AFL: Moin Till. Erzähle doch mal etwas zu deinem musikalischen Background. Wie bist du etwa in der Hardcore- und Punkszene gelandet und wie kam es zur Gründung von Abnegat-Records?

Till von Abnegat Records

Till: Hey, ich habe wirklich einen musikalischen Background, ich war 9 Jahre an einer klassischen Musikschule und habe dort Trompete und Klavier gespielt. In die Punkszene bin ich irgendwie auch wortwörtlich reingeboren. Ich bin nämlich in Berlin in einem besetzten Haus geboren, aber das ist wahrscheinlich nicht unbedingt der Grund wieso ich mich in der Hardcore- und Punkszene gefunden habe. Musikalisch bin ich durch Freunde in der Grundschule darauf gekommen, dort gab es die ersten Punkkassetten (die allererste war glaube ich DezerterKolaboracja).

Die Szene an sich hat mich dann auf jeden Fall auf den regelmäßigen Konzerten in der Gegend gefesselt und bis heute nicht mehr losgelassen. Das waren nicht nur Punk-, Hardcoregigs, sondern allgemein alternative Musik. Das was mich bis heute fasziniert, ist der DIY-Geist dabei, die Musik ist nicht unbedingt immer das wichtigste bei den Veranstaltungen, das war damals so und ist es für mich immer noch so. Trotzdem ist es musikalisch meist Hardcore/Punk, was aber, wie die meisten hier wahrscheinlich wissen, sehr vielfältig ist.

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Die Gründung eines Musiklabels war jetzt nicht unbedingt schon früh geplant (wie z.B. das Veranstalten eines Festivals oder von Konzerten, wovon ich schon sehr früh geträumt habe), das hat sich irgendwie ergeben, also ich hatte schon darüber nachgedacht und hätte es gerne gemacht, es war nur sehr Abstrakt für mich (hauptsächlich aus finanziellen Gründen). Also kam ein Bekannter aus einer Band mal auf mich zu (ich hatte ihm wohl mal erwähnt, das ich mit dem Gedanken spiele ein Label zu gründen) und bot mir an seine Band mit rauszubringen. Das war die Geburt von Abnegat Records.

AFL: Über Abnegat veröffentlichst du Bands und Platten aus unterschiedlichen Ländern, wobei mir der Schwerpunkt auf Osteuropa und vor allem Polen zu liegen scheint. Woher kommt vor allem die Affinität zu polnischen Punk- und Crustbands?

Till: Ganz kurz gesagt, ich bin in Polen aufgewachsen. Meine Eltern sind mit mir Anfang der 90er nach Polen ausgewandert.

AFL: Nehmen wir uns mal zwei Bands, die Abnegat meiner Meinung ganz gut repräsentieren: Matrak Attakk und und DYYM. Matrak Attakk spielen harten Hardcorepunk mit starken Crusteinflüßen, Dyym wiederum sind eher im Hardcorepunk beheimatet. Woher kommt dein Interesse, an solchen sehr rohen und musikalisch sehr harten Bands?

Till: Interessante Wahrnehmung Ehrlich gesagt war es gerade in der Anfangszeit nicht unbedingt die Musik die für mich im Vordergrund stand, also würde ich nie mein Label über Musikrichtung definieren. Beispielsweise Matrak Attakk ist einfach eine mega Truppe und eine der besten DIY Livebands, die ich kennengelernt habe, außerdem passt bei ihnen auch wie bei fast keiner anderen Band das Konzept von mehreren Labels, halt auf Freundschaftsbasis sehr International und zusammen DIY, klingt komisch ist aber sehr schön, weil es hier (wie sonst selten) super klappt.

