Nachdem wir bereits selbst das neue Kind Kaputt-Album näher unter die Lupe genommen haben, hat auch Manfred “Matze” Yildirim, Gitarrist von Kochkraft Durch KMA, Morgen ist auch noch kein Tag angehört und ein Gast-Review zur Platte geschrieben.
Übrigens: Mit Kochkraft Durch KMA hatte Matze vor einigen Tagen selbst ein neues Studioalbum namens Alle Kinder sind tot veröffentlicht.
Kochkraft kurch KMA kritisiert Kind Kaputt: Kölner Königsforst kreiert Kulisse“ – Wenn man für eine allenfalls akzeptable Alliterationskette ans andere Ende der Stadt in den Wald fährt um ein zu rezensierendes Album anzuhören, dann ist man wahrscheinlich ein bisschen doof im Kopf. Oder aber inspiriert und neugierig: Ist es nicht so, dass Musik immer in einem Zusammenhang, vor einem Hintergrund, an einem Ort funktioniert?
Herbstlaub ist beileibe nicht besonders Punk, das sei hier gleich eingeräumt , aber es ist Teil der Welt, genau wie diese Platte. Und schon der erste Titel „Anfang und Ende“ macht vor der Kulisse etwas mit einem: Zwischen Gesehenem, Gerochenem und Gehörtem spannt sich gleich ein Raum auf. Die Botschaft hat man scheinbar oft gehört in diesen Tagen, zumal in Songgestalt: Alles geht den Bach runter, alle sind gierig und mies, es zählen die falschen Dinge, was soll das Leben eigentlich? Was vielleicht anmutet wie solider Post-Hardcore-Message-Standard, erweist sich als geradezu ergreifend, mit großen, großen Harmonien und einer weisen Klage, die man gerne öfter hören würde in diesen Tagen: „Ich hab doch schon so viel!“. Doch, das passt sehr gut zu Sinnfragen in gewaltiger, Vergänglichkeit aufzeigender Naturkulisse.
Überhaupt: Produktion und Arrangements holen einen direkt ab. Klassische Mittel, bemerkenswert und gleichzeitig unprätentiös inszeniert. Einfach eine wahnsinnig gut arrangierte und gut spielende Band ohne Schnickschnack. Zu der Erkenntnis kommt man aber erst durch ein bisschen Analyse, auf den ersten Hör ist man eingesogen in die Welten, die da entstehen.
In das just geöffnete Herz fallen sie mit dem zweiten Song schamlos ein: Das FooFighters-eske „Glücklich sein“ zieht allerlei Stadionrock-Register und lässt einen mit (warum auch immer) geballter Faust und einem Tränchen zurück.
Wir wollen hier nicht alle Songs abarbeiten, aber ein Pärchen sei noch erwähnt: Tracks 9 und 10, „Nadel“ und „CH2O“. Das packende, äußerst kantabile aber tieftraurige „Nadel“ zeichnet ein beeindruckend greifbares, schauriges Bild von seelischer Schwärze, worauf CH2O, die Ballade des Albums (auch hier: sehr klassisch) Schönheit und Vergänglichkeit preist und beklagt. Eine veritable Achterbahn der Melancholie, diese beiden Stücke. Nicht lebensmüde, sondern trotzig lebensfroh schlägt man darauf an einer Kreuzung jenen Weg ein, an dessen Anfang gewarnt wird: Gefahr, umstürzende Bäume! Ein paar hundert Meter weiter liegt sogar schon einer, relativ frisch quer über den Weg gestürzt. Man spürt nämlich was im Herzen.
„Morgen ist auch noch kein Tag“ ist kein Album, das man mehrmals hören muss. Man kann es ausgezeichnet mehrmals hören, denn es berührt und macht großen Spaß, aber alles sitzt auf allen Ebenen dermaßen an der richtigen Stelle, dass beim ersten Hören nicht nur Zugang, sondern regelrechter Sog entsteht. Dabei ist kaum etwas daran simpel, einfältig oder im floskeligen Sinne „zugänglich“. Pop und Kunst eben: Es dockt an bekannte Hörgewohnheiten an, führt dann aber in die Tiefe. Einfach ein tolles, bewegendes Album, das übrigens einen der besten Denkanstöße der jüngeren Geschichte hinterlässt: „Was kam zuerst – das Huhn oder die Ignoranz?“