Noch eine deutsche Post-Hardcore / Screamo Band also, FFO Fjørt, Viva Belgrado und La Dispute. Das macht mich neugierig und weckt natürlich hohe Erwartungen. Ob Neska Lagun die wirklich erfüllen können?
Das Erstlingswerk des 2015 in Berlin formierten Quartetts ist schon optisch genau mein Ding. Der Titel Fluchtpunkt ist visuell so schön in Szene gesetzt, dass mein Design-Liebhaber-Herz hüpft. Schon allein deshalb ist die Platte eine, die ich haben muss, denke ich. Und das, was ich anschließend zu hören bekomme, hält zum Glück, was die Äußerlichkeiten versprechen.
Was mir hier ab Song 1 entgegen tönt, ist genau mein Ding: Post-Hardcore der lyrischen und verzweifelten Sorte, mit tragenden Beats, gut dosierten Melodien, einer interessanten Dynamik, mit ausreichend Raum, um die Gitarren auch einmal klingen zu lassen, mit Atmosphäre und einer wirklich schönen, nicht zu schrillen Stimme. Und mit wirklich guten Texten.
Was Neska Lagun auf Fluchtpunkt liefern, ist intelligenter Screamo, der die unausweichliche Vergänglichkeit des Lebens in all ihrer schmerzhaften Eleganz beleuchtet. Die Songs sind tiefsinnig und mit Charakter. Kein Song gleicht dem anderen, auch wenn die Handschrift von Neska Lagun immer erkennbar ist. Die könnte man wie folgt beschreiben:
Ein Wechsel zwischen Screamo-Chaos und verzweifelt vor sich hin getragenen Melodien.
Songs, die mit viel Liebe zum Detail komponiert wurden. Kein Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Einheitsbrei, sondern eine Dramaturgie, die für jeden Song anders aussieht.
Gitarren, die den Spagat zwischen Noise und Melodien perfekt meistern.
Eine Stimme, die markant ist, ohne schrill zu klingen und die nur so weit in den Vordergrund drängt, dass man die Texte verstehen kann. Ja, man kann die Texte verstehen. 😉 Zum Glück, denn es wäre schade, wenn nicht. Neska Lagun haben auch lyrisch echt was auf dem Kasten und sorgen beim Durchlesen für den ein oder anderen Schauer, der mir über den Rücken läuft.
Am vielseitigsten ist der Song Mida, der zwischen sanftes Gitarren-Geklimper dissonante Chaos-Chords zwängt und wirklich theatralisch klingt.
Weiter ist der eingängigste Track der Platte. Mit ansteckender Dynamik und fast schon catchy Hookline:
Am süßesten klingt Flüchtig, ein Lied wie eine Wanderung durch Gletscherlandschaften. Atmosphärisch – zart – instrumental.
Und dann ist da noch Montañas, ein Song in Spanisch, der an Viva Belgrado erinnert und einfach nur perfekt ist, vor allem was die Dramaturgie angeht. Und die spanischen Lyrics! Sie verleihen dem Song zusätzlich Energie und Melancholie. So wie auch der Wechsel zwischen getragenen Parts und energisch nach vorne treibenden Gitarren.
Überraschend ist Lightbeat – ein Song, der mit Akustik-Gitarre und Gesang vorgetragen wird. Ich muss kurz nachsehen, ob ich immer noch das selbe Album anhöre. Aber auch dieser letzte Track passt zu den anderen und rundet das Album auf originelle Art und Weise ab.
Ich bin der Typ von Musikhörer, der gute Beats mit den Händen mittrommeln und gute Gitarrenmelodien mitsingen muss. Mein Körper hatte also ein Album lang ganz schön zu tun.
Und: Ich mag den FFO-Mist eigentlich nicht, aber Leute, diesmal stimmt es wirklich: Wenn ihr Fjørt und Viva Belgrado mögt, dann werdet ihr diese Band und dieses Album lieben.
Fluchtpunkt wurde bei Sunsetter Recording in Bremen aufgenommen und erscheint digital via Midsummer Records (VÖ: 27.09.2019), auf Tape via Callous Records und auf farbigem Vinyl via Sunsetter Records, Dasein Records, Listen to Aylin Records, Les Disques Rabat-Joie und Missed Out Records.
Tracklist:
01. Küste
02. Karoshi
03. Bloom
04. Montañas
05. Inhala
06. Weiter
07. Mida
08. Flüchtig
09. Lightbeat
Neska Lagun gehen im Herbst 2019 auf ausgiebige Release Tour:
02.10.2019 Görlitz, Basta w/Leaves
03.10.2019 Chemnitz, AK17 w/Leaves+I Shiver
04.10.2019 Dresden, Riesa Efau w/Leaves+I Shiver
05.10.2019 Berlin, K19 w/Chiefland+Regarding Ambiguity+I Shiver
16.10.2019 Prag, Eternia Smichov w/We Too Will Fade+Kafka
17.10.2019 TBA w/We Too Will Fade
18.10.2019 Budapest, S8 Underground Club w/We Too Will Fade+Borders of Byzantium
19.10.2019 Brünn, TBA w/Kafka
24.10.2019 Nürnberg, P31 w/Karina Kvist
25.10.2019 München, Kafé Marat w/Karina Kvist
26.10.2019 Leipzig, Meuterei w/Karina Kvist+Leaves
01.11.2019 Landau, Fatal w/Younger Us+Anorak+La Petite Morte/Little Death
02.11.2019 Frankfurt, Exzess w/Younger Us+Anorak
08.11.2019 Köln, Privat w/Hector Savage
09.11.2019 Marburg, Trauma w/Leaves
22.11.2019 Hannover, Stumpf w/This Heals Nothing
23.11.2019 Hamburg, TBA w/This Heals Nothing