Es gibt so einige Bands, die mich schon seit meiner Jugend begleiten. Kreftich ist eine davon. Umso mehr hat es mich gefreut, dass das Trio dieses Jahr ihre Silberhochzeit gefeiert hat und ich dabei sein durfte. Neben einem ausgiebigen Set mit fantastischem Sound in der Kutscherstube, haben sich die Jungs außerdem die Zeit genommen, ausgiebig über ihre Historie zu quatschen.

Solange du Bock hast, in den Proberaum zu gehen, Songs zu schreiben, live zu spielen und du dir auch morgens an der Theke noch was zu erzählen hast, ist so ne Band eine verdammt geile Sache.

AFL: Wie war eure Silberhochzeit in der Kutscherstube?

Hagi Copyright @ CCH Photoart

Hagi: Die Kutscherstube ist seit Jahren unsere Homebase, unser Wohnzimmer – ich denke, du weißt, was ich meine. Hier fühlst du dich einfach wohl, egal, ob du zum Inventar gehörst oder zum ersten Mal reinkommst. Zudem haben wir das letzte Konzert vor Corona in dem Laden gespielt. Was liegt da näher als auch das Erste nach der Wiedereröffnung zu spielen? Es ist immer brechend voll und ein großes Familientreffen. Und ganz nebenbei: Es gibt in Dinslaken leider kaum mehr Alternativen, wo man unkompliziert und stressfrei Punk-Konzerte aufziehen kann. Gibt sicher noch mehr Gründe, aber das sollte reichen…

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Lasse: Um ganz ehrlich zu sein, ist es das einzige Konzert, bei dem ich überhaupt nicht sagen kann, wie es war. So viele für uns wichtige Menschen, 25 Bandgeschichte vor dem inneren Auge und fast 3 Stunden Konzert. Ich verarbeite das immer noch. Es muss also ganz gut gewesen sein.

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AFL: Wer sind Kreftich und warum gibt es euch seit 25 Jahren?

Flo: Wie spielen von Anfang an, seitdem wir damals im Keller der Eltern angefangen haben in derselben Besetzung: Lasse am Bass, Hagi an der Gitarre und ich an den Drums. Dazu trällern wir alle drei ganz gerne. Uns gibt es immer noch, weil es für uns schlicht und einfach keinen Sinn macht, aufzuhören. Solange du Bock hast, in den Proberaum zu gehen, Songs zu schreiben, live zu spielen und du dir auch morgens an der Theke noch was zu erzählen hast, ist so ne Band eine verdammt geile Sache.

Hagi: Wir haben ja nicht nur die Bindung durch die Band, sondern sind mindestens alle gut befreundet miteinander und teilweise sogar verwandt. Wir würden uns wahrscheinlich zwangsläufig nach einer Trennung wieder zusammenraufen – da ist halt irgendwas, ich muss mal demnächst meine Wahrsagerin des Vertrauens fragen, was es mit unserem Spirit auf sich hat.

Lasse Copyright @ CCH Photoart

Lasse: Wir leben ja eine klassische Erzählung des Rock n Roll: Ein paar Kumpels oder Kumpelinen gründen eine Band, gehen durch Dick und Dünn und werden dann berühmt. Am letzten Punkt arbeiten wir noch. Etwas Ernsthafter muss man einfach sagen, dass es ein Geschenk ist, mit seinen besten Freunden Musik zu machen und sich halt auch auf der musikalischen Ebene so gut zu verstehen. Auch, wenn ich esoterisch vollkommen unbegabt bin, finde ich schon, dass es etwas Magisches hat, wenn da alles so selbstverständlich in einander greift und das Ganze halt mehr ist als die Summe seiner Teile. Und danach wird man dann irgendwann süchtig und kann nie wieder aufhören.

AFL: Gab es jemals Ziele als Band oder stand immer der Spaß an der Musik im Fokus?

Hagi: Klar gab und gibt es Ziele, das dürfte aber für alle Bands gelten. Da ist das erste Album, der Sampler, auf den du Anfang der 2000er unbedingt drauf willst, das erste größere Punk-Festival. Eins ist allen gemein: Wir waren selten unrealistisch und haben immer nur das gemacht haben, wo wir auch zu 100 Prozent hinter stehen. Ja und Spaß an der Musik muss so oder so immer im Fokus stehen. Man merkt finde ich schnell, ob da jemand auf der Bühne mit Herz bei der Sache ist.

AFL: Wie habt ihr euch in 25 Jahren als Band entwickelt?

Lasse: An dieser Stelle würde ich einfach gerne auf unser musikalisches Werk verweisen und jede bzw. jeden bitten, sich selbst ein Bild zu machen. 25 Jahre sind ja doch eine lange Zeit und Musik ist die Destillation von Zeit.

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AFL: In 25 Jahren habt ihr vier Alben veröffentlicht. Gibt es da eins, auf das ihr ganz besonders stolz seid?

