nicht neu. Beim Schreiben der Lygophobie-Songs haben wir uns viel gefragt, was uns eigentlich selbst gefällt und nicht so sehr, was man wohl von uns erwartet. Und beim Aufnehmen und im Mix hatten wir einfach auch mehr Zeit, um zu experimentieren, da ja alles in unserem Proberaum passiert ist. 13 Stunden Schlaf hatte ich ursprünglich mal als Songskizze nur mit Klavier und Gesang aufgenommen. Wir fanden es schön, die Klaviermelodie – beziehungsweise in der Albumversion dann als Rhodes-Sound eingespielt – als eine Art Schlafmelodie vor den Song, der ja auch der letzte Song des Albums ist, zu setzen.

AFL: Der erste Song Schockstarre leitet das Album auch gewissermaßen mit seinem langsamen Intro ein. Worum gehts im Song?

Allgemein gesprochen ist Schockstarre ein Song gegen den Stillstand und für das Weitermachen. Das Thema taucht bei uns in verschiedener Hinsicht immer wieder auf, zum Beispiel auch in Songs wie Störche, Suchthilfe oder Festgefahren. Schockstarre hat für uns besonders in die Zeit gepasst, in der der Song entstanden ist. Wir konnten damit nicht nur auf einer persönlichen Ebene gegen Bequemlichkeit und Stehenbleiben ansingen, sondern das Motiv des Stillstands und die Frage, wie man sich da rausbewegt, war auf einmal auch gesellschaftlich noch viel präsenter als sonst. Zusätzlich war der Song einer der ersten neuen Songs, die mehr oder weniger fertig waren, und war damit Teil der Antwort auf die Frage, ob wir überhaupt wieder neue Musik schreiben wollen. Deswegen haben wir ihn dann auch nicht nur zum ersten Song des Albums, sondern auch zur ersten Single und damit auch zum öffentlichen Ende unserer kurzen Pause gemacht.

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AFL: Den ganzen Hype um Fight Club hab ich nie ganz verstanden, aber euer Song ist cool. Vielleicht könnt ihr ja meine Meinung ändern?

Jan und ich haben Fight Club früher öfters angeschaut, wenn wir nach langen Abenden nach Hause kamen, sind aber meistens ziemlich schnell eingeschlafen. Daraus ist die Idee gekommen, mal auf den Film anzuspielen, wenn es irgendwo reinpasst. Jan wollte dann einen Song über nervige Momente in Freundschaften, in denen man schonmal ehrlicher zueinander ist, als man das vom anderen gerade gebrauchen kann, machen. Und da war für uns schnell klar, dass das mit den Filmanspielungen gut zusammenpasst.

AFL: Einen sehr eindringlichen Song fand ich Feuerzeug, der ja textlich auf den, (kann man sagen Mord?), an Oury Jalloh referiert. Was lässt euch Angst vor Polizeigewalt haben?

Es sieht ja alles danach aus, dass man da von einem Mord sprechen kann. Und die Referenz hast du schon richtig erkannt, der Gegenstand des Feuerzeugs spielt im Fall Oury Jalloh ja eine entscheidende Rolle. Fälle von insbesondere rassistischer Polizeigewalt und weitere Anlässe, auf die Polizei wütend zu sein, gab es ja auch in letzter Zeit reichlich. Die Idee für den Songtext kam von Jan, wie meistens, wenn es bei uns um klarere politische Themen  geht. Die Angst, die gegen Ende des Songs benannt wird, kommt teils aus eigenen Erfahrungen, aber auch aus der Sorge um und Solidarität mit Menschen, die stärker von Polizeigewalt betroffen und gefährdet sind als wir.

AFL: Bei Kommentarspalte dachte ich zunächst an die übliche Medienschelte, aber der Song ist ja eng mit dem Albumtitel verbunden und handelt von schlaflosen Nächten. Die Textzeilen wurden aus einem Forum übernommen, wenn ich das richtig verstanden habe?

Die Verse des Songtextes sind aus Fragmenten von Kommentaren unter einem bestimmten YouTube-Video zusammengesetzt. Da haben Leute anonymer Weise einen Haufen ermutigende Kommentare hinterlassen. Ich habe einige davon aus dem Englischen übersetzt und so lange rumgeschoben, bis es auf die Instrumentalversion des Songs, die bereits fertig war, gepasst hat. Uns gefiel das gut, so einen sonderbar überzogen positiven Song mit dem Titel Kommentarspalte zu machen. Der Ruf der Kommentarspalte ist ja kein besonders guter und hat sich in den letzten zwei Jahren sicher nochmal verschlechtert.

AFL: „Unsere Lieblingsband spielt einen Trennungssong“… Wer ist denn eure Lieblingsband?

Sowas wie eine klare gemeinsame Lieblingsband, die wir alle teilen, haben wir nicht. Im Song ist aber schon eine bestimmte Band gemeint. Der Song, in dem die Zeile gesungen wird ist ja selbst ein Trennungssong und auch in der Musik gab es einen Verweis um die Ecke auf die sogenannte Lieblingsband. Sowas ist die Art von Spielerei, die man vor allem für sich selbst macht, weil es beim Hören eh keiner merkt.