MatraK AttaKK 2021

Dyym spielen, finde ich, sehr unterschiedliche Musik mit super Texten, was ich sehr mit der HC/Punk-Szene assoziiere. Keine Ahnung ob die Bands Abnegat Records gut repräsentieren, ich sehe das vielleicht ein bisschen anders, aber wer weiß, da habe ich mir nie Gedanken drüber gemacht oder andere abgefragt

AFL: August Landmesser war einer der ersten Bands, die ich von deinem Label wahrgenommen habe – eine ganz und gar außergewöhnliche und formidable Band wie ich finde. Wie entdeckst du solche musikalisch außergewöhnliche Perlen?

Till: Wie schon erwähnt hat gerade die erste Herausgabe eher mich selber gefunden als umgekehrt, jedoch empfinde ich sie [die Band August Landmesser, Anmerk. Timbo] musikalisch auch sehr interessant. Sonst ist es oft auch einfach nur Zufall wie man zu den Bands kommt, entweder durch persönliche Kontakte oder auf deren Konzerten kennen und lieben gelernt, dann gibt es natürlich sehr viele Bands die auf Suche nach Labels sind und da findet man auch manchmal richtig gute Musik oder Konzepte. Langsam versuche ich schon auch gezielter Bands zu veröffentlichen, halt weniger dem Zufall zu überlassen, und vor allem weg von großen Label zusammenarbeiten zu kommen.

August Landmesser 2019

AFL: Wer sich die Texte der Abnegat-Bands durchliest merkt sehr schnell: Politik spielt eine entscheidende Rolle im Leben der Label-Musiker*innen. Inwiefern spielt Politik und auch politischer Aktivismus bei dir persönlich eine Rolle?

Till: Ich würde sagen es spielt schon eine große Rolle. Der größte Aktivismus bei mir ist das ich meine Überzeugungen auch lebe und damit finde ich würde jeder am meisten zu einer besseren Welt zu beitragen. Getreu nach dem Motto: Wills du die Welt verbessern fange bei dir an!

Ich sehe mehr Potential etwas zu schaffen als zu zerstören, aber natürlich gibt es leider auch Sachen/Geschehnisse auf der Welt die man bekämpfen muss. Um ein Beispiel zu nennen: ich setzte mich für Frauenrechte ein, also lebe ich das im Alltag, auf Bühnen von meinem Festival sind immer gezielt auch viele Frauen. Ich mache daraus aber kein Politikum, sehe es ehr als Selbstverständlichkeit, wie die Welt halt meiner Meinung an aussehen sollte. Ich gehe aber natürlich auf die Straße und sage laut meine Meinung wenn es um Abtreibung geht. Das ist jetzt ein sehr oberflächige Darstellung, aber vieles ist meiner Meinung nach produktiver einfach zu leben, als immer nur laut Aktivismus zu betreiben, bei manchen Sachen geht das natürlich nicht.

AFL: Erzähle doch bitte mal etwas über das Izero Punk Festival in Wolimierz (Polen), bei dem du maßgeblich als Organisator mit eingebunden zu sein scheinst.

Till: Naja, ein Festival zu veranstalten war schon sehr lange ein Traum von mir, irgendwann habe ich es dann einfach mal gemacht und langsam (nach 4 Editionen) klappt es auch immer besser Die Idee war von Anfang an schon immer eine große Vielfallt auf der Bühne zu haben, was gerade in Polen halt nicht so oft passiert. Musikalisch wie menschlich gelingt es mir meist sehr gut.

Es ist ein relativ kleines (300-500 Besucher) Festival, ich würde es auch gerne so beibehalten, in wunderschöner Natur im Isergebirge (daher der Name). Es findet im Dorf Pobiedna im Atelier Wolimierz statt, das sind Objekte von einem alten Zugbahnhof die von Künstlerkollektiven zu eigen gemacht wurden, die daraus einen sehr Interessanten Ort gemacht haben der in ganz Polen bekannt ist.

