Matze Rossi ist busy, noch mehr als ohnehin schon, denn er hat nicht einfach nur eine neue Platte (Wofür schlägt dein Herz) geschrieben und aufgenommen, die am 11.6.2021 erscheinen wird (Endhits Records). Er hat sich auch mit Herzblut um alles gekümmert, was sonst noch dazu gehört, wenn man ein Album veröffentlicht.
Im Interview gibt er Chrissy einen Einblick, was da so alles dazu gehört, wie es ist, sich im Jahr 2021 als Musiker mental und finanziell über Wasser zu halten, und wie ihm das gelingt.
Ein Gespräch über den Twist von Wut und Ohnmacht zu Optimismus und Gelassenheit:
AFL: Hallo Matze, na wie geht’s dir? Aufgeregt, dass deine Platte „Wofür schlägt dein Herz“ jetzt endlich erscheint?
Ich bin auf jeden Fall aufgeregt, mir kommt alles wie ein wahnsinniger Ritt vor. Auch gestern, da bin ich ja früh um 4 nach Berlin hochgefahren, um Pakete zu packen. Ich bin echt durch mit dem Werbung machen. Ich möchte lieber spielen und die Leute überzeugen wie immer. Ich bin nicht so der Marktschreier.
AFL: Ja, vielleicht nicht, aber wenn man (bedingt durch die Pandemie) eben nicht spielen kann und auf die übliche Art werben kann, muss man kreativ werden. Und du hast das auf eine sehr charmante Art gemacht.
Und: Die meisten Künstler verteufeln ja Spotify, weil man natürlich nicht viel damit verdient, aber du hast das angenommen, einfach als eine Möglichkeit um sichtbar zu sein und zu sehen wie es ankommt und arbeitest ganz gut damit.
Ja, also ich finde es zum einen schrecklich die ganze Zeit Werbung zu machen, ich fände es schöner, wenn ich einfach spiele und die Leute und die Menschen einfach um mich hab und überzeugen kann. Leute, die mit mir singen und das Gefühl haben: Boah jetzt hab ich Bock diese Platte zu Hause zu hören, das erinnert mich an dieses Konzert wo ich war!
Aber das geht alles nicht, aus total nachvollziehbaren Gründen. Also hab ich lange und viel überlegt, teilweise dann aber auch ganz spontane Ideen umgesetzt, da sieht man auch wie dilettantisch das ist, wie ich da z.B. diese Zeichentrick-Videos gemacht hab.
AFL: Ja, aber das ist ja das charmante an dir. Ich hab ja auch gesehen, du hast dir jetzt Photoshop Skills drauf geschafft und versucht das beste aus der ganzen Situation zu machen und auch dazu zulernen.
Ja, Mirko von UncleM hat mich auch oft gelobt, dass ich als alter Mann mich wirklich noch rein fuchse, auch gerade mit Sachen, die ich immer von mir gehalten hab. Auch mit Spotify, weil ich da am Anfang tatsächlich sehr kritisch war, wie andere auch, was du ja vorhin gesagt hast, aber für mich ist es einfach ein weiteres Tool. Früher wurden Kassetten überspielt und weitergereicht.
Und das schöne ist, dass Leute, die meine Musik hören da merken, wie viel Herzblut und so da einfach drin steckt und was da alles noch dazu gehört und wie wichtig mir das ist. Und dass die merken, wie wichtig es ist, so einen physischen Tonträger zu Hause zu haben.
Das ist halt auch ein wahnsinnig finanzieller Aufwand. Die farbige Vinyl, als Doppel LP, das Gatefold Cover, dann noch das Songbook. Bei der ersten Auflage dieser wunderschöne Druck von Kraja, also wirklich ganz viel aussen rum, um – wie Oise sagt – „die Musik würdevoll greifbar zu machen“.
Für viele bedeutet Spotify „ich klick drauf und kann mir das direkt anhören, jederzeit, an jedem Ort“. Aber dass da jemand sitzt, der fünf Jahre an einem Album schreibt, jedes Wort dreimal umdreht, das wollte ich [mit der Werbung] greifbar machen.
