Johannes Prautzsch, seines Zeichen Sänger von Kind Kaputt, hat sich das neue Album von Kochkraft durch KMA näher angehört und ein Gast-Review zur Platte geschrieben.
Übrigens: Mit Kind Kaputt legt Johannes am 21. Oktober 2022 selbst ein neues Studioalbum namens Morgen ist auch noch kein Tag vor!
Kochkraft durch KMA hauen uns mit Alle Kinder sind tot eines der spannendsten Alben des Jahres 2022 um die Ohren. Und meine klingeln immer noch.
Vier Jahre sind seit dem Debüt-Album Endlich Läuse der Band vergangen und hätten sie ihr neustes Werk damals schon veröffentlicht, dann hätte man es wahrscheinlich als vollkommen übertrieben und realitätsfern abstempeln können. Aber die Welt hat sich verändert: Der Ton auf den Schnellstraßen des Internets ist noch rauer geworden als ohnehin schon, die neusten Verschwörungstheorien sind an Absurdität kaum noch zu überbieten und trotzdem fallen immer mehr Menschen auf sie herein. Parallel zum (wichtigen!) Diskurs über Feminismus und Gendersprache, faseln selbsternannte Alpha-Männer in ihren Podcasts darüber, wie Frauen zu sein haben (WTF?) und auf dem SUV klebt ein „Fuck you Greta“ Aufkleber. Das alles ist leider bittere Realität und der Grund dafür, warum „Alle Kinder sind tot“ so mitten ins Schwarze trifft.
Elektro-Punk würde man das Genre wohl am ehesten bezeichnen und die Betonung liegt dabei eindeutig auf PUNK. Obwohl sich das Soundspektrum der Platte zu großen Teilen in synthetischen Klangwelten bewegt, hört man über die gesamte Länge eine unglaubliche Spielfreude und Live-Energie heraus. Das klingt nie kalt und steril, sondern immer verschwitzt und nach Pogo. Sängerin Lana Van da Vla und Schlagzeuger Beray Habip sorgen außerdem mit ihrer Stimm-Akrobatik und abgedrehten Gesangs-Effekten für einen sehr ausdrucksstarken Vortrag der Songtexte. Es wirkt, als schlüpfen sie mit jedem neuen Song in eine andere Rolle: Da gibt es den abgebrühten Macho in seiner „Mancave“ oder auch völlig überdrehte Influencer:innen, die zwischen Konsum und Selbstoptimierung implodieren.
Inhaltlich versteht es die Band, ihre Texte mit messerscharfer Feder auf den Punkt zu bringen. Den erhobenen Zeigefinger sucht man da vergeblich, was man bekommt, ist der ausgestreckte Mittelfinger.
Generell ist das Zusammenspiel aus Musik und Inhalt wohl eines der Highlights auf diesem Album. Wenn in „Was geht los da rein?“ plötzlich Schlagzeuger Beray Habip „Meinungsmache, Lügenpresse…“ in starkem Akzent singt und das Arrangement in ein orientalisches Setting kippt, dann wirkt das so herrlich grotesk und vielschichtig, dass man gar nicht weiß, ob man lachen oder staunen soll. Mir blieb bei so viel Mut und Witz jedenfalls der Mund offen stehen.
Alle Kinder sind tot lotet Grenzen aus. Nicht nur inhaltlich, sondern auch die Grenzen des Geschmacks. Das ist gerade in Zeiten von 2min Spotify Hits unglaublich erfrischend und „Lüft[et] das Oberstübchen durch“ (Moonwalk durch die Nachbarschaft).