Da ich alles alleine organisiere, könnte ich jetzt jedes Detail über das Fest erzählen, das würde aber definitiv den Rahmen sprengen, also kommt gerne einfach mal vorbei 16-17 Juni 2023 findet die nächste Edition statt. Es finden dort auch andere Veranstaltungen statt, ich selber mache dort manchmal Konzerte aber es passieren auch andere Sachen. Der Ort oder allgemein die Gegend ist natürlich auch sonst eine Reise wert.

AFL: Kannst du sagen, inwiefern sich die Hardcore- und Punkszene in Polen und Deutschland voneinander unterscheiden? Du scheinst ja in beiden Ländern einen ganz guten Überblick über die „Szenen“ zu haben.

Till: Kann ich glaube ich nicht wirklich sagen, weil ich in Polen in der tiefsten Provinz gelebt habe und jetzt in Berlin, also keine wirkliche Voraussetzung zum Vergleich. Obwohl ich schon glaube, das die Szene (ein für mich eigentlich sehr abstrakte und sehr oberflächliche Bezeichnung, aber ich möchte jetzt kein Fass öffnen) in Deutschland viel größer ist, man erkennt z.B. schon viele Leute auf so DIY-Festivals in ganz Polen wieder, wobei man in Berlin am selben Abend mehrere gute Konzerte Veranstalten könnte, keine Ahnung.

Man hat halt überall eher kleinere Szenen die sich natürlich alle voneinander ein bisschen unterscheiden. Was ich z.B. in Polen in der Gegend, wo ich mich bewege, sehr schön finde, das es halt ein sehr gemischtes Publikum gibt, das sagen halt auch viele Bands das die meisten Leute im Publikum das erste Mal etwas von ihnen hören und das dadurch eine ganz andere Aufnahme und Begeisterung ist, das hat jetzt aber glaube ich wenig mit Polen zu tun sondern mehr mit der Provinz, obwohl ich schon glaube, das es in einer deutschen Provinz anders wäre, aber da habe ich keine Erfahrung. Deswegen kann ich darüber glaube ich nicht viel sagen.

AFL: Noch ein leidiges und sicherlich unbeliebtes Thema: Wie bist du samt deinem Label und deinem Onlineshop durch die Corona-Pandemie gekommen?

Till: Relativ gut muss ich ehrlich zugeben. Es hat sich bei mir Privat auch einiges verändert in der Zeit, ich bin in Teilzeit alleinerziehend 😉 Ich habe an jedem Wochenende mein Kind, dadurch hätte ich jetzt sowieso keine Konzerte und Festivals besuchen können. Mein Onlineshop läuft aber komischerweise sehr gut, obwohl ich noch keinen großen Katalog habe, finden trotzdem Leute aus der ganzen Welt den Weg dort hin. Deswegen kann ich mich nicht so sehr beklagen, obwohl natürlich die Abnegat Records Herausgaben besser weggehen würden, wenn die Bands auch spielen würden, aber es ist nun mal wie es ist, oder es war…? Ich muss dazu natürlich auch sagen dass ich nicht davon lebe, deswegen –  wenn es mal schlechter läuft – ist das auch kein Weltuntergang für mich

AFL: Zu guter Letzt: Kannst du der AFL-Leserschaft eine besondere Band aus unsere polnischen Nachbarland empfehlen? Kommt da in absehbarer Zeit was neues auf uns zu?

Till: Meine Lieblingsentdeckung in letzter Zeit kommt nicht aus Polen sondern aus Spanien: Tensö, sehr geile Band. Sonst kann ich aus Polen natürlich Pänika sehr empfehlen

Vielen Dank an Till für die Einblicke in die Beweggründe zur Gründung von Abnegat Records, in persönlichen Erfahrungen mit Hardcore/Punk in Deutschland und Polen sowie über deine persönliche Einstellungen zu Politik bzw. zu politischen Aktivismus. Wer Interesse hat, kann Abnegat Records über die gängigen soziale Medien folgen und natürlich das Label über den Webshop (www.abnegat-records.com) supporten.

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– Playlist: Happy Release Day

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