Ich glaube auch der einzige Weg ist es, diese beiden Welten miteinander zu kombinieren. Und ich sehe Spotify nicht als Geldeinnahmequelle, sondern wirklich als Werbemöglichkeit. Ich hab mit dieser Platte auch gelernt das zu trennen. Werbung ist das eine, das einfach da sein und präsent sein in einer Welt, die sich komplett digital abspielt.
Und ich glaube, dass viele auch erst jetzt so realisieren, wenn sie diese Platte bekommen, dass das ein unglaubliches Ding ist, was wir da hingelegt haben.
AFL: Hast du das Gefühl, dass die Pandemie ein bisschen dazu beigetragen hat, also dadurch, dass Konzerte und alles physische so wegfällt, dass sie erst einmal verstehen, was da alles dazugehört als Musiker. Ich erinnere mich an einen Post von dir am Anfang der Pandemie, wo noch diese ganzen Wohnzimmer Streaming Konzerte und so waren und dann haben viele versucht Freiluft-Konzerte und so zu organisieren und dann hast du irgendwann gesagt „Nee, jetzt ist aber mal gut, wir sehen es nicht ein und hier aufzureiben, weil Leute rechnet das mal durch das lohnt sich für keinen von uns.“ Und das hat glaube ich vielen die Augen geöffnet, was es bedeutet ein Konzert zu veranstalten, was da für ein Aufwand und Kosten dahinter stehen.
Ja, in dieser Pandemiezeit hab ich zwei Sachen wahrgenommen. Am Anfang war da eine ganz krasse Verbundenheit und auch dieses Gefühl: Mist, wir können nicht mehr auf Konzerte, die Musiker können nicht mehr Geld verdienen auf Konzerten, also streamen und spenden wir. Dieses Gemeinschaftsgefühl fand ich sehr schön!
Und dann fand das Touren auf einmal im Internet statt, aber das war dann relativ schnell beliebig fand ich. Und dieses Feedback von den Zuschauer:innen fehlte.
Ich kam dann irgendwann an so einen Punkt, wo ich es auch einfach nicht mehr sehen konnte.
Und dann war ich frustriert – zum einen durch die Pandemie, aber da mussten wir alle durch, aber vor allem auch weil es von der Politik so schlecht organisiert und aufgefangen wurde. Gerade die Menschen, die für sich eine Möglichkeit gefunden hatten in diesem System zu leben, ich nehme jetzt al die Musik-Branche: Die Künstler, Bühnentechniker, Stage Hands – das existiert in deren Welt überhaupt nicht.
Da kam ich mir vor wie die Ameise gegenüber dem Riesen und mir ist erst mal diese Kluft bewusst geworden.
AFL: Da war bestimmt auch ne Menge Wut. Wie bist du damit umgegangen?
Ich gehe meistens mit den Hunden raus in die Natur, weil da ist alles so wie es ist und da kannste nix dran ändern.
Um noch mal den Bogen zu spannen: Für mich war es dann eine Möglichkeit damit umzugehen, zu sagen, ich geb jetzt keine Streaming-Konzerte mehr, bis ich merke, ich hab jetzt wieder Lust mich vor ne Kamera zu setzen. Und es hat auch gut getan, so drei vier Monate mal wirklich komplett die Füße still zu halten.
AFL: Bereust du es denn manchmal, dass du Vollzeitmusiker geworden bist und nicht einen „sicheren“ Beruf ausübst?
Nein, niemals! Musik ist mein Ding, mein Leben.
AFL: Du hast zwar ne raue Stimme und es ist diese punkige Atmosphäre da, aber deine Musik strahlt trotzdem immer sehr viel Ruhe aus. Selbst im Song Milliarden, der ist zwar nicht auf dem neuen Album, aber ich nehme den mal als Beispiel: Da regst du dich ja schon über die Missstände auf und dann schaffst du es trotzdem im Refrain dem ganzen deinen Optimismus überzustülpen. Ist das eine Botschaft, die du vermitteln willst?
