Die dritte Ausgabe des Rauditums, einem noch recht neuen Oi/Punkrock-Fanzine, erschien Anfang 2021. In 74 Seiten wird ausführlich und im schicken schwarz/weiß-A5-Format über die Szenelandschaft berichtet, nachgefragt und erzählt. Die ersten beiden Ausgaben haben ja schon einiges an Lob bekommen, und auch Nummer drei hat wieder ein paar Highlights parat. Bevor ich auf die Inhalte genauer eingehe, möchte ich gerne nochmal das Engagement und die Arbeit hervorheben, die in der Produktion eines gedruckten Fanzines stecken. Alleine für soviel Mut, im digitalen Zeitalter ein neues Zine in’s Leben zu rufen, gibt es schonmal einen großen Haufen Pluspunkte.

Nun zum Inhalt: Das Rauditum #3 hat insgesamt sechs Interviews parat, darunter mit Bands wie Loikaemie, Loaded oder Enraged Minority. Gerade letzteres taugt total, aber auch alle anderen haben gute Fragen, offenbaren Hintergrundinfos der Bands und sind super zu lesen. Auch werden einige kritische Fragen zu Outputs, Kollaborationen oder ähnlichem gestellt, was mir sehr gut gefällt.

Neben den Interviews gibt es noch ein paar Stories und Rubriken, u.a. eine schöne Auswahl an verschiedenen Reviews (Musik, Fanzines & Bücher), ausführliche Stories über 2Tone und Garry Bushell, ein kurzer Abriss über das Schaffen und die Eskapaden von Duane Peters der US Bombs und eine gesellschaftliche Betrachtung und politische Einordnung von Paketzustellern.
An dieser Stelle finden sich auch meine beiden einzigen Kritikpunkte. Der kleinere zuerst: Die Geschichte zu Duane Peters ist mir persönlich – obwohl natürlich auch darauf eingegangen wird – zu unkritisch. Es werden seine Skandale und politischen Verfehlungen betont, ohne jedoch das Fazit zu ziehen, welches seine ehemaligen Bandmitglieder gezogen haben – und zwar sich vollkommen von der Person Duane Peters zu distanzieren. Ich verstehe, dass man nicht so gerne Abstand von liebgewonnenen Platten nehmen mag, als die Band/Person noch nicht kritisch zu betrachten war. Ich verstehe auch, dass da jede*r eine eigene Haltung dazu hat und auch haben soll, ich für meinen Teil kann die US Bombs jedoch nicht mehr hören.

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Der zweite und weitaus wichtigere Kritikpunkt bezieht sich auf eine Story zu  Paketzusteller*innen. Die Situation der Leute wird treffend analysiert, inklusive Subunternehmer-System, Scheinselbstständigen, Kapitalismus-Kritik, Unterwanderung des Mindestlohns, etc. Da sind viele wichtige und richtige Gedanken dabei, das Fazit aus der ganzen Geschichte ist für mich jedoch haarsträubend: So werden statt den Profiteuren dieses Systems, die Paketzuliefer*innen als (Mit-)Täter benannt, die Lohndumping ermöglichen, die die Sozialversicherungspflicht aushebeln und denen der Vorwurf gemacht wird, sittenwidrige Verträge zu unterschreiben. Dieses Fazit geht in meinen Augen völlig an der Realität vorbei und betrachtet nicht die wahren Ursachen dieser Ausbeutungs-Industrie. Auch die individuellen und existenziellen Bedürfnisse der Menschen, die diese Jobs annehmen MÜSSEN, werden gar nicht erwähnt. So ist es doch oft keine eigens getroffene Entscheidung. Wie oben erwähnt stimme ich dem Artikel in einigen Punkten zu, im wichtigsten aber überhaupt nicht. Ein System, welches solche Mechanismen ermöglicht gilt es zu bekämpfen, und nicht die einzelnen Paketzusteller*innen. In diesem Sinne: Hate the game, not the player.

Diese beiden Kritikpunkte sollen jedoch ein ansonsten durchweg gelungenes und ausdrucksstarkes Fanzine nicht schmälern. Denn alle anderen Texte und Interviews sind super, die antirassistische und antifaschistische Grundhaltung des Zines ist klar erkennbar und so stellt das Rauditum eine echte Bereicherung unserer Szene dar!

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– Playlist: Happy Release Day

