Die Toten Hosen haben ein Live-Album (Fiesta y Ruido – Die Toten Hosen live in Argentinien) von ihren drei Konzerten, die sie in Buenos Aires und Tandil gespielt haben herausgebracht. Ein guter Grund sich einmal genauer mit Punk in und aus Argentinien zu beschäftigen. Dazu muss man wissen, dass die Toten Hosen in Argentinien Legenden sind. Sie waren 1996 Vorband für das letzte Ramones Konzert (die Ramones werden in Argentinien wie Götter verehrt). Ich war hier in Argentinien auf vielen Punkkonzerten, von argentinischen Bands aber auch internationalen Punk/Hardcore Bands wie Bad Religion oder Biohazard etc. Wenn die Leute mich fragen wo ich herkomme, zeigen sie mir dann immer nach meiner Antwort ihre Toten Hosen Tätowierungen! Das ist Wahnsinn! Ich glaube in Argentinien gibt es mehr Hosen-Tattoos als in Deutschland. Auf dem Live-Album hört man auch die Liebe der Argentinier zu den Hosen: Die Refrains werden in deutsch mitgesungen.
Und die Toten Hosen wissen ihre Verehrung durch die Argentinierinnen und Argentinier wertzuschätzen und ihnen was zurückzugeben.
Nicht nur kommen sie regelmäßig in das zweitgrößte Land Südamerikas, sondern spielen auch schon mal umsonst auf der Straße (wie 2015 in San Telmo, einen Stadtteil von Buenos Aires), veranstalten gleich ein ganzes Fest mit argentinischen Bands (Hosen Fest 2018), singen auf ihren Konzerten argentinische Punkklassiker (von 2minutos – mit dem Sänger der 2minitos, Mosca, zusammen -, von den argentinischen Sex Pistols, den Los Violadores, und von Pilsen) und haben natürlich argentinische Vorbands, wie im Obras in Buenos Aires die witzigen Aliento de Perros.
Womit wir bei den argentinischen Bands wären! Wenn die Argentinierinnen und Argentinier den Toten Hosen so viel Liebe entgegenbringen, dann dachte ich mir sollte man auch mal einige wirklich tolle argentinische Punkbands vorstellen. Gerade in Zeiten, in denen es Subkulturen unter einer ultraliberalen Regierung schwer haben. Präsident Milei kürzt unter der Permisse “No hay plata” (Es gibt kein Geld) alles weg, während die Lebensunterhaltungskosten in den Himmel steigen. Da fehlt vor allem den jungen Punkfans das Geld zum Platten kaufen. Noch dazu betreffen die Kürzungen auch den kulturellen-gesellschaftlichen Bereich – vor allem den links-alternativen.
Umso wichtiger ist es dann die Szene zu unterstützen! Und diese ist super aktiv und sehr interessant. Wie die Band Mariscal X (wird unten noch vorgestellt) schreiben: Man weiß nicht ob die Szene wächst, wieder geboren wird oder was auch immer, aber eines ist klar, jedes Wochenende gibt es mega Konzerte.
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Ich schreibe hier als ein Deutscher, der seit drei Jahren in Argentinien lebt. Ich höre gerne Punk, Hardcore, aber auch Metall, Rock und Hip Hop. Ich war hier auf vielen vor allem Punk-Konzerten und muss sagen die argentinischen Fans sind einfach der Hammer! Mich fasziniert Punk, aber ich würde mich nicht unbedingt als hardcore Mitglied der Subkultur bezeichnen. Bitte mir daher nachsehen, wenn ich einige Genre-Bezeichnungen vielleicht nicht adäquat anwende. Auch habe ich ein Bias, da ich Argentinien, die Argentinierinnen und Argentinier so dermaßen liebgewonnen habe und daher einfach die argentinische Musik und Kultur liebe! Aber fangen wir an:
Da wären eben Bands wie die oben schon erwähnten Aliento de Perro. Bester Bier-Punk. Es geht um Saufen, Liebe und – ganz wichtig in Argentinien – Fußball und damit natürlich Maradona. Am Ende eines Konzertes, haben die Alientos dann meistens schon ordentlich Dosenbier geleert, geben aber immer noch eine sehr gute Show ab! Damit stehen sie in der Tradition der 2minutos.
2minutos seit über 30 Jahren eine der bekanntesten Punkbands in Argentinien. Oi-Punk bei dem aus dem Leben im Arbeiterviertel Valentin Alsina (so auch der Titel ihres Debüt-Albums) erzählt wird: die Liebe zum Bier (Canción de Amor), die Scheiße arbeiten zu müssen auch wenn der Lohn nicht zum Fressen reicht (Odio Laborar), oder der Ratschlag an dem Kumpel mit Liebeskummer, dass schon eine andere Frau kommen wird (Otra mujer). Am berühmtesten das Lied vom Freund, der ein Bulle geworden ist (Ya no sos igual) und jetzt als buchón (klassisches umgangssprachlicher argentinischen Begriff, der in etwa Verräter heißt) beschimpft wird. Dabei wird deutlich, dass anders als in Europa der argentinische Punk nicht unbedingt akademisch geprägt ist, sondern eben auch Geschichten aus dem Leben der Arbeiterfsmilien in den barrios (Vierteln) in Argentinien erzählt. Eine Art Best of der 2minutos ist ihr neues Album (La Máquina de Hacer Cagadas) auf dem ihre Klassiker mit verschiedenen Freunden zusammen (auch den Hosen, aber vor allem anderen Urgesteinen des Rock/Punks Argentiniens) neu aufgenommen wurden.