Nein, das ist einfach eine gewisse Lebenshaltung, die ich gelernt hab. Wut ist ein Gefühl, was mir sehr bekannt ist, aber ich habe für mich gelernt, das alles zu kanalisieren – durch viel Selbstreflektion, auch durch die Yoga Praxis, die ich dann gemacht hab, und das Meditieren. Ich hab einfach eine gewisse Einstellung und dazu gehört es Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann.
Das ist echt lustig, dass du das ansprichst, weil mein guter Freund Tillmann von Tigeryouth erst gestern gesagt hat, er hat ein Problem damit, dass ich in meinen Songs immer diesen Twist mit reinbringe. Also dass ich erst darüber schreibe, was einen so runterzieht und ich dann immer mit so nem Twist komme. Er möchte lieber mit diesem Gefühl liegen gelassen werden. Ich kann nachvollziehen, was er damit meint, dass er selber ne Lösung finden will und nicht was vorgegeben bekommt.
Aber das ist keine Botschaft, das ist einfach meine Haltung, alles was passiert, jede Begegnung jeder Mensch inspiriert mich halt. Und das modele ich irgendwo in mir zu meiner Welt. Wenn mir jetzt jemand ’nen Twist hinhaut, kann ich das ja für mich annehmen oder ich mach was anderes draus. Das ist meine Entscheidung.
AFL: Besonders deutlich wird dieser Twist beim letzten Song auf deiner neuen Platte. In Alleine singst du über negative Gefühle und dann drehst du es um und nimmst es so an und singst, dass du dann halt traurig und allein sein musst. Dieses offene Zugeben, dass du auch mal nen kack Tag hast und du auch einfach mal alleine sein willst, finde ich stark. Gerade weil man dich ja als recht geselligen Typen wahrnimmt.
Ja, tatsächlich, ich liebe es auch alleine zu sein. Das ist auch wichtig mich mit mir auseinander zu setzen, gerade weil ich ja ein geselliger Typ bin. Das ist schön, dass du das ansprichst, weil es das Lied ist, wo ich wirklich versucht hab, immer diese Schleife auch mit dem Text umzusetzen. Und gerade dieser Moment, „alleine bin ich am besten, alleine muss ich sein“, der bestätigt sich ja gerade in diesem Moment, man ist also wie in einer Schleife gefangen. und es ist ja auch eine Tatsache, dass man einfach allein ist. Für sich. Am Ende muss man mit sich im Reinen sein. Da bin ich auch ganz stolz drauf, weil am Anfang haben viele gesagt: „Du singst ja immer das gleiche“. Nein, es ist immer ne feine Nuance, die anders ist und die in meiner Gedankenspirale abläuft. Und am Ende bin ich an dem Punkt, dass es sich bestätigt und ich fang wieder von vorne an. Alleine bin ich am besten.
AFL: Du hast ja die ganzen Single Releases auf Instagram angeteasert, indem du sie an deinen Lieblingsorten gespielt hast, im Wald, im Pizzaeck, im Tourbus. Sind das tatsächlich Orte, an denen du dann auch mal Gitarre spielst?
Ja, das sind tatsächlich alles authentische Lieblingsorte, an denen ich auch spiele. Also auch dieser Ort im Wald er so abgelegen ist, wo wahnsinnig viele Tiere sind und ich sitze da wirklich gerne und dann passiert es manchmal tatsächlich, dass sich die Vögel am Ende vom Baumstamm hinstellen und gucken.
Auch beim Lied Alleine im Bus. Ich liebe diesen Bus, auch wenn er nicht p.c. und umweltfreundlich ist, aber ich bin trotzdem unglaublich dankbar, dass ich ihn habe. Der ist für mich wirklich Freiheit. Ich sitze da drin und fahre einfach vier Stunden rum und bin ganz bei mir.
Es ist mir auch echt wichtig, das nach draussen zu geben, dass man Orte braucht, die einem was bedeuten. Dieses Wahrnehmen von Orten, dass es mir da besonders gut geht, dass ich mich inspirieren lasse, coole Sachen erlebt hab.
