Die Einleitung meines Reviews zum Vorgängeralbum Selbstmitleidkultur lautete wie folgt: Mein Kopf ist ein brutaler Ort klingen so, als ob sich Grantig und Narziss einen Proberaum teilen würden und sich zur Jamsession zwei Mörser-Sänger ausgeliehen hätten. Aufgetischt wird einem dann ein Höllengebräu aus Thrashmetal, Hardcore und Pantera. Perfekt kredenzt mit starken deutschen Lyrics.
Genau so könnte man beim neuen Werk Ton Steine Sterben auch starten. Allerdings haben die Frankfurter in den letzten vier Jahren einiges am Songwriting gefeilt. Im Gegensatz zu früheren Werken geht man deutlich subtiler vor und der 5er integriert zunehmend Spielereien in den oben angesprochenen Groovemetal. Neu sind beispielsweise die Spoken-Word-Passagen wie etwa beim Refrain des Openers In Wahrheit. Auch die Vorliebe für melodische Gtarrenriffs scheint man entdeckt zu haben, wie etwa bei Es bricht der Stolz. Grund genug, einen der Shouter, in diesem Fall den heiseren Schreihals Christian, ein wenig auf den Zahn zu fühlen.
Als klar war, dass wir lange keine Shows spielen würden, haben wir uns ins Songwriting begeben. Durch die Kontaktbeschränkungen haben wirst zunächst immer in maximal 2er-Teams an den Songs gearbeitet und Stück für Stück eine Vorproduktion aufgebaut. Die vorherigen Alben sind immer nebenher gewachsen. Man spielte live, schrieb dann wieder einen Song und irgendwann war dann die Platte voll. Durch die jetzige Methode konnten wir viel mehr Feinheiten ausarbeiten. Mir hat das sehr gefallen.
Eine Sache haben wir dann doch nicht geändert: Ein literarisches Stilmittel als Albumtitel zu verwenden, ist für uns zu einer kleinen Tradition geworden. In Anlehnung an die ikonische Band ist Ton, Steine, Sterben vielleicht eine musikalische Reise, die einen durch 13 Episoden der Vergänglichkeit und des Wandels führt.
Auch der Raussschmeißer Zahltag schlägt ein ganz neues Kapitel bei Mein Kopf ist ein brutaler Ort auf, serviert man doch zum Abschluss einen raplastigen Crossovertrack. In Zusammenarbeit mit Mr. Kew erinnert das Stück ein wenig an Die Fantastischen Vier.
Mein Bruder, Mister Kew, steht gewissermaßen als Pate für meine Textversuche. Er ist im Deutschrap zu Hause und eines meiner großen Vorbilder, wenn es um deutsche Gegenwartslyrik geht.
Wir waren in Dänemark im Studio, hatten noch etwas Zeit übrig und schlugen Tue Madsen vor, den Track erneut in einer Crossover-Version aufzunehmen. Er mochte die Idee, wir nahmen den Song im Studio auf, mein Bruder lieferte die Vocaltracks aus seinem kleinen Heimstudio in Darmstadt, Tue zauberte den Mix und jetzt ist es auf der Platte.
A propos Tue Madsen. Der dänische Ausnahmekönner an den Reglern scheint die Hessen auch noch auf anderen Wegen bereichert zu haben, wie Frontmann Patrick anmerkt.
Aus unserer Zeit bei Tue habe ich persönlich ein paar wichtige Sachen mitgenommen: Große Dinge geht man Gelassenheit an, kleine mit Sorgfalt (Der Weg des Tue). Seilspringen funktioniert für mich besser aus Warmsingen. Nach zehn Jahren Bandgeschichte können wir zwei Wochen irgendwo aufs Land fahren, uns den ganzen Tag auf der Pelle hocken und gehen uns trotzdem nicht auf die Nerven.
Ansonsten gibt es vor allem eins: Auf die Fresse! Wie oben bereits angesprochen, serviert man vor allem metallische Brachialität. Das wechselseitige Shouten und Brüllen von Patrick und Christian sorgt zusätzlich für Härte. So liegt es nahe, dass sich die Vielzahl der Texte auf dem neuen Album mit den Missständen der Welt auseinandersetzen.
Für uns gilt: jeder Song muss eine authentische Geschichte erzählen. Wenn die Texte bedeutungslos daherkommen, ist es nur fair, wenn die Fans sich anderen Bands zuwenden.
Die Thematik von Männer in Booten treibt mich schon länger um und ergänzt Treibhaus vom Vorgänger Selbstmitleitkultur und Königreich von unserem ersten Album Brutalin auf einer weiteren Ebene. Da stellt sich die Frage, wie wir als Gesellschaft unseren Wohlstand rechtfertigen, während an den Außengrenzen der EU Menschen um ihr Überleben kämpfen? Manchmal ist es kaum zu ertragen.
Im Wissen darum, dass unsere Lieder daran nichts werden ändern können, schaffen sie für uns aber eine Möglichkeit, zumindest diese Ohnmacht für eine künstlerische Auseinandersetzung zu verlassen.
Dann sind da die zahlreichen Geschichten aus dem Leben der Bandmitglieder. Der Zusammenhang zwischen Zukunft und Vergangenheit beschäftigte uns in mehreren Songs. Beendet man eine Beziehung, entscheidet man sich – so platt wie es klingt – gegen eine gemeinsame Zukunft. Doch was macht man mit den schönen Erinnerungen aus dieser Zeit? Was ist, wenn man diese nicht loslassen will oder kann?
Summa summarum haben Mein Kopf ist ein brutaler Ort mit Ton Steine Sterben wieder einmal ein richtig hartes Album am Start, welches für sich genommen eine Ausnahmestellung einnimmt. Wie keine andere deutsche Band servieren die Frankfurter hier brachialen Groovemetal der Marke Lamb Of God & Co., der mit seinen deutschen Lyrics perfekt harmoniert. Zur Geschichte der Band und ihrer ungewöhnlichen Interpretation meint Christian:
Der Härtegrad und die deutschen Texte sind nach wie vor unser Markenzeichen. Aber die Erzählung über die Bedeutung unseres Namens hat sich verändert: Was zunächst als spontane Reaktion auf die zahlreichen Riffkreationen unseres Gitarristen Ralf begann, hat sich weiterentwickelt.
Mir gefällt dieser Erklärungsversuch: Manchmal tobt zwischen den Ohren das Chaos in all seinen Facetten. Wenn man sich dann bewusst wird, dass der eigene Kopf eine Waffe sein kann, die sich in diesem Moment gegen einen selbst richtet, kann man ihn vielleicht auch zu einem nützlichen Werkzeug machen, um die Welt im Kleinen zu verändern.
Die Hörer*innen sind an Englisch gewöhnt. Es klingt immer melodisch sanft, aber in den Wortendungen auch hart genug, um Metaltexte hart klingen zu lassen. Deutsch ist eine härtere Sprache, die von mir aber viel mehr Fingerspitzengefühl verlangt. Der Kitsch lauert immer mit dem großen Hammer. Die Freude ist für mich aber irgendwie größer, wenn jemand kommt und sagt: Das ist eine geile Zeile!