Eine andere Institution im argentinischen Punk ist Boom Boom Kid. Er hat in den 90er mit seiner Band Fun People neue Standards gesetzt. Weg von Macho-Themen, die ja durchaus in einigen Strömungen des Hardcores zu finden sind (Härte, Stärke, Wir gegen die, etc.) hin zu Themen wie Liebe, Gender, Menschen- und Tierrechte und Legalisierung von Abtreibung. Dabei ging es auch darum Nazi-Skinheads, die auf Punk/Hardcore-Veranstaltungen in 90ern auftauchten, klar die Stirn zu zeigen und ihnen den antifaschistischen Kampf anzusagen (ganz im Sinne eines „Nazi Punks Fuck Off“). So wie mir hier berichtet wurde, war das nicht immer ganz ungefährlich und Boom Boom Kid hat viel riskiert. Für mich wirklich eine beeindruckende Person. Das letzte Album der Fun People von 1999 wurde vom kürzlich verstorbenen Steve Albini (u.a. Nirvana, PJ Harvey, Pixies) produziert und ist wirklich ein Muss! Es zeigt übrigens auf dem Cover den deutschen Anarchisten Kurt Gustav Wilckens, der auch in Argentinien aktiv war und hier in der antifaschistischen Szene ein Held ist (und sicherlich bekannter als in Deutschland). Boom Boom Kid bringt weiterhin neue Alben raus, spielt regelmäßig im ganzen Land und in Spanien, legt in Bars auf und macht alles DIY: seine Platten, seine Touren, seine Kunst! Er ist damit Underground (el under – wie man in Argentinien sagt) geblieben und trotzdem Legende. Und so sehr er auf der Bühne rockt (gerne macht er mal Crowdsurfing auf einen Surfboard), so schüchtern ist er, wenn er in Bars auflegt oder persönlich seine Platten verkauft – eine super beeindruckende Person!
Es gibt aber auch spannenden neuen Punk! So gibt es laut der Zeitschrift Rolling Stone Argentinien eine neue Emo-Welle in Argentinien. Dazu gehört die tolle Band WRRN, die in Buenos Aires für Turnstile eröffnet hat. Wirklich sehr beeindruckend Band… beim Zuhören zerreißt es einen. Der Gesang wechselt vom melodischen zum Shouting.
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Besonders toll das Lied Calles Calladas das eingangs tatsächlich ein wenig an Turnstile aber auch Fun People erinnert. Live machen WRRN auch einen sehr guten Eindruck. Ich habe sie im kleinen aber vollen Uniclub (600 Personen) in Buenos Aires gesehen und sie haben nicht nur eine Präsenz und eine tolle Show, sondern mittlerweile auch eine treue Fangemeinschaft, welche die Lieder mitsingt. Es wäre schade, wenn der Nordhalbkugel eine solch gute Band entgehen würde! Also Spotify oder besser Bandcamp anschmeißen und ihr Album kaufen: WRRN – Qué se siente Estar Mejor.
Ein wirklich krasses gutes Album haben auch Clamor mit Para No Olvidarte hingelegt, wenn man bedenkt, dass die Bandmitglieder erst zwischen 17 und 18 Jahre alt sind. Ebenfalls eine beeindruckende Band, deren Mitglieder noch sehr jung sind, sind Neokira. Sie haben die EP Sacrificar lo Individual herausgebracht, in die man unbedingt mal reinhören sollte. Auch empfehlenswert Cursi no Muero mit der EP De Canciones Tristes. Alle vier Bands sind übrigens bei Inerme Discos rausgekommen, das unabhängige Plattenlabel von Sebastián Saire, Sänger der Band Mofa. Und wer mal zufällig in Buenos Aires ist… sollte unbedingt in Sebastiáns kleinen aber sehr feinen Plattenladen vorbeischauen.
Wer eher so Post-Punk im Stile von The Cure mag, ist bei Buenos Vampiros gut aufgehoben. Der Name referiert ganz argentinisch an ein Schild, dass zwei Bandmitglieder auf einer Milonga (argentinischer Tangoabend) gesehen haben: „Territorio de buenos vampiros“ (Gebiet der guten Vampire). Damit waren die älteren Herren gemeint, die bis in die Morgenstunden Tango tanzten. Der Bandname zielt aber natürlich auch auf den Goth-angehauchten Style der Band und ihre durchaus traurig-melancholischen Songs an.
Wer den Wipe der guten Vampire hören möchte, kann in das neue Album Entre Sombras reinhören.
Zu guter Letzt noch für Straight Edge Hardcore Fans: Distante wurde hier bei AWAY FROM LIFE schon rezensiert. Sie haben neue Sachen rausgebracht. Wer Vollgas-Straight Edge Hardcore mag ist hier gut aufgehoben. Ebenso bei Mariscal X. Mariscal heißt Quaterback und erklärt dann auch warum die Sängerin in Football -Trikot unterwegs ist. Sie ist 12 Jahre alt (!), und haut all ihre Jugendliche Energie in die Musik! Übrigens ist sie die Tochter der Sängerin und eines Bandmitglieds von X Distante! Da kann man wirklich mal sagen: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!
Ich würde mich auf jeden Fall freuen, wenn der ein oder andere Mal rein hört und vielleicht sogar abtaucht in die Welt des tollen und abwechslungsreichen Punks/Hardcores Argentiniens! Und die hier vorgestellten Bands sind nur eine kleine Auswahl. Es gibt noch sehr viel mehr zu entdecken!