Flo Copyright @ benes_bilderbuch_photography

Flo: Es gab auch noch ne 4-Song-EP, also waren es streng genommen 4,5 Alben. Stolz ist vielleicht das falsche Wort. Ich würde es lieber durch wegweisend ersetzen. Klar waren die ersten Veröffentlichungen aufregend und jede für sich wurde ausgiebig gefeiert. Erstmals auf die Landkarte gespült hat uns aber das Album Stillos! in 2007. Damit einher gingen die erste größere Produktion mit längerem Studioaufenthalt, die Zusammenarbeit mit einem Label und das Thema Marketing. Zu der Zeit haben wir echt viel gelernt. Unser letztes Album Niemals stumm hat nochmal nen guten Schub nach vorn gebracht. Leider konnten wir das live in den letzten 2 bis 3 Jahren viel zu wenig genießen. Und jetzt fehlt uns etwas die Zeit, weil wir an der nächsten Scheibe arbeiten. Müssen die Konzerte demnächst wohl noch länger werden – hallo Kondition!

Lasse: Ich bin froh über jedes unserer Alben. Sie haben für uns persönlich und musikalisch ganz unterschiedliche Bedeutungen, die ich gar nicht werten wollen würde. Um mal ein Klischee zu variieren, finde ich immer das Album am wichtigsten, an dem man gerade arbeitet. Erstens kennt das außer uns noch niemand – das heißt, es gehört einem noch ganz allein. Und zweitens ist das das Zeichen dafür, dass wir immer noch Bock haben.

Lasst euch nix von 40-Jährigen sagen!

AFL: Fast jede Band hat mindestens einen Song, den sie selber nicht mögen und am liebsten gar nicht geschrieben oder veröffentlicht hätten. Habt ihr auch so einen Song? Was stört euch an dem Lied?

Hagi: Wir waren nie eine Band, die 30 Songs für die Vorproduktion schreibt und dann 2/3 in die Tonne kloppt. Bei uns kommt mit ganz wenigen Ausnahmen jeder Song aufs Album, da wir auch gemeinsam und ziemlich im Detail daran feilen, bevor es ins Studio geht. Jeder bringt sich ein und wir sind immer um Konsens bemüht. Das hat übrigens auch was mit Respekt zu tun. Da schreibt jemand sich die Seele aus dem Leib, arrangiert bis zum letzten Pieps, und dann sagst du: ‚Nö, is kacke, will ich nich!‘ So läuft das zum Glück bei uns nicht.

Flo: Wir gehen wie Hagi sagt mit Respekt ans Werk des anderen und ziehen das gerade, bis es an der Ziellinie nen Hit ist. Es gibt zwar Songs, die man vielleicht weniger gern live spielt als andere. Die müssen dann halt mal ein paar Konzerte pausieren, bis sie wieder aufs Set kommen. Quasi ein Wiederentdecken alter Schätzchen.

Lasse: Natürlich gibt es die ein oder andere Albernheit aus den Anfangsjahren, die man heute eher schmunzelnd betrachtet. Aber die mögen wir trotzdem. Außerdem waren wir als Band dankenswerterweise nie anfällig, in irgendwelche „Phasen“ zu geraten, für die wir uns heute schämen müssten.

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AFL: Rückblickend betrachtet, hättet ihr vielleicht das ein oder andere anders gemacht?

Hagi: Vielleicht ausgiebiger touren als wir noch weniger Verpflichtungen hatten. Der Rest ist eh Geschichte.

Lasse: Nö! Da muss man einfach auf den großen Philosophen Lothar Matthäus verweisen: Wäre, wäre, Fahrradkette!

AFL: Was würdet ihr Kreftich vor 25 Jahren sagen, worauf sollte das junge Kreftich-Trio achten?

Lasse: Lasst euch nix von 40-Jährigen sagen!

AFL: Wie schafft ihr es, auch nach 25 Jahren fast immer noch genauso auszusehen, wie damals zur Gründung, hält Punkrock gesund?

Flo: Auch, wenn Aussehen völlig egal ist: Es ist das geistige Alter, das Einfluss auf das äußere Alter hat. Und Punk war schon immer gut für den Geist.

Lasse: Ich glaube, wir sollten dir mal ein ausführliches Portfolio unserer Bandfotos zukommen lassen 😉 . Ich stelle mir gerade vor, wir würden noch genauso aussehen wie vor 25 Jahren. Da würde uns doch als altersweise Welterklärer keiner ernst nehmen. Geistig hält Punkrock natürlich jung. Alkohol konserviert ja bekanntlich auch.

Unterstützt eure Kinder, wo ihr nur könnt, wenn sie ein Instrument lernen wollen. Es braucht Nachwuchs im Punkrock!

AFL: Wie hat sich eurer Ansicht nach die Szene entwickelt?

Hagi: Mit wenigen Ausnahmen ist die Punkszene mit uns gealtert. Punk is Dad (or Mum) – das ist nicht nur ein Spruch. Ich habe das Gefühl, dass die ältere Generation hungrig ist, es jedoch an der ein oder anderen Stelle an der Kommunikation mit jüngeren Leuten hapert. Früher war es definitiv bunt und laut und auch eine sehr gute Zeit. Aber das Rad wurde damals auch nicht neu erfunden. Es kommen heute Dinge zur Sprache, etwa zu Themen wie Diversität oder Akzeptanz, die ihren Platz haben müssen.

