Ein gutes Album ist mehr als die Summer seiner Songs
Es gibt ja so Fans, die alles was ihr Lieblingskünstler oder die Lieblingsband auf den Markt wirft, uneingeschränkt toll finden. Ich bin ein Freund von Ehrlichkeit und konstruktiver Kritik, sprich: Ich zähle mich nicht dazu.
Und so war ich als ich das neue Album von Nathan Gray (Boysetsfire, I Am Heresy, The Casting Out), das am 31. Januar 2020 via Endhits Records erscheint, das erste Mal hörte, ganz ehrlich gesagt nicht wirklich davon überzeugt. Ich hatte das Vorgängeralbum Feral Hymns so in mein Herz geschlossen, dass ich mit dem neuen Sound, abgesehen von Nathans zuverlässig atemberaubendem Gesang, vorerst nicht so richtig warm wurde.
Warum etwas ändern? Weil das nun einmal das Leben ist. Spätestens nach dem sehr inspirierendem Interview mit Nathan (das ihr hier lesen könnt) wurde mir das klar.
Sein solo-musikalischer Werdegang ist das beste Beispiel dafür, dass Wandel unausweichlich ist. Während er mit dem Nathan Gray Collective in düstere Sphären abtauchte und seinen Dämonen anschließend auf Feral Hymns offen die Stirn bot und dabei entsprechend erschöpft und schwermütig klang, zeigt Gray mit Working Title einfach, welche Stufe man anschließend erreicht, wenn man sich den eigenen Abgründen gestellt hat. Und die klingt stolz, stark und fröhlich, manchmal immer noch traurig vor allem aber zuversichtlich.
Working Title ist Nathan Grays vielseitigstes und fröhlichstes Album, mit dem er zeigen möchte, dass das Leben nun mal aus Höhen und Tiefen besteht. Ein ewiger Kampf, den man aber gewinnt, solange man ihn kämpft. Die Tatsache, dass man nicht aufgeben darf, um die beste Version seiner selbst zu werden, bringt Nathan Gray mit dem Albumtitel „Working Title“ zum Ausdruck.
Im Titelsong heißt es: „I’m just a working title that’s for sure. But I ain’t giving up till I’m much more. I’ll be the battle cry you need to hear. I’ll be the anthem you can’t wait to share.“ (Working Title)
Nathan Gray hat sich hier Verstärkung von seinem Freund Chuck Ragan geholt. Auch eine Message des Albums: Denn neben dem überwiegend positivem Sound hat Nathan Gray noch eine Veränderung gewagt. Er hat sich eine komplette Band mit ins Boot geholt, die ihn mal mit verzerrten Gitarren und Schlagzeug, mal nur mit Piano und Streichern begleitet.
„Es gibt eine Zeit, in der man alleine stehen und Mut zeigen muss und dann fühlst du dich auf einmal wohl dabei und kannst weiter gehen“, wie Nathan es im Interview so schön ausdrückt.
Selbstwirksamkeit, Stärke, Selbstliebe aber auch die Einsicht, dass es mal Rückschläge geben kann und dass nicht immer alles eitel Sonnenschein ist, bilden den roten Faden durch das Album und klingen dabei überwiegend gut gelaunt aber auch mal nachdenklich und melancholisch.
Mit Songs wie In My Defense, Never Alone oder I’m A Lot kracht Nathan Gray mit der Zuversichts-Tür ins Haus. Auch wenn man beim ersten Durchhören nicht das Gefühl hat, dass die Songs komplex sind, sondern eher einfachen Popsong-Strukturen folgen, warten viele davon mit ungewohnten Breaks und Wendungen auf und sind durchdacht in Melodie und Texten. Wie etwa What About You?, dass als Piano Ballade startet und sich Stück für Stück zur Indiepop-Hymne mausert.
Zwischen den ungewohnt poppigen Stücken, die an manchen Stellen an The Casting Out erinnern, gibt es auch ruhige Tracks, wie etwa die schmal instrumentierte Ballade Refrain, die ebenfalls anders klingt als das, was man bislang von Nathan Gray gewohnt war.
Genau das ist „Working Title“: Alles ist anders als erwartet und wird nach einigem Hören dennoch zu Nathan-typischen Stücken. Warum sollte nur er sich weiter entwickeln? Auch wir kriegen was zu tun. 🙂 Auch wenn die Songs ungewohnt sind, so klingen sie nicht, als hätte sich Nathan Gray verstellt. Diese Songs und Melodien kann nur er schreiben und vor allem singen. Denn die Konstante auf Working Title ist Nathans unglaublich charakteristischer Gesang – der von sanft bis kraftvoll alles beherrscht.
Zusammengefasst ist Working Title ein Album der Zuversicht und des Selbstbewusstseins. Nathan Gray traut sich, seine Fans mit unerwarteten Songs zu überraschen. Hätte auch nach hinten losgehen können. Aber wenn wir mal ehrlich sind, geht das nicht, wenn man authentisch seinen Weg geht. Und das wird mir klar: Ein gutes Album ist mehr als die Summe seiner Songs. Es ist Attitüde und Message und von der hat Working Title mehr als genug zu bieten.
Tracklist:
- In My Defense
- I’m A Lot
- Working Title
- What About You?
- Refrain
- Still Here
- The Markings
- Hold
- Mercy
- No Way
- Never Alone
- The Fall
- Down