6 Kommentare

  1. Ersteinmal Danke für deinen Review und deine Kritik auf die ich kurz eingehen will, da ich befürchte mich evtl. nicht völlig klar ausgedrückt zu haben.
    Du schreibst dass es Menschen gibt die den Job des Paketzustellers aus individueller Not heraus machen müssen und dass es daher keine eigene Entscheidung sei. Leider benennst du keine dieser Nöte die Menschen dazu zwingen Pakete auszuliefern, evtl. habe ich ja eine Situation übersehen!?
    Nun gehört der Job des Paketzustellers zweifellos zu denen die nicht in sogenannte „Billiglohnländer“ ausgelagert werden können, es können also nur die Arbeiter innerhalb des Landes gegeneinander ausgespielt werden. Nehmen wir nun einen Menschen mit individueller Notlage und machen ihm ein Angebot bei dem offensichtlich ist, dass er dabei nicht auf den Mindestlohn kommen kann wenn er alle Pakete ausliefert, warum MUSS er es jetzt das Angebot annehmen? Er könnte doch einen Vertrag aushandeln bei dem er vernünftig verdient wenn er alle Pakete ausliefert. Der Arbeitgeber müsste darauf eingehen, weil die Pakete zugestellt werden müssen. Der einzige Grund warum der Arbeitgeber nicht darauf eingehen muss, ist weil es einen anderen Menschen mit individueller Not gibt der das Angebot annimmt! Was ist dieser Paketzusteller nun? Für mich ist er ein Lohndrücker, nur durch ihn ist es anderen unmöglich über Verträge zu verhandeln. Gäbe es niemanden der zu den Konditionen die Pakete ausliefern würde, müssten DHL & Co vernünftige Löhne bezahlen. Das wiederum würde es ihnen wahrscheinlich nicht mehr erlauben den großen Internetversandhändlern den jetzigen Rabatt beim Porto einzuräumen, was wiederum den derzeitigen Bestell- und Umtauschwahnsinn zumindest eindämmen würde. Waren würden nicht sinnfrei durch die Botanik gekutscht um nach der Retour aus Kostengründen vernichtet zu werden.
    Evtl. habe ich mich missverständlich ausgedrückt als ich von dem Paketzusteller als Mitschuldigen sprach. Gemeint sind jene die sich entsolidarisieren und den anderen damit die Chance auf einen vernünftigen Lohn nehmen! Natürlich ist in erster Linie das System schuldig, aber es funktioniert nur weil wir uns darauf einlassen und das macht uns zu Mitschuldigen. Nur auf das System zu zeigen ist zu einfach wenn man Teil des Systems ist …
    You can’t play a game without players! UGLY

    • Hey UGLY, danke für deinen Kommentar!
      Ich gehe mal auf deinen ersten Punkt zuerst ein. Ich meine die Not, eine Familie daheim zu haben die ernährt werden möchte. Eventuell stammt man noch aus einem anderen Land, ist also auch strukturellen Benachteiligungen ausgesetzt. Da ist das nicht so einfach einen anderen Job zu bekommen, kann mir vorstellen dass manche dann lieber solch einen Job nehmen, als gar keinen zu bekommen.
      Ein Artikel, der die individuelle Not der Leute ganz gut beschreibt ist der hier:
      https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/paketboten-reportage-ueber-die-ausbeutung-von-paketzustellern-a-1301473.html

      Das mit dem Vertrag aushandeln stelle ich mir auch nicht so einfach vor, da dieses System von manchen als „mafiös“ beschrieben wird, kann ich mir vorstellen dass es da nicht viel zu verhandeln gibt. „Gäbe es niemanden der das machen würde …“ ist halt einfach im Konjunktiv geschrieben, so ist es leider nicht. Denn Menschen werden diesen Job immer machen, und zwar nicht weil sie unsolidarisch ggü. ihren Mitmenschen sind, sondern weil sie schlicht und ergreifend die Kohle brauchen.
      Ist doch ähnlich auch in anderen Industrien… Würdest du auch Spargelstecher*innen oder Arbeiter*innen in der Fleischindustrie den selben Vorwurf machen? Die werden auch ausgebeutet ohne Ende, ein Mitschuld kann ich ihnen nicht zuschreiben.

      Ich verstehe deine Aussagen, bin aber einfach komplett anderer Meinung 🙂

      Hier noch ein guter Artikel zum weiterlesen:
      https://www.derstandard.de/story/2000124182048/warum-paketzusteller-nicht-klingeln-und-selbst-nichts-dafuer-koennen

      Cheers, Fischi

      P.S.: Deine Interviews taugen mir mega, freue mich auf #4!

  2. Bei Kritik muss man natürlich acht geben. Da wird man auch schnell mal diffamiert im Internet ohne eine Chance auf Diskussionen. Und schnell ist man das was man jahrelang bekämpft

    • Kannst du das präzisieren? Denke mal du meinst du Duane Peters oder Post-Geschichte… Ist bei beiden Fällen meine Meinung, diffamiert werden soll niemand. Gerade bei der US Bombs – Geschichte kann man im Hinblick auf die alten Platten geteilter Meinung sein, ist ja gar kein Problem. Tue mir da bei manchen Bands auch schwer, die sich Ausrutscher geleistet haben, das muss jeder selber wissen wie damit umgegangen wird. Bei der Post-Sache wurde nach teilweise recht guter Analyse in meinen Augen das falsche Fazit gezogen – aber ist eben auch nur meine Meinung 🙂
      Für Diskussionen bin ich natürlich immer zu haben!

  3. „Paketzuliefer*innen“

    Wieviele nicht männliche Paketzulieferer siehst du in der Regel? Dein Name ist echt Programm.

    • Wer spricht hier von der Regel? Natürlich gibt es auch weibliche Zustellerinnen, daher die Schreibweise. Dass der Job hauptsächlich von Männern gemacht wird tut doch überhaupt nichts zur Sache. Dass man jetzt hier auch schon mit Kritik an dieser Schreibweise kommen muss hätte ich nicht gedacht, spar dir das für die Kommentare unter den tagesschau-Beiträgen auf.

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