Ende Oktober, Hamburg, Freitagabend. Bart ist gekämmt, Kutte gelüftet, Fuß-Pils in der Tasche und das Fahrrad bereit – los gehts ins Hamburger Gängeviertel zu einer der Crustpunk-Bands überhaupt. Victims geben sich die Ehre und ich durfte endlich Teil davon sein, nachdem ich jahrelang immer bei Liveauftritten der Schweden verhindert war. Die Vorzeichen standen also gut, auch da das kürzlich veröffentlichte Album The Horse and Sparrow Theory einen schönen Konzertabend versprechen sollte und die Anreise denkbar kurz ausfiel.
Aufgrund privater Unzulänglichkeiten verpasste ich leider einen wesentlichen Teil der ersten Supportband The Cold. Bedauerlich, weil ich erstens nicht mit den Lokalmatadoren rechnete und zweitens einen schönes Rest-Set mitbekam.
Ob die restlichen, zu diesem Zeitpunkt vielleicht 50 zahlende Gäste, das genauso sahen war schwer zu eruieren, da nicht mehr als ein lauer Anstandsapplaus für die bekennenden Fans des FC St. Pauli aufgebracht wurde. Vielleicht lag es auch an musikalischen Aspekten, etwa dem traditionellen und trotzdem experimentellen Hardcore, der nicht so ganz zu dem restlichen Line-Up passen sollte. What ever, ich fand den Sound ansprechend, die Songs gut präsentiert und die (politischen) Ansagen sympathisch.
Svalbard aus dem Mutterland des Brexits passten mit deren Post-Hardcore schon weitaus besser ins das Programm, persönlich war ich allerdings im Vorfeld etwas skeptisch ob der Livekompatibilität. Das Genre ist nach eigener Einschätzung schon extrem von der Soundqualität vor Ort abhängig . Und die ist schwer zu prognostizieren in einem für mich bisher unbekannten Club. Diese Bedenken würden zum Glück mit den ersten Klängen liquidiert , da der Sound wirklich gut war, wodurch die fast schon experimentellen Klänge, die dazugehörenden Breaks und die brachiale Live-Stimme durchgehend sehr gut beim Publikum ankamen.
Gerade die Stimme der Frontsängerin sei an dieser Stelle hervorgehoben. Von angepisst Aggressiv bis Engelsgleich wurde eine schöne Bandbreite dargestellt. Schöner Auftritt, die Band hat zumindest einen neuen Hörer prospektive Fan dazugewonnen. Da mittlerweile auch mehr Leute anwesend waren und zudem der Applaus nicht mehr ganz so verhalten war, ist davon auszugehen, dass die Band noch mehr Sympathisant*innen dazugewinnen konnte.
Nach kurzer Umbaupause endlich das Highlight des Abends und meiner bisherigen Woche – Victims. Vom ersten Ton an war der Sound durchgehend super im Sinne von kraftvoll, was dem Crustpunk/core merklich entgegen kam. Eröffnet wurde mit Horse and Sparrow und Sea and Poison vom aktuellen Album The Horse and Sparrow Theory, gefolgt von Death to us Part vom der 2011er Scheibe A Dissident. Schöner Einstieg des Headliners in einen sowieso lohnenswerten Konzertabend. Kleiner Vermerk am Rande: Hamburg war die erste von vielen Stationen der Europatournee, was man der Band keineswegs anmerkte.
Im Weiteren wurden Songs aus dem (fast) gesamten Album-Repertoire der Band performed, darunter auch This Is The End von der 2004 erschienen In Blood und dem nach circa einer Stunde dargebotenen Konzertabschluss Your Life Is Red (Divide & Conquer, 2006). Gerade beide letztgenannten waren für mich ein Highlight, da die älteren Alben der Herren Schweden noch etwas roher und rotziger um die Ecke kommen im Vergleich zu den zwei, drei letzten Veröffentlichungen. Dafür ist der Sound, gerade der aktuellen Platte unglaublich druckvoll.
Was bleibt ist ein zweigeteiltes Resümee:
1: Starker Support für den Headliner dank Support von Svalbard und The Cold, wobei letztere noch etwas Lokalkolorit mit in den Abend brachten. Dazu und ein wirklich starker Auftritt von Victims – druckvoll, rotzig, spielfreudig. Dazu wurde ein schönes Song-Potpurrie durch die Discografie der Band präsentiert und mit dem Opener Horse and Sparrow einen formidablen Opener ausgemacht. Die Location ist mal etwas anderes, versehen mit einer Balkonkonstruktion im Inneren (und das bei relativ niedrigen Decken!) und etwas SchnickSchnack-Dekoration – man sieht das hier normalerweise eher anderes Publikum verkehrt. Geschmackssache, aber irgendwie putzig anzusehen und zudem direkt im Gängeviertel gelegen, wo auch zwei Bierchen nach dem Konzert lohnenswert sind.
2: Hier gibt es zwei Punkte anzusprechen: Das Publikum und dessen Anzahl. Fangen wir mit Ersterem an, zu welchem ich auch gehört habe und damit auch angesprochen bin. Die Stimmung war nicht schlecht, aber wirklich ausbaufähig. Wo man bei The Cold eventuell noch mit dem nicht ganz auf den Abend zugeschnittenen Genre argumentieren könnte (was ich aber nicht tue, weil ich den Auftritt wirklich gut fand), frag ich mich, was bei Svalbard und Victims los war. Kein Tanzen, wenig Euphorie – ein herzlicher, kalter Willkommensgruß zum Tourauftakt von der Waterkant. Auch wenn, hier zu Punkt 2, gerade mal 100 zahlende Gäste anwesend waren (+- 20) und Hamburch für seinen etwas reserviertes Gemüt bekannt ist – da geht auch für Hamburger Verhältnisse weitaus mehr. Sowohl qualitativ als auch quantitativ. Freitagabend, geile Bands und zudem noch zu einem sozialverträglichen Kurs? Und dann 100 Menschen? Ok, zwei, drei Songs wären zeitmäßig nach eigener Einschätzung noch drinnen gewesen, aber das wusste ja im Vorfeld keiner. Ob es jetzt an der Promo lag, an Unlust oder der (ungewohnten) Location, who knows? Ich habe mir die Laune trotzdem nicht vermiesen lassen. Wer kann, möge sich bitte Victims live zu Gemüte führen – es lohnet sich. Emotional (für das Publikum) und Finanziell (für die Bands) – Support your local and unlocal Scene!