Lasse: Die Szene hat sich genauso weiterentwickelt wie die Gesellschaft insgesamt. Es gibt andere Themen, andere Medien und, wie Hagi schon sagte, im Fall Punkrock auch eine andere Altersstruktur. Natürlich blicken auch wir als alte Väter anders auf die Welt als mit 17.

Flo: Was gleichgeblieben ist, ist dass man im Punkrock dem Mainstream immer noch zwei Schritte voraus ist und dass es immer noch wichtiger ist, einfach mal was zu machen als nur zu meckern. Deshalb ist Punk ja auch nicht 1978 gestorben, sondern immer noch da.

Kreftich Copyright @ Rainer Höpken

AFL: Was bedeutet Punkrock für euch?

Hagi: Punk(rock) zieht sich durch mein ganzes Leben, denn: Punk is dat geilste und eine gute Kinderstube! Für mich bedeutet das, kritisch durch die Welt zu gehen und Dinge zu hinterfragen, die einem nicht ganz korrekt vorkommen – ich kann z. B. Ungerechtigkeit nicht ertragen. Punk heißt, das zu sagen, was man auch wirklich meint. Respekt zu haben und tolerant zu sein, ist eine Selbstverständlichkeit, scheiß auf Hautfarbe, Geschlecht oder Herkunft! Dinge, die einem gefallen, sollte man auskosten, so lange sich alle wohlfühlen. Und am Ende ist Punkrock einfach meine Musikrichtung!

Lasse: Das Schöne an Punkrock ist ja, dass es keine allgemeingültige Definition gibt, was das überhaupt ist. Man könnte auch sagen, dass sich Punkrock darüber definiert, sich nicht definieren zu lassen. Und daraus ist dann eine wunderbare, vielfältige Szene entstanden, die fast wie von selbst tolerant, weltoffen, progressiv und antifaschistisch ist. Da die Punkszene sich ständig selbst hinterfragt ist das natürlich auch schon mal anstrengend. Aber irgendwie hat immer doch alles mit guter Laune zu tun. Und diese Mischung ist einfach toll und hat dazu geführt, dass wir unfassbar viele tolle Menschen kennengelernt haben. Das ist am Ende vielleicht sogar das tollste am Punkrock, neben der Tatsache, dass das einfach die beste Musik der Welt ist.

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AFL: In 25 Jahren läuft man sicherlich vielen Bands über den Weg. Welche Band oder Künstler möchtet ihr auf jeden Fall empfehlen?

Flo: Tatsächlich sind wir einer Menge guter Bands und netter Menschen über den Weg gelaufen. Das ist ja eine der tollen Sachen, wenn man musikalisch unterwegs ist. Die allermeisten sind natürlich auch sehr zu empfehlen, aber die Liste würde jetzt ein wenig lang. Und viele Bands wie Alarmsignal, Rasta Knast oder Dritte Wahl braucht man glaube ich auch nicht mehr zu empfehlen. Aber es gibt natürlich schon ein paar Bands, mit denen uns mehr verbindet.

Lasse: Zum Beispiel Weekly Carouse aus unserer Nachbarstadt Calivoerdia. Die waren ja schon lokale Größen als wir angefangen haben und das erste gemeinsame Konzert für uns dadurch was Besonderes. Mit denen haben wir fast unsere ganze Bandgeschichte lang Konzerte gespielt. Und obwohl die gesamte Diskographie schon absolut empfehlenswert ist, haben sie es geschafft, dieses Jahr mit ÆLTÆRN ein unfassbar gutes und in meinen Augen ihr bestes Album zu veröffentlichen.

Hagi: Außerdem muss man an dieser Stelle unbedingt die Band Frustkiller empfehlen. Durch die gemeinsamen Wochenendtouren sind dann doch recht schnell aus Kollegen Freunde geworden und wir freuen uns immer riesig, wenn wir wieder gemeinsam unterwegs sind. Außerdem machen sie nicht nur fantastische Musik, sondern sind auch die Meister des Schichtgetränks.

Lasse: Eins noch: Eine Band, die wir noch nicht so lange kennen ist Graupause. Mit denen haben wir auch zuletzt auf ihrem Albumreleasekonzert gespielt. Das Album gehört für mich in jedem Fall zu den besten dieses Jahres, und dazu sind auch das mal wieder sehr, sehr nette Leute.

AFL: Habt ihr letzte Worte, einen Tipp für junge Bands, möchtet ihr wen grüßen?

Lasse: Geht auf Konzerte und unterstützt die Bands, die ihr mögt.

Hagi: Unterstützt eure Kinder, wo ihr nur könnt, wenn sie ein Instrument lernen wollen. Es braucht Nachwuchs im Punkrock!

Flo: Danke für das Interview. Wir sehen und hören uns spätestens im nächsten Jahr wieder!

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– Playlist: Happy Release Day

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