AFL: Gab es Verluste und Trennungen während Corona, die euer Songwriting beeinflusst haben?

Ja, gab es schon, wobei die nicht direkt mit der Pandemie zusammenhingen.

AFL: Das Thema Schlaflosigkeit kehrt mit 13 Stunden Schlaf noch einmal zurück, hat hier aber eine andere Dimension.

Der Song wendet sich gegen Bestrebungen, dass unsere Zeit immer noch effizienter genutzt werden soll, als es ohnehin schon der Fall ist. Selbst vor dem Schlaf wird im Streben nach Produktivität nicht Halt gemacht, etwa wenn Leute versuchen, ihren Schlaf auf wenige Stunden über den Tag hinweg zu verteilen. 13 Stunden Schlaf stellt sich dem entgegen. Schlaf ist wichtig und unproduktiv sein ist auch mal okay.

AFL: Insgesamt sind eure Texte sehr vielschichtig und nicht immer einfach zu verstehen. Ein gängiges Muster im Post-Punk. Welcher Text liegt euch noch am Herzen?

Ich mag aktuell vor allem Warmes Bier & Kalter Kaffee. Der Text lebt vom Gegensatz zwischen der gedrückten Stimmung in den Versen und der Euphorie in den Refrains. Und bringt auch ein Stück dieser Offenheit mit, die du ansprichst.

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AFL: Das Video zu Altersheim ist sehr interessant geraten. Erzählt doch einmal was darüber?

Für das Musikvideo haben wir mit dem Künstler Torsten Lang zusammengearbeitet. Torsten hatte die Idee, dass wir den ‚Schacht der Menschheit‘, der am Anfang von Altersheim besungen wird, wörtlich nehmen könnten und ein animiertes Männchen in diesem Schacht lebt. Das Männchen ist umgeben von schlechten Nachrichten, die auf alten Fernsehern immer mehr werden, reagiert aber zunehmend euphorisch, was ein sehr schräges Bild abgibt. Wir haben da zusammen rumgesponnen, was in den Nachrichten und in diesem Schacht alles passieren könnte. Wir selber sind auch im Video zu sehen. Die Art, wie Torsten da sowohl mit tatsächlich gebastelten Figuren als auch mit Computeranimation und Videomaterial gearbeitet hat, ist wirklich interessant.

AFL: Wie sind die bisherigen Reaktionen auf die Platte?

Das, was wir so mitbekommen haben, war gut. Die Platte wurde auch ein paar mal mehr bestellt als die davor. Das freut uns natürlich sehr, weil wir nicht genau einschätzen konnten, wieviel Interesse uns nach zwei Jahren ohne wirkliches Lebenszeichen entgegen gebracht wird.

AFL: Ich mag gerne solche Assoziationsspiele, deshalb hier nun ein paar Schlagworte und bitte eure ersten Gedanken dazu:

Pascow – Puh, ganz viel. Aber vor allem Kidnap Alex und viele Erinnerungen an gute Konzertabende.
Love A – Wir haben die Tage noch mit Love A Kontakt und haben uns eine kleine Ernährungsberatung für unseren Proberaum eingeholt. Die Rückmeldung war, dass wir das Obst weglassen und uns auf salzige Snacks, Süßkram und zuckerhaltige Getränke konzentrieren sollten. Wir arbeiten dran.

AFL: Kurze Zwischenfrage: Ich hab euch das erste Mal gesehen im Vorprogramm von Kettcar und obwohl ich stinksauer war, dass Love A abgesagt haben, war ich nach dem Auftritt sehr überzeugt von euch. Wie kams dazu?

Die Absage von Love A war krankheitsbedingt. Wir wurden sehr kurzfristig angefragt, ob wir für zwei Konzerte als Kettcar Support einspringen wollen. Wir finden Kettcar super, haben uns also sehr gefreut und zugesagt.

  • Corona – Virus, Bier, Fahrrad
  • Querdenker –Uff
  • AWAY FROM LIFE – Schriftliches Interview
  • Mr. LinusCoole Band aus der Schweiz, Anna und Rebecca singen auch auf deutsch, die Revue EP war super und wir sind gespannt, was noch kommt!

AFL: Frage ich natürlich deshalb, weil die bei der intimen Clubtour euer Support waren. Das war die letzte Tour vor der vermeintlichen Pause, oder?

Genau, mit dem wie ich finde bisher besten Tourtitel „Irgendwann ist auch mal gut mit der Scheiße, aber heute noch nicht“-Tour.

AFL: Was sind eure nächsten Pläne?

Im Frühjahr 2022 spielen wir eine Tour, sofern sie denn stattfinden kann. Gibt auch schon Termine und Tickets zu kaufen und alles. Danach schauen wir weiter.

AFL: Gut, das wars auch schon… Danke für die Beantwortung der Fragen. Die letzten Worte in dem Interview gehören euch!

 Ähhh, danke auch und viele Grüße ins Internet.

Photo by Sebastian Igel

Hier noch die Tourdaten:

Tourdaten – Foto: Facebook

 

 

 

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– Playlist: Happy Release Day

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