AFL: Und wenn du Musik schreibst, hast du da auch einen Ort, an dem du am besten schreiben und produktiv sein kannst?
Ich bin der Überzeugung, dass die Lieder oder die Ideen dazu, dass die nicht ich mache. Manchmal macht es einfach peng, unter der Dusche, beim Einschlafen, im Wald beim Spazierengehen und dann ist da eine Zeile, die tippe ich in mein Telefon oder spreche es drauf, singe auch teilweise schon die Melodie dazu ein.
Das ist manchmal nur ein Satz. Und dann liegt das manchmal ne ganz lange Zeit. Und dann fange ich an mit dem Arbeiten, das passiert wirklich in meiner Scheune hier. Und dieser Prozess geht dann auch sehr schnell. Aber ich brauche diesen Ort zum Arbeiten.
AFL: Du sagst ja, das liegt dann auch mal länger. Ich kann mich erinnern, dass du Vogelmann und Du weißt immer wie spät es ist schon vor einigen Jahren auf der Bühne gespielt hast, und jetzt sind die ja erst auf der Platte. Die konnten also auch noch einmal wachsen. Wann hast du denn das Gefühl, dass ein Song reif ist?
Tja, wann ist ein Lied fertig? Wahrscheinlich nie.
Ich glaube für mich ist es fertig, wenn ich es spiele und das Gefühl hab, da kann ich jetzt alles reinlegen. Und auch wenn nicht mehr drüber nachdenken muss, ist das Wort jetzt das richtige oder das? Ab dem Moment, von dem es von alleine fließt.
Ab den letzten beiden Alben mache ich es so, dass ich die Lieder anderen vorspiele, wenn dieser Arbeitsprozess fertig ist und ich das Gefühl hab jetzt traue ich mich damit mal raus. Durch diese Energie mit dem Publikum und die Rückmeldungen danach wächst das Lied und ich weiß ich muss noch mal in die Richtung oder noch mal in die oder ich weiß, okay, das ist es.
Das Kuriose ist aber, dass Lieder nach der Aufnahme dann trotzdem noch wachsen, dass ich Töne oder auch Wörter verändere, wenn sich in meinem Leben was verändert hat.
So ein Lied hat auch ein Recht weiter zu wachsen. Das wächst ja auch durch die Geschichten der anderen. Wie viele mir geschrieben haben zu Wenn ich mal und wenn ich das jetzt spiele, dann hab ich klar meine Intention, aber es ist durch die Rückmeldungen der anderen so satt und prall an Gefühlen und Erinnerungen von vielen vielen anderen Menschen, das ist wirklich wow!
AFL: Dann hoffe ich mal, dass du bald die Gelegenheit hast, die neuen Lieder live zu spielen und durch die Emotionen der Zuhörer anzureichern. Wie sieht es da aus?
Wir hatten ein paar Termine im Juni, von denen aber auch viele in die Tonne getreten wurden. Ich spiele am 13.6. mein hoffentlich allerletztes Streaming Konzert. Auch wenn das anders ist, nicht hier in der Scheune, sondern im Underdog Plattenladen in Köln.
Und im Juli und August sind ziemlich viele Konzerte geplant. Ich hoffe auf Corona konforme Picknick-Freiluft-Konzerte.
AFL: Was wäre denn dein liebstes Konzert nach der Pandemie?
Ich hätte total Bock, die neuen Songs von Chuck Ragan zu hören. Ich habe die beiden Touren mit ihm so genossen und ich würde wirklich wieder gerne an der Bühnenseite stehen, ein Bier trinken und ihm einfach zugucken.
AFL: Das klingt nach einem verdammt guten „Wiedereinstieg“! 🙂 Ich wünsche dir eine gute Restwoche des Wartens.
Danke! Ja, das wichtigste kommt ja erst noch: Dass die Menschen es hören. Ich bin gespannt, auf die Stimmung und die Rückmeldungen.
Das Album „Wofür schlägt dein Herz“ erscheint am 11.6.2021 auf Vinyl und CD bei Endhits Records und ist auf allen Streaming Plattformen verfügbar.